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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

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Siebentes Buch. Statshoheit und Statsgewalt etc.
Erst wenn die Befugnisse des gesetzgebenden Körpers be-
stimmt sind, kann die Frage der Eintheilung der übrigen Ge-
walten zur Lösung kommen.

Die gesetzgebende Gewalt hat demnach keineswegs blosz
allgemeine Rechtsregeln, die Gesetze im engern Sinne
festzustellen, obwohl diese Thätigkeit vorzugsweise ihr zuge-
hört. Auch die Begründung und Aenderung statlicher
Institutionen
, die Ausbildung des Statsorganismus in seinen
Gliedern und Verhältnissen steht ihr zu. Und wenn sie in den
Steuergesetzen allgemeine ökonomische Anordnungen
trifft, und Anforderungen, nicht Rechtsregeln, bewilligt,
wenn sie sich Rechenschaft geben läszt über die Zustände
des Landes und den Statshaushalt, so sind auch diese Functionen
durch die Rücksicht auf die gesammte Statsordnung gerecht-
fertigt, obwohl dieselben keine eigentliche Gesetze betreffen.

Rousseau erklärt das Verhältnisz der Gesetzgebung zur
Verwaltung aus dem psychologischen Gegensatze des Wollens
und des Könnens (vouloir et pouvoir). In jener offenbare
sich der "allgemeine Wille" in dieser die "That". "La loi
veut, le roi fait." Ebenso bezeichnet Lorenz Stein den
Gegensatz als den Unterschied von Wille und That. Aber für
die Gesetzgebung ist die Einsicht in die Nothwendigkeit der
Rechtsregeln und Rechtsinstitutionen noch wichtiger als der
Wille, der dieselbe festsetzt; und die politischen Regierungs-
handlungen sind unzweifelhaft in höchstem Grade ebenfalls
Willensacte, indem die Regierung das Ziel und die Mittel
ihrer Politik wählt. Eher läst sich der Gegensatz daher als
allgemeiner und besonderer Wille unterscheiden, oder als
Gegensatz von Ordnung und That.

Da das Ganze mehr ist als irgend ein Theil oder Glied
desselben, so versteht sich, dasz die gesetzgebende Gewalt
allen andern Einzelgewalten übergeordnet ist.

Diese lassen sich für den modernen Stat füglich in vier
Gruppen theilen von wesentlich verschiedenem Charakter. Die

Siebentes Buch. Statshoheit und Statsgewalt etc.
Erst wenn die Befugnisse des gesetzgebenden Körpers be-
stimmt sind, kann die Frage der Eintheilung der übrigen Ge-
walten zur Lösung kommen.

Die gesetzgebende Gewalt hat demnach keineswegs blosz
allgemeine Rechtsregeln, die Gesetze im engern Sinne
festzustellen, obwohl diese Thätigkeit vorzugsweise ihr zuge-
hört. Auch die Begründung und Aenderung statlicher
Institutionen
, die Ausbildung des Statsorganismus in seinen
Gliedern und Verhältnissen steht ihr zu. Und wenn sie in den
Steuergesetzen allgemeine ökonomische Anordnungen
trifft, und Anforderungen, nicht Rechtsregeln, bewilligt,
wenn sie sich Rechenschaft geben läszt über die Zustände
des Landes und den Statshaushalt, so sind auch diese Functionen
durch die Rücksicht auf die gesammte Statsordnung gerecht-
fertigt, obwohl dieselben keine eigentliche Gesetze betreffen.

Rousseau erklärt das Verhältnisz der Gesetzgebung zur
Verwaltung aus dem psychologischen Gegensatze des Wollens
und des Könnens (vouloir et pouvoir). In jener offenbare
sich der „allgemeine Wille“ in dieser die „That“. „La loi
veut, le roi fait.“ Ebenso bezeichnet Lorenz Stein den
Gegensatz als den Unterschied von Wille und That. Aber für
die Gesetzgebung ist die Einsicht in die Nothwendigkeit der
Rechtsregeln und Rechtsinstitutionen noch wichtiger als der
Wille, der dieselbe festsetzt; und die politischen Regierungs-
handlungen sind unzweifelhaft in höchstem Grade ebenfalls
Willensacte, indem die Regierung das Ziel und die Mittel
ihrer Politik wählt. Eher läst sich der Gegensatz daher als
allgemeiner und besonderer Wille unterscheiden, oder als
Gegensatz von Ordnung und That.

Da das Ganze mehr ist als irgend ein Theil oder Glied
desselben, so versteht sich, dasz die gesetzgebende Gewalt
allen andern Einzelgewalten übergeordnet ist.

Diese lassen sich für den modernen Stat füglich in vier
Gruppen theilen von wesentlich verschiedenem Charakter. Die

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[592/0610] Siebentes Buch. Statshoheit und Statsgewalt etc. Erst wenn die Befugnisse des gesetzgebenden Körpers be- stimmt sind, kann die Frage der Eintheilung der übrigen Ge- walten zur Lösung kommen. Die gesetzgebende Gewalt hat demnach keineswegs blosz allgemeine Rechtsregeln, die Gesetze im engern Sinne festzustellen, obwohl diese Thätigkeit vorzugsweise ihr zuge- hört. Auch die Begründung und Aenderung statlicher Institutionen, die Ausbildung des Statsorganismus in seinen Gliedern und Verhältnissen steht ihr zu. Und wenn sie in den Steuergesetzen allgemeine ökonomische Anordnungen trifft, und Anforderungen, nicht Rechtsregeln, bewilligt, wenn sie sich Rechenschaft geben läszt über die Zustände des Landes und den Statshaushalt, so sind auch diese Functionen durch die Rücksicht auf die gesammte Statsordnung gerecht- fertigt, obwohl dieselben keine eigentliche Gesetze betreffen. Rousseau erklärt das Verhältnisz der Gesetzgebung zur Verwaltung aus dem psychologischen Gegensatze des Wollens und des Könnens (vouloir et pouvoir). In jener offenbare sich der „allgemeine Wille“ in dieser die „That“. „La loi veut, le roi fait.“ Ebenso bezeichnet Lorenz Stein den Gegensatz als den Unterschied von Wille und That. Aber für die Gesetzgebung ist die Einsicht in die Nothwendigkeit der Rechtsregeln und Rechtsinstitutionen noch wichtiger als der Wille, der dieselbe festsetzt; und die politischen Regierungs- handlungen sind unzweifelhaft in höchstem Grade ebenfalls Willensacte, indem die Regierung das Ziel und die Mittel ihrer Politik wählt. Eher läst sich der Gegensatz daher als allgemeiner und besonderer Wille unterscheiden, oder als Gegensatz von Ordnung und That. Da das Ganze mehr ist als irgend ein Theil oder Glied desselben, so versteht sich, dasz die gesetzgebende Gewalt allen andern Einzelgewalten übergeordnet ist. Diese lassen sich für den modernen Stat füglich in vier Gruppen theilen von wesentlich verschiedenem Charakter. Die

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 592. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/610>, abgerufen am 22.11.2024.