Viertes Capitel. Das Princip der vier Grundformen.
zu selbständigem Rechte die Herrschaft üben, vollkom- mener freilich in der Monarchie als in der Aristokratie. In den beiden lezteren dagegen bedarf der als Herrscher gedachte Gott immer, das als Herrscher gedachte Volk doch in der Regel einer Stellvertretung und Vermittlung durch Priester oder Beamte, welche persönlich zu den Regierten gehören, aber nun als Diener Gottes oder des Volks in deren Auftrag und Namen für den Herrscher handeln. Diese können nicht sich selber als Regenten betrachten, aber sie verwalten gleichsam die Regentschaft für den eigentlichen Regenten, der nicht persönlich handeln kann. Sie sind ge- nöthigt, sich beständig an eine andere Macht anzulehnen, und in dieser Hinweisung auf die höhere Macht, welche auch sie beherrscht, die Autorität zu suchen, welche ihnen selber abgeht.
Der Unterschied der Statsformen je nach der Art der Regierung begründet das Verfassungsrecht und ist statsrecht- lich. Derselbe Unterschied findet sich aber überdem in der Richtung des politischen Lebens vor, selbst im Gegensatze zu der Verfassungsform. Es kann ein Stat in theokratisiren- dem Geiste regiert werden, wenn gleich nicht Gott, sondern ein menschlicher Herrscher, z. B. ein Kirchenfürst oder eine Priesterkaste als Obrigkeit anerkannt ist Ebenso gibt es ari- stokratisirende Staten, die statsrechtlich keine Aristo- kratien sind, wie z. B. der englische Stat, dessen monarchische Form von aristokratischem Geist erfüllt ist; ferner demokra- tisirende Staten, die keine Demokratie sind, wie z. B. das Königreich Norwegen. Es gibt endlich auch monarchisi- rende Staten, ohne wirklichen Monarchen, wie z. B. die fran- zösische Republik.
Anmerkung. Die Rohmerische Eintheilung der Staten (F. Roh- mers Lehre von den polit. Parteien §. 219 ff.) nach den vier Altersstufen der Menschen zielt zunächst wieder nicht auf die Statsform, sondern auf den politischen Geist, der in dem State lebt, aber je nach dem politi- schen Parteicharakter. Sie erkennt
Viertes Capitel. Das Princip der vier Grundformen.
zu selbständigem Rechte die Herrschaft üben, vollkom- mener freilich in der Monarchie als in der Aristokratie. In den beiden lezteren dagegen bedarf der als Herrscher gedachte Gott immer, das als Herrscher gedachte Volk doch in der Regel einer Stellvertretung und Vermittlung durch Priester oder Beamte, welche persönlich zu den Regierten gehören, aber nun als Diener Gottes oder des Volks in deren Auftrag und Namen für den Herrscher handeln. Diese können nicht sich selber als Regenten betrachten, aber sie verwalten gleichsam die Regentschaft für den eigentlichen Regenten, der nicht persönlich handeln kann. Sie sind ge- nöthigt, sich beständig an eine andere Macht anzulehnen, und in dieser Hinweisung auf die höhere Macht, welche auch sie beherrscht, die Autorität zu suchen, welche ihnen selber abgeht.
Der Unterschied der Statsformen je nach der Art der Regierung begründet das Verfassungsrecht und ist statsrecht- lich. Derselbe Unterschied findet sich aber überdem in der Richtung des politischen Lebens vor, selbst im Gegensatze zu der Verfassungsform. Es kann ein Stat in theokratisiren- dem Geiste regiert werden, wenn gleich nicht Gott, sondern ein menschlicher Herrscher, z. B. ein Kirchenfürst oder eine Priesterkaste als Obrigkeit anerkannt ist Ebenso gibt es ari- stokratisirende Staten, die statsrechtlich keine Aristo- kratien sind, wie z. B. der englische Stat, dessen monarchische Form von aristokratischem Geist erfüllt ist; ferner demokra- tisirende Staten, die keine Demokratie sind, wie z. B. das Königreich Norwegen. Es gibt endlich auch monarchisi- rende Staten, ohne wirklichen Monarchen, wie z. B. die fran- zösische Republik.
Anmerkung. Die Rohmerische Eintheilung der Staten (F. Roh- mers Lehre von den polit. Parteien §. 219 ff.) nach den vier Altersstufen der Menschen zielt zunächst wieder nicht auf die Statsform, sondern auf den politischen Geist, der in dem State lebt, aber je nach dem politi- schen Parteicharakter. Sie erkennt
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Viertes Capitel. Das Princip der vier Grundformen.
zu selbständigem Rechte die Herrschaft üben, vollkom-
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den beiden lezteren dagegen bedarf der als Herrscher gedachte
Gott immer, das als Herrscher gedachte Volk doch in der
Regel einer Stellvertretung und Vermittlung durch
Priester oder Beamte, welche persönlich zu den Regierten
gehören, aber nun als Diener Gottes oder des Volks in
deren Auftrag und Namen für den Herrscher handeln.
Diese können nicht sich selber als Regenten betrachten, aber
sie verwalten gleichsam die Regentschaft für den eigentlichen
Regenten, der nicht persönlich handeln kann. Sie sind ge-
nöthigt, sich beständig an eine andere Macht anzulehnen, und
in dieser Hinweisung auf die höhere Macht, welche auch sie
beherrscht, die Autorität zu suchen, welche ihnen selber abgeht.
Der Unterschied der Statsformen je nach der Art der
Regierung begründet das Verfassungsrecht und ist statsrecht-
lich. Derselbe Unterschied findet sich aber überdem in der
Richtung des politischen Lebens vor, selbst im Gegensatze zu
der Verfassungsform. Es kann ein Stat in theokratisiren-
dem Geiste regiert werden, wenn gleich nicht Gott, sondern
ein menschlicher Herrscher, z. B. ein Kirchenfürst oder eine
Priesterkaste als Obrigkeit anerkannt ist Ebenso gibt es ari-
stokratisirende Staten, die statsrechtlich keine Aristo-
kratien sind, wie z. B. der englische Stat, dessen monarchische
Form von aristokratischem Geist erfüllt ist; ferner demokra-
tisirende Staten, die keine Demokratie sind, wie z. B. das
Königreich Norwegen. Es gibt endlich auch monarchisi-
rende Staten, ohne wirklichen Monarchen, wie z. B. die fran-
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Anmerkung. Die Rohmerische Eintheilung der Staten (F. Roh-
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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 381. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/399>, abgerufen am 22.11.2024.
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