Sechstes Capitel. Aeltere Unterscheidung der statlichen Functionen.
innerlich waren in ihr die verschiedensten Befugnisse geeinigt. Nicht allein der König, auch jeder Graf hatte zugleich Civil- und Militärgewalt, administrative und richterliche Befugnisse, und auf den Dingen (Gerichtsversammlungen) wurde zugleich der allgemeine Rechtssatz als Gesetz gewiesen und der ein- zelne Streitfall beurtheilt.
Zuerst hat der Franzose Bodin das Verlangen näher begründet, dasz wenigstens die höchste Person des Königs die Rechtspflege nicht mehr selber übe, wie es bisher Sitte war, sondern unabhängigen Richtern als öffentlichen Magistraten überlasse. Bodin führt aus, dasz manche Gründe für die ältere Einrichtung sprechen: Es mache einen groszen und wohl- thätigen Eindruck, wenn der König die Gerechtigkeit in An- gesicht alles Volks als Richter ausübe. Aber er ist der Mei- nung, dasz noch gewichtigere Gründe ihn bestimmen, sich des persönlichen Richteramts zu enthalten. Wenn der Gesetz- geber selber richtet, so mischt sich in ihm Gerechtigkeit und Gnade, Gesetzestreue und Willkür und durch diese Mischung wird die Rechtspflege verdorben. Die Parteien erlangen nicht die gehörige Freiheit; sie werden von der Autorität des Sou- verains gedrückt und geblendet. Die Schrecken des Straf- gerichts werden riesenhaft vergröszert; und hat der Fürst einige Anlage zur Grausamkeit, so schwimmt der Richterstuhl im Blute der Bürger und der Hasz der Völker wendet sich gegen den Fürsten. Am wenigsten ist es schicklich, dasz der Fürst in eigener Sache und über Vergehen richte, die gegen ihn selber verübt worden sind. Eher ziemt es sich und ist nützlicher für ihn, wenn er sich vorbehält, Gnaden zu er- weisen und wohl zu thun. 2
In der That konnte sich Bodin auf einige Vorgänge der französischen Geschichte berufen, in denen Parlamente der Pairs sich gegen die Anwesenheit des Königs im Gericht aus-
2Bluntschli, Gesch. des allg. Statsr. S. 42. Vgl. über Pufen- dorf S. 124.
Sechstes Capitel. Aeltere Unterscheidung der statlichen Functionen.
innerlich waren in ihr die verschiedensten Befugnisse geeinigt. Nicht allein der König, auch jeder Graf hatte zugleich Civil- und Militärgewalt, administrative und richterliche Befugnisse, und auf den Dingen (Gerichtsversammlungen) wurde zugleich der allgemeine Rechtssatz als Gesetz gewiesen und der ein- zelne Streitfall beurtheilt.
Zuerst hat der Franzose Bodin das Verlangen näher begründet, dasz wenigstens die höchste Person des Königs die Rechtspflege nicht mehr selber übe, wie es bisher Sitte war, sondern unabhängigen Richtern als öffentlichen Magistraten überlasse. Bodin führt aus, dasz manche Gründe für die ältere Einrichtung sprechen: Es mache einen groszen und wohl- thätigen Eindruck, wenn der König die Gerechtigkeit in An- gesicht alles Volks als Richter ausübe. Aber er ist der Mei- nung, dasz noch gewichtigere Gründe ihn bestimmen, sich des persönlichen Richteramts zu enthalten. Wenn der Gesetz- geber selber richtet, so mischt sich in ihm Gerechtigkeit und Gnade, Gesetzestreue und Willkür und durch diese Mischung wird die Rechtspflege verdorben. Die Parteien erlangen nicht die gehörige Freiheit; sie werden von der Autorität des Sou- verains gedrückt und geblendet. Die Schrecken des Straf- gerichts werden riesenhaft vergröszert; und hat der Fürst einige Anlage zur Grausamkeit, so schwimmt der Richterstuhl im Blute der Bürger und der Hasz der Völker wendet sich gegen den Fürsten. Am wenigsten ist es schicklich, dasz der Fürst in eigener Sache und über Vergehen richte, die gegen ihn selber verübt worden sind. Eher ziemt es sich und ist nützlicher für ihn, wenn er sich vorbehält, Gnaden zu er- weisen und wohl zu thun. 2
In der That konnte sich Bodin auf einige Vorgänge der französischen Geschichte berufen, in denen Parlamente der Pairs sich gegen die Anwesenheit des Königs im Gericht aus-
2Bluntschli, Gesch. des allg. Statsr. S. 42. Vgl. über Pufen- dorf S. 124.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0605"n="587"/><fwplace="top"type="header">Sechstes Capitel. Aeltere Unterscheidung der statlichen Functionen.</fw><lb/>
innerlich waren in ihr die verschiedensten Befugnisse geeinigt.<lb/>
Nicht allein der König, auch jeder Graf hatte zugleich Civil-<lb/>
