Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

Bild:
<< vorherige Seite

Sechstes Buch. Die Statsformen.
sich bei Einzelnen ansammle und auf diese Weise der Unter-
schied der Reichen und der Armen entstehe, wurde sogar
jeder Gebrauch von Silber und Gold verboten. Die Heloten,
welche die Landgüter der Spartiaten bebauten, waren nicht
im Eigenthum der einzelnen Herren, sondern wie die Güter
selbst in dem Eigenthum des States; und der Zins an Früch-
ten, den sie entrichteten, war gesetzlich und gleichmäszig für
die Herren und hinwieder für die Frauen des Hauses be-
stimmt. Selbst die Mahlzeiten, allen Männern gemeinsam,
welche in vielen Tischgenossenschaften beisammen lagen, waren
für alle gleichartig bestimmt und zugemessen. Die Gleich-
heit des Lebens
war somit unter den aristokratischen
Spartiaten sehr viel ausgebildeter und fester begründet als
bei den demokratischen Athenern.

Dessen ungeachtet übte der Stamm der Spartiaten seine
Herrschaft nicht in demokratischer Form aus. Es wäre das
im Widerspruch gewesen mit dem Charakter des States und
des Volks. Wohl gab es auch zu Sparta eine Volksver-
sammlung
(ekklesia); aber die reale Macht war nicht bei
dieser, sondern bei der Gerousie. 1 Diese behandelte und
entschied die Statsgeschäfte in der Regel, und unterwarf nur
in einigen Hauptfällen ihre Entscheidungen noch der einfachen
Genehmigung oder Verwerfung der Volksgemeinde, in welcher
nur die Könige, die Geronten und Ephoren, nicht jeder reden,
und nur Männer von gereifter Lebenserfahrung (von minde-
stens 30 Jahren), nicht junge Leute stimmen durften.

Bei der Bestellung des Senats, der Gerousie, wurden
wieder folgende aristokratische Rücksichten beachtet:

1) Auf das Geschlecht. Die 9000 spartiatischen Kleren

1 Die Volksversammlung der Spartaner hatte dieselbe Bedeutung und
Macht erhalten, wie die alt-hellenische Volksversammlung überhaupt
in dem Zeitalter der homerischen Gesänge sie besessen hatte. Vgl.
C. Trieber, Forschungen der spartanischen Verfassungsgeschichte.
Berlin 1871. S. 114.

Sechstes Buch. Die Statsformen.
sich bei Einzelnen ansammle und auf diese Weise der Unter-
schied der Reichen und der Armen entstehe, wurde sogar
jeder Gebrauch von Silber und Gold verboten. Die Heloten,
welche die Landgüter der Spartiaten bebauten, waren nicht
im Eigenthum der einzelnen Herren, sondern wie die Güter
selbst in dem Eigenthum des States; und der Zins an Früch-
ten, den sie entrichteten, war gesetzlich und gleichmäszig für
die Herren und hinwieder für die Frauen des Hauses be-
stimmt. Selbst die Mahlzeiten, allen Männern gemeinsam,
welche in vielen Tischgenossenschaften beisammen lagen, waren
für alle gleichartig bestimmt und zugemessen. Die Gleich-
heit des Lebens
war somit unter den aristokratischen
Spartiaten sehr viel ausgebildeter und fester begründet als
bei den demokratischen Athenern.

Dessen ungeachtet übte der Stamm der Spartiaten seine
Herrschaft nicht in demokratischer Form aus. Es wäre das
im Widerspruch gewesen mit dem Charakter des States und
des Volks. Wohl gab es auch zu Sparta eine Volksver-
sammlung
(ἐϰϰλησία); aber die reale Macht war nicht bei
dieser, sondern bei der Gerousie. 1 Diese behandelte und
entschied die Statsgeschäfte in der Regel, und unterwarf nur
in einigen Hauptfällen ihre Entscheidungen noch der einfachen
Genehmigung oder Verwerfung der Volksgemeinde, in welcher
nur die Könige, die Geronten und Ephoren, nicht jeder reden,
und nur Männer von gereifter Lebenserfahrung (von minde-
stens 30 Jahren), nicht junge Leute stimmen durften.

Bei der Bestellung des Senats, der Gerousie, wurden
wieder folgende aristokratische Rücksichten beachtet:

