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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

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Siebentes Cap. B. Speculative Theorien. II. Der Stat als göttliche Institution.
genten zu seinen persönlichen und mit ihm, so weit ihre
statliche Herrschaft reicht, identischen Stellvertretern
ernennte und mit seiner Macht und seiner Autorität aus-
rüstete. 4 Derlei theokratische Vorstellungen widerstreiten
der menschlichen Natur derer, welchen die Regierung des
States anvertraut ist. Die hochmüthige Rede Ludwigs XIV.:
"Wir Fürsten sind die lebenden Bilder dessen, der allheilig
und allmächtig ist," 5 klingt im Verhältnisz zu Gott wie Blas-
phemie und ist im Verhältnisz zu seinen Unterthanen --
Menschen wie er -- ein unwürdiger Hohn.

3. Manche fassen die obrigkeitliche Gewalt selbst, unter-
schieden von den Personen, welche dieselbe verwalten, als eine
politisch-göttliche und "übermenschliche" auf.
Stahl z. B. 6 sagt: "Die Gewalt des States ist von Gott nicht
blosz in dem Sinne, wie alle Rechte von Gott sind, Eigen-
thum, Ehe, väterliche Gewalt, sondern in dem ganz specifischen
Sinne, dasz es das Werk Gottes ist, das er versieht. Er
herrscht nicht blosz kraft Gottes Ermächtigung, wie auch der
Vater über seine Kinder, sondern er herrscht in Gottes Namen.
Darum ist auch der Stat mit der Majestät umkleidet."

Das ist aber wieder eine objective Theokratie, welche
practisch zu der auch von Stahl verworfenen persönlichen
Stellvertretung Gottes führen, und allen mit dieser verbunde-
nen Anmaszungen und Miszbräuchen von neuem freien Einzug

4 Vgl. Stahl, Statslehre II. §. 48. "Nach der theokratischen Auf-
fassung des Mittelalters ist die Stellung der berufenen Häupter der
Christenheit die Gottes selbst. Die Herrscher (Papst, Kaiser und Könige)
als die Repräsentanten Gottes haben in Person die Fülle alles Ansehens
lediglich in sich."
5 Oeuvres de Louis XIV. II. S. 317, wo noch folgende erläuternde
Stelle vorkommt: "Der, der den Menschen Könige gegeben, hat gewollt,
dasz man sie ehre als seine Stellvertreter, indem er nur sich das Recht
vorbehielt, ihr Thun und Lassen zu prüfen. Sein Wille (?) ist, dasz
wer als Unterthan geboren ist, ohne weiteres gehorche."
6 Statslehre II. §. 43. Vgl. dagegen Macaulay in der unten B. VI.
Cap. Entst. d. const. Mon. mitgetheilten Stelle.

Siebentes Cap. B. Speculative Theorien. II. Der Stat als göttliche Institution.
genten zu seinen persönlichen und mit ihm, so weit ihre
statliche Herrschaft reicht, identischen Stellvertretern
ernennte und mit seiner Macht und seiner Autorität aus-
rüstete. 4 Derlei theokratische Vorstellungen widerstreiten
der menschlichen Natur derer, welchen die Regierung des
States anvertraut ist. Die hochmüthige Rede Ludwigs XIV.:
„Wir Fürsten sind die lebenden Bilder dessen, der allheilig
und allmächtig ist,“ 5 klingt im Verhältnisz zu Gott wie Blas-
phemie und ist im Verhältnisz zu seinen Unterthanen —
Menschen wie er — ein unwürdiger Hohn.