und Militärgewalt, administrative und richterliche Befugnisse,<lb/>
und auf den Dingen (Gerichtsversammlungen) wurde zugleich<lb/>
der allgemeine Rechtssatz als Gesetz gewiesen und der ein-<lb/>
zelne Streitfall beurtheilt.</p><lb/><p>Zuerst hat der Franzose <hirendition="#g">Bodin</hi> das Verlangen näher<lb/>
begründet, dasz wenigstens die höchste Person des Königs die<lb/>
Rechtspflege nicht mehr selber übe, wie es bisher Sitte war,<lb/>
sondern unabhängigen <hirendition="#g">Richtern</hi> als öffentlichen Magistraten<lb/>
überlasse. Bodin führt aus, dasz manche Gründe für die ältere<lb/>
Einrichtung sprechen: Es mache einen groszen und wohl-<lb/>
thätigen Eindruck, wenn der König die Gerechtigkeit in An-<lb/>
gesicht alles Volks als Richter ausübe. Aber er ist der Mei-<lb/>
nung, dasz noch gewichtigere Gründe ihn bestimmen, sich<lb/>
des persönlichen Richteramts zu enthalten. Wenn der Gesetz-<lb/>
geber selber richtet, so mischt sich in ihm Gerechtigkeit und<lb/>
Gnade, Gesetzestreue und Willkür und durch diese Mischung<lb/>
wird die Rechtspflege verdorben. Die Parteien erlangen nicht<lb/>
die gehörige Freiheit; sie werden von der Autorität des Sou-<lb/>
verains gedrückt und geblendet. Die Schrecken des Straf-<lb/>
gerichts werden riesenhaft vergröszert; und hat der Fürst<lb/>
einige Anlage zur Grausamkeit, so schwimmt der Richterstuhl<lb/>
im Blute der Bürger und der Hasz der Völker wendet sich<lb/>
gegen den Fürsten. Am wenigsten ist es schicklich, dasz der<lb/>
Fürst in eigener Sache und über Vergehen richte, die gegen<lb/>
ihn selber verübt worden sind. Eher ziemt es sich und ist<lb/>
nützlicher für ihn, wenn er sich vorbehält, Gnaden zu er-<lb/>
weisen und wohl zu thun. <noteplace="foot"n="2"><hirendition="#g">Bluntschli</hi>, Gesch. des allg. Statsr. S. 42. Vgl. über <hirendition="#g">Pufen-<lb/>
dorf</hi> S. 124.</note></p><lb/><p>In der That konnte sich Bodin auf einige Vorgänge der<lb/>
französischen Geschichte berufen, in denen Parlamente der<lb/>
Pairs sich gegen die Anwesenheit des Königs im Gericht aus-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[587/0605]
Sechstes Capitel. Aeltere Unterscheidung der statlichen Functionen.
innerlich waren in ihr die verschiedensten Befugnisse geeinigt.
Nicht allein der König, auch jeder Graf hatte zugleich Civil-
und Militärgewalt, administrative und richterliche Befugnisse,
und auf den Dingen (Gerichtsversammlungen) wurde zugleich
der allgemeine Rechtssatz als Gesetz gewiesen und der ein-
zelne Streitfall beurtheilt.
Zuerst hat der Franzose Bodin das Verlangen näher
begründet, dasz wenigstens die höchste Person des Königs die
Rechtspflege nicht mehr selber übe, wie es bisher Sitte war,
sondern unabhängigen Richtern als öffentlichen Magistraten
überlasse. Bodin führt aus, dasz manche Gründe für die ältere
Einrichtung sprechen: Es mache einen groszen und wohl-
thätigen Eindruck, wenn der König die Gerechtigkeit in An-
gesicht alles Volks als Richter ausübe. Aber er ist der Mei-
nung, dasz noch gewichtigere Gründe ihn bestimmen, sich
des persönlichen Richteramts zu enthalten. Wenn der Gesetz-
geber selber richtet, so mischt sich in ihm Gerechtigkeit und
Gnade, Gesetzestreue und Willkür und durch diese Mischung
wird die Rechtspflege verdorben. Die Parteien erlangen nicht
die gehörige Freiheit; sie werden von der Autorität des Sou-
verains gedrückt und geblendet. Die Schrecken des Straf-
gerichts werden riesenhaft vergröszert; und hat der Fürst
einige Anlage zur Grausamkeit, so schwimmt der Richterstuhl
im Blute der Bürger und der Hasz der Völker wendet sich
gegen den Fürsten. Am wenigsten ist es schicklich, dasz der
Fürst in eigener Sache und über Vergehen richte, die gegen
ihn selber verübt worden sind. Eher ziemt es sich und ist
nützlicher für ihn, wenn er sich vorbehält, Gnaden zu er-
weisen und wohl zu thun. 2
In der That konnte sich Bodin auf einige Vorgänge der
französischen Geschichte berufen, in denen Parlamente der
Pairs sich gegen die Anwesenheit des Königs im Gericht aus-
2 Bluntschli, Gesch. des allg. Statsr. S. 42. Vgl. über Pufen-
dorf S. 124.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 587. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/605>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.