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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

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Siebentes Capitel. Das moderne Princip der Sonderung der Gewalten.
sein, und es wird begreiflich, wenn die neuern Verfassungen
gewöhnlich nicht darüber hinausgehen. Eine nähere Prüfung
aber läszt uns noch zwei andere Gruppen von einzelnen Or-
ganen und Functionen des States erkennen, die zwar beide
den höchsten des Regiments nicht blosz untergeordnet, sondern
geradezu von ihr abhängig sind, die aber beide einen be-
sonderen Charakter haben, und sich von dem des eigentlichen
Regiments darin unterscheiden, dasz der herrschende und
obrigkeitliche Charakter, welcher das Wesen desselben aus-
macht, hier wiederum zurücktritt. Es sind das

III. die Aufsicht und Pflege der geistigen Cul-
turverhältnisse, die Statscultur
, und

IV. die Verwaltung und Pflege der materiellen
Kräfte und Zustände, der Statswirtschaft.

In diesen beiden Gruppen handelt es sich nicht um das
Regieren. Die groszen Factoren der menschlichen Cultur, die
Religion, die Wissenschaft, die Kunst gehören überall nicht
dem Statsorganismus an, und können nicht von dem State
aus bestimmt und erfüllt werden. Das Verhältnisz der Stats-
gewalt auch zu den äuszerlichen Anstalten der Religion, der
Wissenschaft und Kunst, zu der Kirche und Schule, ist dem-
nach grundverschieden von dem Verhältnisz der Regierung
zu den Regierten in der Sphäre des eigentlichen Regiments.
Der Stat hat auch hier die gemeine Wohlfahrt zu fördern und
gemeinen Schaden abzuwenden, aber er ist sich bewuszt und
wird fortwährend daran erinnert, dasz das Wesen dieser Dinge
nicht seiner Herrschaft unterworfen sei. Seine Functionen sind
daher hier nicht maszgebend, nicht Gebote noch Verbote,
sondern wezentlich nur Aufsicht und Pflege.

Aehnlich verhält es sich mit der vierten Gruppe der
Wirthschaft. Das charakteristische Moment in der Ver-
waltung der Einkünfte und Ausgaben des States, der Finanzen,
in der Unterstützung des bürgerlichen Verkehrs und der öko-
nomischen Wohlfahrt der Bürger, in der Leitung der öffent-

Siebentes Capitel. Das moderne Princip der Sonderung der Gewalten.
sein, und es wird begreiflich, wenn die neuern Verfassungen
gewöhnlich nicht darüber hinausgehen. Eine nähere Prüfung
aber läszt uns noch zwei andere Gruppen von einzelnen Or-
ganen und Functionen des States erkennen, die zwar beide
den höchsten des Regiments nicht blosz untergeordnet, sondern
geradezu von ihr abhängig sind, die aber beide einen be-
sonderen Charakter haben, und sich von dem des eigentlichen
Regiments darin unterscheiden, dasz der herrschende und
obrigkeitliche Charakter, welcher das Wesen desselben aus-
macht, hier wiederum zurücktritt. Es sind das

III. die Aufsicht und Pflege der geistigen Cul-
turverhältnisse, die Statscultur
, und

IV. die Verwaltung und Pflege der materiellen
Kräfte und Zustände, der Statswirtschaft.

In diesen beiden Gruppen handelt es sich nicht um das
Regieren. Die groszen Factoren der menschlichen Cultur, die
Religion, die Wissenschaft, die Kunst gehören überall nicht
dem Statsorganismus an, und können nicht von dem State
aus bestimmt und erfüllt werden. Das Verhältnisz der Stats-
gewalt auch zu den äuszerlichen Anstalten der Religion, der
Wissenschaft und Kunst, zu der Kirche und Schule, ist dem-
nach grundverschieden von dem Verhältnisz der Regierung
zu den Regierten in der Sphäre des eigentlichen Regiments.
Der Stat hat auch hier die gemeine Wohlfahrt zu fördern und
gemeinen Schaden abzuwenden, aber er ist sich bewuszt und
wird fortwährend daran erinnert, dasz das Wesen dieser Dinge
nicht seiner Herrschaft unterworfen sei. Seine Functionen sind
daher hier nicht maszgebend, nicht Gebote noch Verbote,
sondern wezentlich nur Aufsicht und Pflege.

Aehnlich verhält es sich mit der vierten Gruppe der
Wirthschaft. Das charakteristische Moment in der Ver-
waltung der Einkünfte und Ausgaben des States, der Finanzen,
in der Unterstützung des bürgerlichen Verkehrs und der öko-
nomischen Wohlfahrt der Bürger, in der Leitung der öffent-

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[597/0615] Siebentes Capitel. Das moderne Princip der Sonderung der Gewalten. sein, und es wird begreiflich, wenn die neuern Verfassungen gewöhnlich nicht darüber hinausgehen. Eine nähere Prüfung aber läszt uns noch zwei andere Gruppen von einzelnen Or- ganen und Functionen des States erkennen, die zwar beide den höchsten des Regiments nicht blosz untergeordnet, sondern geradezu von ihr abhängig sind, die aber beide einen be- sonderen Charakter haben, und sich von dem des eigentlichen Regiments darin unterscheiden, dasz der herrschende und obrigkeitliche Charakter, welcher das Wesen desselben aus- macht, hier wiederum zurücktritt. Es sind das III. die Aufsicht und Pflege der geistigen Cul- turverhältnisse, die Statscultur, und IV. die Verwaltung und Pflege der materiellen Kräfte und Zustände, der Statswirtschaft. In diesen beiden Gruppen handelt es sich nicht um das Regieren. Die groszen Factoren der menschlichen Cultur, die Religion, die Wissenschaft, die Kunst gehören überall nicht dem Statsorganismus an, und können nicht von dem State aus bestimmt und erfüllt werden. Das Verhältnisz der Stats- gewalt auch zu den äuszerlichen Anstalten der Religion, der Wissenschaft und Kunst, zu der Kirche und Schule, ist dem- nach grundverschieden von dem Verhältnisz der Regierung zu den Regierten in der Sphäre des eigentlichen Regiments. Der Stat hat auch hier die gemeine Wohlfahrt zu fördern und gemeinen Schaden abzuwenden, aber er ist sich bewuszt und wird fortwährend daran erinnert, dasz das Wesen dieser Dinge nicht seiner Herrschaft unterworfen sei. Seine Functionen sind daher hier nicht maszgebend, nicht Gebote noch Verbote, sondern wezentlich nur Aufsicht und Pflege. Aehnlich verhält es sich mit der vierten Gruppe der Wirthschaft. Das charakteristische Moment in der Ver- waltung der Einkünfte und Ausgaben des States, der Finanzen, in der Unterstützung des bürgerlichen Verkehrs und der öko- nomischen Wohlfahrt der Bürger, in der Leitung der öffent-

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 597. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/615>, abgerufen am 22.11.2024.