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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

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Siebentes Buch. Statshoheit und Statsgewalt etc.
lichen Arbeiten, in der Beaufsichtigung der Gemeinden ist
nicht Imperium noch Vogtei im strengen Sinne, sondern wie
für die Culturbeziehungen geistige Sorge so hier auf das Ma-
terielle
gerichtete Pflege. Der specifisch obrigkeitliche
Charakter kommt hier fast gar nicht, der weniger auf die
statliche Macht und das Recht als auf technische Kenntnisz
und Erfahrung begründete Charakter der wirthschaftlichen Ver-
waltung überwiegend zur Sprache. In keiner andern Gruppe
nähern sich denn auch die Statsorgane so sehr dem Privat-
leben
, als in dieser; das Statsvermögen selbst erscheint ge-
radezu im Verkehr einer Privatperson gleich. Unter allen
nimmt sie daher die unterste Stufe ein, eine Stellung, welche
mit ihrer Unentbehrlichkeit und ihrer groszen Ausdehnung
bis in die Bewegungen des täglichen Lebens und Verkehrs
hinein keineswegs im Widerspruch ist. Sie ist die breite
Unterlage, auf welcher der Stat ruht, wie das Regiment seine
höchste Spitze ist.

Die Erkenntnisz dieses Gegensatzes in den öffentlichen
Functionen reift erst in unserer Zeit allmählich heran. Noch
leiden wir an den Uebeln einer Vermischung der gebietenden
und der pflegenden Thätigkeit. Noch wird gelegentlich be-
fohlen oder verboten, wo nur verwaltet werden sollte, zuweilen
auch scheue Pflege geübt, wo die obrigkeitliche Energie durch-
greifen sollte. Aber es ist doch schon besser geworden, als
es vor 100 und vor 50 Jahren gewesen ist; und viele Insti-
tutionen der Pflege sind bereits gesondert von dem eigent-
lichen Regiment und werden ohne Gewaltübung in dem wohl-
thätigen Geiste wissenschaftlicher und technischer Sorge ver-
waltet, der den Cultur- und Wirthschaftsbedürfnissen des
Volkes Befriedigung verschafft und die Freiheit Aller respectirt.



Siebentes Buch. Statshoheit und Statsgewalt etc.
lichen Arbeiten, in der Beaufsichtigung der Gemeinden ist
nicht Imperium noch Vogtei im strengen Sinne, sondern wie
für die Culturbeziehungen geistige Sorge so hier auf das Ma-
terielle
gerichtete Pflege. Der specifisch obrigkeitliche
Charakter kommt hier fast gar nicht, der weniger auf die
statliche Macht und das Recht als auf technische Kenntnisz
und Erfahrung begründete Charakter der wirthschaftlichen Ver-
waltung überwiegend zur Sprache. In keiner andern Gruppe
nähern sich denn auch die Statsorgane so sehr dem Privat-
leben
, als in dieser; das Statsvermögen selbst erscheint ge-
radezu im Verkehr einer Privatperson gleich. Unter allen
nimmt sie daher die unterste Stufe ein, eine Stellung, welche
mit ihrer Unentbehrlichkeit und ihrer groszen Ausdehnung
bis in die Bewegungen des täglichen Lebens und Verkehrs
hinein keineswegs im Widerspruch ist. Sie ist die breite
Unterlage, auf welcher der Stat ruht, wie das Regiment seine
höchste Spitze ist.

Die Erkenntnisz dieses Gegensatzes in den öffentlichen
Functionen reift erst in unserer Zeit allmählich heran. Noch
leiden wir an den Uebeln einer Vermischung der gebietenden
und der pflegenden Thätigkeit. Noch wird gelegentlich be-
fohlen oder verboten, wo nur verwaltet werden sollte, zuweilen
auch scheue Pflege geübt, wo die obrigkeitliche Energie durch-
greifen sollte. Aber es ist doch schon besser geworden, als
es vor 100 und vor 50 Jahren gewesen ist; und viele Insti-
tutionen der Pflege sind bereits gesondert von dem eigent-
lichen Regiment und werden ohne Gewaltübung in dem wohl-
thätigen Geiste wissenschaftlicher und technischer Sorge ver-
waltet, der den Cultur- und Wirthschaftsbedürfnissen des
Volkes Befriedigung verschafft und die Freiheit Aller respectirt.



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[598/0616] Siebentes Buch. Statshoheit und Statsgewalt etc. lichen Arbeiten, in der Beaufsichtigung der Gemeinden ist nicht Imperium noch Vogtei im strengen Sinne, sondern wie für die Culturbeziehungen geistige Sorge so hier auf das Ma- terielle gerichtete Pflege. Der specifisch obrigkeitliche Charakter kommt hier fast gar nicht, der weniger auf die statliche Macht und das Recht als auf technische Kenntnisz und Erfahrung begründete Charakter der wirthschaftlichen Ver- waltung überwiegend zur Sprache. In keiner andern Gruppe nähern sich denn auch die Statsorgane so sehr dem Privat- leben, als in dieser; das Statsvermögen selbst erscheint ge- radezu im Verkehr einer Privatperson gleich. Unter allen nimmt sie daher die unterste Stufe ein, eine Stellung, welche mit ihrer Unentbehrlichkeit und ihrer groszen Ausdehnung bis in die Bewegungen des täglichen Lebens und Verkehrs hinein keineswegs im Widerspruch ist. Sie ist die breite Unterlage, auf welcher der Stat ruht, wie das Regiment seine höchste Spitze ist. Die Erkenntnisz dieses Gegensatzes in den öffentlichen Functionen reift erst in unserer Zeit allmählich heran. Noch leiden wir an den Uebeln einer Vermischung der gebietenden und der pflegenden Thätigkeit. Noch wird gelegentlich be- fohlen oder verboten, wo nur verwaltet werden sollte, zuweilen auch scheue Pflege geübt, wo die obrigkeitliche Energie durch- greifen sollte. Aber es ist doch schon besser geworden, als es vor 100 und vor 50 Jahren gewesen ist; und viele Insti- tutionen der Pflege sind bereits gesondert von dem eigent- lichen Regiment und werden ohne Gewaltübung in dem wohl- thätigen Geiste wissenschaftlicher und technischer Sorge ver- waltet, der den Cultur- und Wirthschaftsbedürfnissen des Volkes Befriedigung verschafft und die Freiheit Aller respectirt.

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 598. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/616>, abgerufen am 22.11.2024.