3. Manche fassen die obrigkeitliche Gewalt selbst, unter-
schieden von den Personen, welche dieselbe verwalten, als eine
politisch-göttliche und „übermenschliche“ auf.
Stahl z. B. 6 sagt: „Die Gewalt des States ist von Gott nicht
blosz in dem Sinne, wie alle Rechte von Gott sind, Eigen-
thum, Ehe, väterliche Gewalt, sondern in dem ganz specifischen
Sinne, dasz es das Werk Gottes ist, das er versieht. Er
herrscht nicht blosz kraft Gottes Ermächtigung, wie auch der
Vater über seine Kinder, sondern er herrscht in Gottes Namen.
Darum ist auch der Stat mit der Majestät umkleidet.“

Das ist aber wieder eine objective Theokratie, welche
practisch zu der auch von Stahl verworfenen persönlichen
Stellvertretung Gottes führen, und allen mit dieser verbunde-
nen Anmaszungen und Miszbräuchen von neuem freien Einzug

4 Vgl. Stahl, Statslehre II. §. 48. „Nach der theokratischen Auf-
fassung des Mittelalters ist die Stellung der berufenen Häupter der
Christenheit die Gottes selbst. Die Herrscher (Papst, Kaiser und Könige)
als die Repräsentanten Gottes haben in Person die Fülle alles Ansehens
lediglich in sich.“
5 Oeuvres de Louis XIV. II. S. 317, wo noch folgende erläuternde
Stelle vorkommt: „Der, der den Menschen Könige gegeben, hat gewollt,
dasz man sie ehre als seine Stellvertreter, indem er nur sich das Recht
vorbehielt, ihr Thun und Lassen zu prüfen. Sein Wille (?) ist, dasz
wer als Unterthan geboren ist, ohne weiteres gehorche.“
6 Statslehre II. §. 43. Vgl. dagegen Macaulay in der unten B. VI.
Cap. Entst. d. const. Mon. mitgetheilten Stelle.
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[329/0347] Siebentes Cap. B. Speculative Theorien. II. Der Stat als göttliche Institution. genten zu seinen persönlichen und mit ihm, so weit ihre statliche Herrschaft reicht, identischen Stellvertretern ernennte und mit seiner Macht und seiner Autorität aus- rüstete. 4 Derlei theokratische Vorstellungen widerstreiten der menschlichen Natur derer, welchen die Regierung des States anvertraut ist. Die hochmüthige Rede Ludwigs XIV.: „Wir Fürsten sind die lebenden Bilder dessen, der allheilig und allmächtig ist,“ 5 klingt im Verhältnisz zu Gott wie Blas- phemie und ist im Verhältnisz zu seinen Unterthanen — Menschen wie er — ein unwürdiger Hohn. 3. Manche fassen die obrigkeitliche Gewalt selbst, unter- schieden von den Personen, welche dieselbe verwalten, als eine politisch-göttliche und „übermenschliche“ auf. Stahl z. B. 6 sagt: „Die Gewalt des States ist von Gott nicht blosz in dem Sinne, wie alle Rechte von Gott sind, Eigen- thum, Ehe, väterliche Gewalt, sondern in dem ganz specifischen Sinne, dasz es das Werk Gottes ist, das er versieht. Er herrscht nicht blosz kraft Gottes Ermächtigung, wie auch der Vater über seine Kinder, sondern er herrscht in Gottes Namen. Darum ist auch der Stat mit der Majestät umkleidet.“ Das ist aber wieder eine objective Theokratie, welche practisch zu der auch von Stahl verworfenen persönlichen Stellvertretung Gottes führen, und allen mit dieser verbunde- nen Anmaszungen und Miszbräuchen von neuem freien Einzug 4 Vgl. Stahl, Statslehre II. §. 48. „Nach der theokratischen Auf- fassung des Mittelalters ist die Stellung der berufenen Häupter der Christenheit die Gottes selbst. Die Herrscher (Papst, Kaiser und Könige) als die Repräsentanten Gottes haben in Person die Fülle alles Ansehens lediglich in sich.“ 5 Oeuvres de Louis XIV. II. S. 317, wo noch folgende erläuternde Stelle vorkommt: „Der, der den Menschen Könige gegeben, hat gewollt, dasz man sie ehre als seine Stellvertreter, indem er nur sich das Recht vorbehielt, ihr Thun und Lassen zu prüfen. Sein Wille (?) ist, dasz wer als Unterthan geboren ist, ohne weiteres gehorche.“ 6 Statslehre II. §. 43. Vgl. dagegen Macaulay in der unten B. VI. Cap. Entst. d. const. Mon. mitgetheilten Stelle.

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 329. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/347>, abgerufen am 22.11.2024.