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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

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Achtes Capitel. B. Speculative Theorien. III. Die Theorie der Gewalt.

f) Stahl hat seither versucht, dem falschen Gedanken eine neue
Fassung zu geben und denselben in Gestalt eines objectiven göttlichen
Rechts der Obrigkeit, im Gegensatze zu der persönlichen Vergöttlichung
der absoluten Könige in die Statslehre neuerdings einzuschmuggeln.
Vergeblich. Die moderne Welt läszt sich mit dieser Ausgeburt einer
krankhaften Einbildung nicht mehr verzaubern.



Achtes Capitel.
III. Die Theorie der Gewalt.

"Der Stat ist das Werk gewaltsamer Unterwerfung. Er
beruht auf dem Rechte des Stärkern." So versichern uns
einzelne Philosophen, öfter aber noch einzelne gewaltsame
Machthaber. 1

Diese Lehre ist dem Despotismus günstig, denn sie recht-
fertigt jede Gewaltthat; in zweiter Linie aber dient sie auch
der Revolution, sobald sich diese stark genug fühlt, offene
Gewalt zu üben. Gewöhnlich wird sie eben da als Waffe her-
beigeholt, wo die Schranken des wahren Rechtes überschritten
werden und die rohe Uebermacht waltet. Sie ist ein Sophis-
mus, nur für Mächtige verlockend, den Schwachen leichter
vernichtend als täuschend, eher zur Selbsttäuschung als zur
Täuschung anderer geschickt.

Man hat gesagt, die Geschichte erweise die Wahrheit
jenes Satzes, und allerdings zeigt in der Geschichte die Ge-
walt sich öfter wirksam bei der Begründung von Staten als
der Vertrag; aber nur äuszerst selten hat die rohe Gewalt
für sich allein, nach eigener Willkür, Staten geschaffen, nie-
mals dauernde und grosze Staten. In der Regel, wenn auch

1 Plutarch (Leben des Camillus. 17.) legt diese Theorie dem Gallier
König Brennus in den Mund: "Das älteste aller Gesetze, welches von
Gott an bis auf die Thiere hinabreicht, gibt dem Stärkern die Herrschaft
über die Güter des Schwächern."
Achtes Capitel. B. Speculative Theorien. III. Die Theorie der Gewalt.

f) Stahl hat seither versucht, dem falschen Gedanken eine neue
Fassung zu geben und denselben in Gestalt eines objectiven göttlichen
Rechts der Obrigkeit, im Gegensatze zu der persönlichen Vergöttlichung
der absoluten Könige in die Statslehre neuerdings einzuschmuggeln.
Vergeblich. Die moderne Welt läszt sich mit dieser Ausgeburt einer
krankhaften Einbildung nicht mehr verzaubern.



Achtes Capitel.
III. Die Theorie der Gewalt.

„Der Stat ist das Werk gewaltsamer Unterwerfung. Er
beruht auf dem Rechte des Stärkern.“ So versichern uns
einzelne Philosophen, öfter aber noch einzelne gewaltsame
Machthaber. 1

Diese Lehre ist dem Despotismus günstig, denn sie recht-
fertigt jede Gewaltthat; in zweiter Linie aber dient sie auch
der Revolution, sobald sich diese stark genug fühlt, offene
Gewalt zu üben. Gewöhnlich wird sie eben da als Waffe her-
beigeholt, wo die Schranken des wahren Rechtes überschritten
werden und die rohe Uebermacht waltet. Sie ist ein Sophis-
mus, nur für Mächtige verlockend, den Schwachen leichter
vernichtend als täuschend, eher zur Selbsttäuschung als zur
Täuschung anderer geschickt.

Man hat gesagt, die Geschichte erweise die Wahrheit
jenes Satzes, und allerdings zeigt in der Geschichte die Ge-
walt sich öfter wirksam bei der Begründung von Staten als
der Vertrag; aber nur äuszerst selten hat die rohe Gewalt
für sich allein, nach eigener Willkür, Staten geschaffen, nie-
mals dauernde und grosze Staten. In der Regel, wenn auch

1 Plutarch (Leben des Camillus. 17.) legt diese Theorie dem Gallier
König Brennus in den Mund: „Das älteste aller Gesetze, welches von
Gott an bis auf die Thiere hinabreicht, gibt dem Stärkern die Herrschaft
über die Güter des Schwächern.“
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[333/0351] Achtes Capitel. B. Speculative Theorien. III. Die Theorie der Gewalt. f) Stahl hat seither versucht, dem falschen Gedanken eine neue Fassung zu geben und denselben in Gestalt eines objectiven göttlichen Rechts der Obrigkeit, im Gegensatze zu der persönlichen Vergöttlichung der absoluten Könige in die Statslehre neuerdings einzuschmuggeln. Vergeblich. Die moderne Welt läszt sich mit dieser Ausgeburt einer krankhaften Einbildung nicht mehr verzaubern. Achtes Capitel. III. Die Theorie der Gewalt. „Der Stat ist das Werk gewaltsamer Unterwerfung. Er beruht auf dem Rechte des Stärkern.“ So versichern uns einzelne Philosophen, öfter aber noch einzelne gewaltsame Machthaber. 1 Diese Lehre ist dem Despotismus günstig, denn sie recht- fertigt jede Gewaltthat; in zweiter Linie aber dient sie auch der Revolution, sobald sich diese stark genug fühlt, offene Gewalt zu üben. Gewöhnlich wird sie eben da als Waffe her- beigeholt, wo die Schranken des wahren Rechtes überschritten werden und die rohe Uebermacht waltet. Sie ist ein Sophis- mus, nur für Mächtige verlockend, den Schwachen leichter vernichtend als täuschend, eher zur Selbsttäuschung als zur Täuschung anderer geschickt. Man hat gesagt, die Geschichte erweise die Wahrheit jenes Satzes, und allerdings zeigt in der Geschichte die Ge- walt sich öfter wirksam bei der Begründung von Staten als der Vertrag; aber nur äuszerst selten hat die rohe Gewalt für sich allein, nach eigener Willkür, Staten geschaffen, nie- mals dauernde und grosze Staten. In der Regel, wenn auch 1 Plutarch (Leben des Camillus. 17.) legt diese Theorie dem Gallier König Brennus in den Mund: „Das älteste aller Gesetze, welches von Gott an bis auf die Thiere hinabreicht, gibt dem Stärkern die Herrschaft über die Güter des Schwächern.“

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 333. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/351>, abgerufen am 22.11.2024.