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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

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Siebentes Buch. Statshoheit und Statsgewalt etc.
in Frage gestellt, theils eminent politische Aemter theils Hof-
stellen.2

5. Die nordamerikanische Besetzung der Aemter be-
ruhte ursprünglich auf dem englischen System, aber wurde
mit republikanischem und demokratischem Geiste erfüllt. Seit
der Regierung des Präsidenten Jackson ist die gefährliche
Sitte starker Wechsel aufgekommen. Wird ein neuer Präsi-
dent gewählt, also je nach 4, höchstens 8 Jahren und kommt
vielleicht eine andere Partei zum Regiment, so werden eine
Menge Stellen frei und mit neuen Personen besetzt. Dann
kommt es zu einer allgemeinen Stellenjagd und die Interessen
des Stats und der Gesellschaft werden weniger beachtet, als
die Wünsche der Parteien und die Amtsgierde der Bewerber.
Das ganze Beamtenwesen ist daher unsolid und heftigen
Schwankungen ausgesetzt; und der Corruption ist schwer zu
begegnen. Nur die Richterämter sind besser geschützt gegen
solche Wechsel. Die Sitte, die Richter aus den bewährten
Advocaten zu wählen, berücksichtigt die juristische Gewandt-
heit und Rechtskunde.

6. In Frankreich gibt es zwar einen Beamtenstand,
aber er ist weder so selbstständig gestellt, wie der deutsche;
denn das Statshaupt, d. h. die jeweiligen Ministerien haben
gröszere Macht, die Beamten frei zu ernennen und zu ent-
lassen, noch sind die Garantien für die wissenschaftliche Vor-
bildung so stark. Für eine grosze Zahl von technischen Stellen
wird freilich Vorbildung in einer Specialschule gefordert (poly-
technische Schule. Kriegsschule, Normalschule), für Richter-
ämter wird Universitätsbildung verlangt. Aber die Regel ist
nicht so allgemein durchgeführt wie in Deutschland. Die Ab-
hängigkeit der Beamten von der Regierung ist strenger; der
Parteigehorsam wird rücksichtsloser gefordert und mehr be-
achtet als die Pflichttreue gegen den Stat und das Amt.


2 R. Gneist englisches Verfassungs- und Verwaltungsrecht Bd. II.
Selbstverw. S. 76.

Siebentes Buch. Statshoheit und Statsgewalt etc.
in Frage gestellt, theils eminent politische Aemter theils Hof-
stellen.2

5. Die nordamerikanische Besetzung der Aemter be-
ruhte ursprünglich auf dem englischen System, aber wurde
mit republikanischem und demokratischem Geiste erfüllt. Seit
der Regierung des Präsidenten Jackson ist die gefährliche
Sitte starker Wechsel aufgekommen. Wird ein neuer Präsi-
dent gewählt, also je nach 4, höchstens 8 Jahren und kommt
vielleicht eine andere Partei zum Regiment, so werden eine
Menge Stellen frei und mit neuen Personen besetzt. Dann
kommt es zu einer allgemeinen Stellenjagd und die Interessen
des Stats und der Gesellschaft werden weniger beachtet, als
die Wünsche der Parteien und die Amtsgierde der Bewerber.
Das ganze Beamtenwesen ist daher unsolid und heftigen
Schwankungen ausgesetzt; und der Corruption ist schwer zu
begegnen. Nur die Richterämter sind besser geschützt gegen
solche Wechsel. Die Sitte, die Richter aus den bewährten
Advocaten zu wählen, berücksichtigt die juristische Gewandt-
heit und Rechtskunde.

6. In Frankreich gibt es zwar einen Beamtenstand,
aber er ist weder so selbstständig gestellt, wie der deutsche;
denn das Statshaupt, d. h. die jeweiligen Ministerien haben
gröszere Macht, die Beamten frei zu ernennen und zu ent-
lassen, noch sind die Garantien für die wissenschaftliche Vor-
bildung so stark. Für eine grosze Zahl von technischen Stellen
wird freilich Vorbildung in einer Specialschule gefordert (poly-
technische Schule. Kriegsschule, Normalschule), für Richter-
ämter wird Universitätsbildung verlangt. Aber die Regel ist
nicht so allgemein durchgeführt wie in Deutschland. Die Ab-
hängigkeit der Beamten von der Regierung ist strenger; der
Parteigehorsam wird rücksichtsloser gefordert und mehr be-
achtet als die Pflichttreue gegen den Stat und das Amt.


2 R. Gneist englisches Verfassungs- und Verwaltungsrecht Bd. II.
Selbstverw. S. 76.
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[612/0630] Siebentes Buch. Statshoheit und Statsgewalt etc. in Frage gestellt, theils eminent politische Aemter theils Hof- stellen. 2 5. Die nordamerikanische Besetzung der Aemter be- ruhte ursprünglich auf dem englischen System, aber wurde mit republikanischem und demokratischem Geiste erfüllt. Seit der Regierung des Präsidenten Jackson ist die gefährliche Sitte starker Wechsel aufgekommen. Wird ein neuer Präsi- dent gewählt, also je nach 4, höchstens 8 Jahren und kommt vielleicht eine andere Partei zum Regiment, so werden eine Menge Stellen frei und mit neuen Personen besetzt. Dann kommt es zu einer allgemeinen Stellenjagd und die Interessen des Stats und der Gesellschaft werden weniger beachtet, als die Wünsche der Parteien und die Amtsgierde der Bewerber. Das ganze Beamtenwesen ist daher unsolid und heftigen Schwankungen ausgesetzt; und der Corruption ist schwer zu begegnen. Nur die Richterämter sind besser geschützt gegen solche Wechsel. Die Sitte, die Richter aus den bewährten Advocaten zu wählen, berücksichtigt die juristische Gewandt- heit und Rechtskunde. 6. In Frankreich gibt es zwar einen Beamtenstand, aber er ist weder so selbstständig gestellt, wie der deutsche; denn das Statshaupt, d. h. die jeweiligen Ministerien haben gröszere Macht, die Beamten frei zu ernennen und zu ent- lassen, noch sind die Garantien für die wissenschaftliche Vor- bildung so stark. Für eine grosze Zahl von technischen Stellen wird freilich Vorbildung in einer Specialschule gefordert (poly- technische Schule. Kriegsschule, Normalschule), für Richter- ämter wird Universitätsbildung verlangt. Aber die Regel ist nicht so allgemein durchgeführt wie in Deutschland. Die Ab- hängigkeit der Beamten von der Regierung ist strenger; der Parteigehorsam wird rücksichtsloser gefordert und mehr be- achtet als die Pflichttreue gegen den Stat und das Amt. 2 R. Gneist englisches Verfassungs- und Verwaltungsrecht Bd. II. Selbstverw. S. 76.

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 612. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/630>, abgerufen am 22.11.2024.