1) Auf das Geschlecht. Die 9000 spartiatischen Kleren

1 Die Volksversammlung der Spartaner hatte dieselbe Bedeutung und
Macht erhalten, wie die alt-hellenische Volksversammlung überhaupt
in dem Zeitalter der homerischen Gesänge sie besessen hatte. Vgl.
C. Trieber, Forschungen der spartanischen Verfassungsgeschichte.
Berlin 1871. S. 114.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0522" n="504"/><fw place="top" type="header">Sechstes Buch. Die Statsformen.</fw><lb/>
sich bei Einzelnen ansammle und auf diese Weise der Unter-<lb/>
schied der Reichen und der Armen entstehe, wurde sogar<lb/>
jeder Gebrauch von Silber und Gold verboten. Die Heloten,<lb/>
welche die Landgüter der Spartiaten bebauten, waren nicht<lb/>
im Eigenthum der einzelnen Herren, sondern wie die Güter<lb/>
selbst in dem Eigenthum des States; und der Zins an Früch-<lb/>
ten, den sie entrichteten, war gesetzlich und gleichmäszig für<lb/>
die Herren und hinwieder für die Frauen des Hauses be-<lb/>
stimmt. Selbst die Mahlzeiten, allen Männern gemeinsam,<lb/>
welche in vielen Tischgenossenschaften beisammen lagen, waren<lb/>
für alle gleichartig bestimmt und zugemessen. Die <hi rendition="#g">Gleich-<lb/>
heit des Lebens</hi> war somit unter den aristokratischen<lb/>
Spartiaten sehr viel ausgebildeter und fester begründet als<lb/>
bei den demokratischen Athenern.</p><lb/>
          <p>Dessen ungeachtet übte der Stamm der Spartiaten seine<lb/>
Herrschaft nicht in demokratischer Form aus. Es wäre das<lb/>
im Widerspruch gewesen mit dem Charakter des States und<lb/>
des Volks. Wohl gab es auch zu Sparta eine <hi rendition="#g">Volksver-<lb/>
sammlung</hi> (&#x1F10;&#x03F0;&#x03F0;&#x03BB;&#x03B7;&#x03C3;&#x03AF;&#x03B1;); aber die reale Macht war nicht bei<lb/>
dieser, sondern bei der <hi rendition="#g">Gerousie</hi>. <note place="foot" n="1">Die Volksversammlung der Spartaner hatte dieselbe Bedeutung und<lb/>
Macht erhalten, wie die alt-hellenische Volksversammlung überhaupt<lb/>
in dem Zeitalter der homerischen Gesänge sie besessen hatte. Vgl.<lb/>
C. <hi rendition="#g">Trieber</hi>, Forschungen der spartanischen Verfassungsgeschichte.<lb/>
Berlin 1871. S. 114.</note> Diese behandelte und<lb/>
entschied die Statsgeschäfte in der Regel, und unterwarf nur<lb/>
in einigen Hauptfällen ihre Entscheidungen noch der einfachen<lb/>
Genehmigung oder Verwerfung der Volksgemeinde, in welcher<lb/>
nur die Könige, die Geronten und Ephoren, nicht jeder reden,<lb/>
und nur Männer von gereifter Lebenserfahrung (von minde-<lb/>
stens 30 Jahren), nicht junge Leute stimmen durften.</p><lb/>
          <p>Bei der Bestellung des Senats, der Gerousie, wurden<lb/>
wieder folgende aristokratische Rücksichten beachtet:</p><lb/>
          <p>1) Auf das <hi rendition="#g">Geschlecht</hi>. Die 9000 spartiatischen Kleren<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[504/0522] Sechstes Buch. Die Statsformen. sich bei Einzelnen ansammle und auf diese Weise der Unter- schied der Reichen und der Armen entstehe, wurde sogar jeder Gebrauch von Silber und Gold verboten. Die Heloten, welche die Landgüter der Spartiaten bebauten, waren nicht im Eigenthum der einzelnen Herren, sondern wie die Güter selbst in dem Eigenthum des States; und der Zins an Früch- ten, den sie entrichteten, war gesetzlich und gleichmäszig für die Herren und hinwieder für die Frauen des Hauses be- stimmt. Selbst die Mahlzeiten, allen Männern gemeinsam, welche in vielen Tischgenossenschaften beisammen lagen, waren für alle gleichartig bestimmt und zugemessen. Die Gleich- heit des Lebens war somit unter den aristokratischen Spartiaten sehr viel ausgebildeter und fester begründet als bei den demokratischen Athenern. Dessen ungeachtet übte der Stamm der Spartiaten seine Herrschaft nicht in demokratischer Form aus. Es wäre das im Widerspruch gewesen mit dem Charakter des States und des Volks. Wohl gab es auch zu Sparta eine Volksver- sammlung (ἐϰϰλησία); aber die reale Macht war nicht bei dieser, sondern bei der Gerousie. 1 Diese behandelte und entschied die Statsgeschäfte in der Regel, und unterwarf nur in einigen Hauptfällen ihre Entscheidungen noch der einfachen Genehmigung oder Verwerfung der Volksgemeinde, in welcher nur die Könige, die Geronten und Ephoren, nicht jeder reden, und nur Männer von gereifter Lebenserfahrung (von minde- stens 30 Jahren), nicht junge Leute stimmen durften. Bei der Bestellung des Senats, der Gerousie, wurden wieder folgende aristokratische Rücksichten beachtet: 1) Auf das Geschlecht. Die 9000 spartiatischen Kleren 1 Die Volksversammlung der Spartaner hatte dieselbe Bedeutung und Macht erhalten, wie die alt-hellenische Volksversammlung überhaupt in dem Zeitalter der homerischen Gesänge sie besessen hatte. Vgl. C. Trieber, Forschungen der spartanischen Verfassungsgeschichte. Berlin 1871. S. 114.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/522
Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 504. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/522>, abgerufen am 24.11.2024.