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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

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Viertes Buch. Von der Entstehung und dem Untergang des States.
wenn während des ganzen Mittelalters in allen christlichen
Staten die obrigkeitliche Gewalt von Gott, die höchste des
Kaisers ohne Vermittlung durch eine Zwischenperson von
Gott abgeleitet 1 wurde.

Aber so würdig auch diese Ansicht die Entstehung und
das Schicksal des States an die göttliche Weltherrschaft an-
knüpft, und so hoch ihre sittliche Bedeutung immerhin anzu-
schlagen ist, so darf doch nicht übersehen werden, dasz die-
selbe ihrem Wesen nach religiös, nicht politisch ist, und
dasz sie gerade darum, wenn sie zum politischen Stats-
princip
erhoben und als Rechtssatz gehandhabt wird,
leicht Irrthümer und Miszbräuche veranlaszt und beschönigt.
Heben wir einzelne hervor:

1. Gott hat zwar den Menschen als ein statliches Wesen
erschaffen, aber zugleich hat er ihm die Freiheit verliehen,
die eingepflanzte Idee des States durch eigene Thätigkeit und
zunächst nach seinem Urtheil und in den ihm geeignet schei-
nenden Formen zu verwirklichen. Es ist schon ein grobes
Miszverständnisz, wenn einzelne Statsformen, z. B. die repu-
blikanische, deszhalb verworfen werden, weil Gott als Monarch
die Welt regiere.

2. Die obrigkeitliche Gewalt ist zwar in ihrer Idee und
Erscheinung von Gott abhängig, aber nicht in dem Sinne, dasz
etwa Gott einzelne bevorzugte Menschen über die Beschränkt-
heit der menschlichen Natur emporhöbe, sich selber näher
setzte und gewissermaszen zu Halbgöttern für die Erde be-
stellte, noch in dem Sinne, dasz Gott die menschlichen Re-

1 Das ist auch der Sinn der Constitutio Ludovici Bavarici v. J. 1338:
"Declaramus quod imperialis dignitas et potestas est immediate a solo
Deo
(d. h. nicht mediate durch den Papst) -- statim ex sola electione
(durch die Kurfürsten) est Rex verus et imperator Romanorum censendus."
Die Augsburgische Confession vom Jahr 1530 Art. 16 lehrt: "dasz
alle Obrigkeit in der Welt und geordnete Regiment und Gesetze, gute
Ordnung von Gott geschaffen und eingesetzt sind." Sie leitet also die
gesammte Rechtsordnung von dem Willen Gottes ab.

Viertes Buch. Von der Entstehung und dem Untergang des States.
wenn während des ganzen Mittelalters in allen christlichen
Staten die obrigkeitliche Gewalt von Gott, die höchste des
Kaisers ohne Vermittlung durch eine Zwischenperson von
Gott abgeleitet 1 wurde.

Aber so würdig auch diese Ansicht die Entstehung und
das Schicksal des States an die göttliche Weltherrschaft an-
knüpft, und so hoch ihre sittliche Bedeutung immerhin anzu-
schlagen ist, so darf doch nicht übersehen werden, dasz die-
selbe ihrem Wesen nach religiös, nicht politisch ist, und
dasz sie gerade darum, wenn sie zum politischen Stats-
princip
erhoben und als Rechtssatz gehandhabt wird,
leicht Irrthümer und Miszbräuche veranlaszt und beschönigt.
Heben wir einzelne hervor:

1. Gott hat zwar den Menschen als ein statliches Wesen
erschaffen, aber zugleich hat er ihm die Freiheit verliehen,
die eingepflanzte Idee des States durch eigene Thätigkeit und
zunächst nach seinem Urtheil und in den ihm geeignet schei-
nenden Formen zu verwirklichen. Es ist schon ein grobes
Miszverständnisz, wenn einzelne Statsformen, z. B. die repu-
blikanische, deszhalb verworfen werden, weil Gott als Monarch
die Welt regiere.

2. Die obrigkeitliche Gewalt ist zwar in ihrer Idee und
Erscheinung von Gott abhängig, aber nicht in dem Sinne, dasz
etwa Gott einzelne bevorzugte Menschen über die Beschränkt-
heit der menschlichen Natur emporhöbe, sich selber näher
setzte und gewissermaszen zu Halbgöttern für die Erde be-
stellte, noch in dem Sinne, dasz Gott die menschlichen Re-

1 Das ist auch der Sinn der Constitutio Ludovici Bavarici v. J. 1338:
„Declaramus quod imperialis dignitas et potestas est immediate a solo
Deo
(d. h. nicht mediate durch den Papst) — statim ex sola electione
(durch die Kurfürsten) est Rex verus et imperator Romanorum censendus.“
Die Augsburgische Confession vom Jahr 1530 Art. 16 lehrt: „dasz
alle Obrigkeit in der Welt und geordnete Regiment und Gesetze, gute
Ordnung von Gott geschaffen und eingesetzt sind.“ Sie leitet also die
gesammte Rechtsordnung von dem Willen Gottes ab.
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[328/0346] Viertes Buch. Von der Entstehung und dem Untergang des States. wenn während des ganzen Mittelalters in allen christlichen Staten die obrigkeitliche Gewalt von Gott, die höchste des Kaisers ohne Vermittlung durch eine Zwischenperson von Gott abgeleitet 1 wurde. Aber so würdig auch diese Ansicht die Entstehung und das Schicksal des States an die göttliche Weltherrschaft an- knüpft, und so hoch ihre sittliche Bedeutung immerhin anzu- schlagen ist, so darf doch nicht übersehen werden, dasz die- selbe ihrem Wesen nach religiös, nicht politisch ist, und dasz sie gerade darum, wenn sie zum politischen Stats- princip erhoben und als Rechtssatz gehandhabt wird, leicht Irrthümer und Miszbräuche veranlaszt und beschönigt. Heben wir einzelne hervor: 1. Gott hat zwar den Menschen als ein statliches Wesen erschaffen, aber zugleich hat er ihm die Freiheit verliehen, die eingepflanzte Idee des States durch eigene Thätigkeit und zunächst nach seinem Urtheil und in den ihm geeignet schei- nenden Formen zu verwirklichen. Es ist schon ein grobes Miszverständnisz, wenn einzelne Statsformen, z. B. die repu- blikanische, deszhalb verworfen werden, weil Gott als Monarch die Welt regiere. 2. Die obrigkeitliche Gewalt ist zwar in ihrer Idee und Erscheinung von Gott abhängig, aber nicht in dem Sinne, dasz etwa Gott einzelne bevorzugte Menschen über die Beschränkt- heit der menschlichen Natur emporhöbe, sich selber näher setzte und gewissermaszen zu Halbgöttern für die Erde be- stellte, noch in dem Sinne, dasz Gott die menschlichen Re- 1 Das ist auch der Sinn der Constitutio Ludovici Bavarici v. J. 1338: „Declaramus quod imperialis dignitas et potestas est immediate a solo Deo (d. h. nicht mediate durch den Papst) — statim ex sola electione (durch die Kurfürsten) est Rex verus et imperator Romanorum censendus.“ Die Augsburgische Confession vom Jahr 1530 Art. 16 lehrt: „dasz alle Obrigkeit in der Welt und geordnete Regiment und Gesetze, gute Ordnung von Gott geschaffen und eingesetzt sind.“ Sie leitet also die gesammte Rechtsordnung von dem Willen Gottes ab.

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 328. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/346>, abgerufen am 22.11.2024.