7. In den republikanischen Staten sowohl des Alterthums als theilweise auch der neuern Zeit, wie in der Schweiz und in Amerika, ist das System der Ernennung auf bestimmte Zeitfrist, meistens von wenig Jahren, herrschend geworden, zuweilen mit, zuweilen auch ohne die Möglichkeit der Er- neuerungswahlen. Für Gemeindeämter, welche in der Regel keine höhere Ausbildung erfordern, und nur selten alle Kräfte eines Menschenlebens absorbiren, ist dieses System wohl zu billigen. Für Statsämter aber, welche eine jahrelange Berufs- bildung erheischen -- wie das in unsern neuern künstlichen Lebensverhältnissen unumgänglich nöthig geworden ist -- ist dasselbe mit groszen Nachtheilen verbunden. Es befördert nämlich, indem es dem Ehrgeize Einzelner und den Partei- umtrieben Vieler einen willkommenen Spielraum eröffnet, un- gemein den Wechsel der Beamten, untergräbt so die Sicher- heit zahlreicher, dem State geweihter Existenzen, und damit die Ruhe des States selbst, und hindert und stört vielfach die nachhaltige und dauerhafte Wirksamkeit der Aemter. Diese Nachtheile werden durch den Vortheil, unfähige oder solche Beamte, welche das Vertrauen verloren haben, leichter zu entfernen und durch Männer zu ersetzen, von welchen bessere Dienste gehofft werden, sicher nicht aufgewogen. Weniger bedenklich ist dieses System indessen in einer Aristokratie, welche von Natur zur Stätigkeit und Mäszigung geneigt ist, als in einer Demokratie, welche ohnehin den Wechsel liebt, gerade darum aber auch eine natürliche Neigung hat, die Aemter nur auf kurze Zeit zu besetzen. Für diese kommt die Gefahr hinzu, dasz der Stat die Dienste gerade der ausge- zeichnetsten und tauglichsten Individuen entbehren musz, theils weil diese es vorziehen, einen andern sichereren Lebensberuf zu wählen, theils weil der Wechsel der Stimmungen sie öfter ohne inneren Grund aus den Aemtern entfernt.
8. Die Freiheit des Individuums, ein Amt anzuneh- men oder auszuschlagen, zu welchem es berufen wird,
Neuntes Capitel. Besetzung der Statsämter.
7. In den republikanischen Staten sowohl des Alterthums als theilweise auch der neuern Zeit, wie in der Schweiz und in Amerika, ist das System der Ernennung auf bestimmte Zeitfrist, meistens von wenig Jahren, herrschend geworden, zuweilen mit, zuweilen auch ohne die Möglichkeit der Er- neuerungswahlen. Für Gemeindeämter, welche in der Regel keine höhere Ausbildung erfordern, und nur selten alle Kräfte eines Menschenlebens absorbiren, ist dieses System wohl zu billigen. Für Statsämter aber, welche eine jahrelange Berufs- bildung erheischen — wie das in unsern neuern künstlichen Lebensverhältnissen unumgänglich nöthig geworden ist — ist dasselbe mit groszen Nachtheilen verbunden. Es befördert nämlich, indem es dem Ehrgeize Einzelner und den Partei- umtrieben Vieler einen willkommenen Spielraum eröffnet, un- gemein den Wechsel der Beamten, untergräbt so die Sicher- heit zahlreicher, dem State geweihter Existenzen, und damit die Ruhe des States selbst, und hindert und stört vielfach die nachhaltige und dauerhafte Wirksamkeit der Aemter. Diese Nachtheile werden durch den Vortheil, unfähige oder solche Beamte, welche das Vertrauen verloren haben, leichter zu entfernen und durch Männer zu ersetzen, von welchen bessere Dienste gehofft werden, sicher nicht aufgewogen. Weniger bedenklich ist dieses System indessen in einer Aristokratie, welche von Natur zur Stätigkeit und Mäszigung geneigt ist, als in einer Demokratie, welche ohnehin den Wechsel liebt, gerade darum aber auch eine natürliche Neigung hat, die Aemter nur auf kurze Zeit zu besetzen. Für diese kommt die Gefahr hinzu, dasz der Stat die Dienste gerade der ausge- zeichnetsten und tauglichsten Individuen entbehren musz, theils weil diese es vorziehen, einen andern sichereren Lebensberuf zu wählen, theils weil der Wechsel der Stimmungen sie öfter ohne inneren Grund aus den Aemtern entfernt.
8. Die Freiheit des Individuums, ein Amt anzuneh- men oder auszuschlagen, zu welchem es berufen wird,
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Neuntes Capitel. Besetzung der Statsämter.
7. In den republikanischen Staten sowohl des Alterthums
als theilweise auch der neuern Zeit, wie in der Schweiz und
in Amerika, ist das System der Ernennung auf bestimmte
Zeitfrist, meistens von wenig Jahren, herrschend geworden,
zuweilen mit, zuweilen auch ohne die Möglichkeit der Er-
neuerungswahlen. Für Gemeindeämter, welche in der Regel
keine höhere Ausbildung erfordern, und nur selten alle Kräfte
eines Menschenlebens absorbiren, ist dieses System wohl zu
billigen. Für Statsämter aber, welche eine jahrelange Berufs-
bildung erheischen — wie das in unsern neuern künstlichen
Lebensverhältnissen unumgänglich nöthig geworden ist — ist
dasselbe mit groszen Nachtheilen verbunden. Es befördert
nämlich, indem es dem Ehrgeize Einzelner und den Partei-
umtrieben Vieler einen willkommenen Spielraum eröffnet, un-
gemein den Wechsel der Beamten, untergräbt so die Sicher-
heit zahlreicher, dem State geweihter Existenzen, und damit
die Ruhe des States selbst, und hindert und stört vielfach
die nachhaltige und dauerhafte Wirksamkeit der Aemter. Diese
Nachtheile werden durch den Vortheil, unfähige oder solche
Beamte, welche das Vertrauen verloren haben, leichter zu
entfernen und durch Männer zu ersetzen, von welchen bessere
Dienste gehofft werden, sicher nicht aufgewogen. Weniger
bedenklich ist dieses System indessen in einer Aristokratie,
welche von Natur zur Stätigkeit und Mäszigung geneigt ist,
als in einer Demokratie, welche ohnehin den Wechsel liebt,
gerade darum aber auch eine natürliche Neigung hat, die
Aemter nur auf kurze Zeit zu besetzen. Für diese kommt die
Gefahr hinzu, dasz der Stat die Dienste gerade der ausge-
zeichnetsten und tauglichsten Individuen entbehren musz, theils
weil diese es vorziehen, einen andern sichereren Lebensberuf
zu wählen, theils weil der Wechsel der Stimmungen sie öfter
ohne inneren Grund aus den Aemtern entfernt.
8. Die Freiheit des Individuums, ein Amt anzuneh-
men oder auszuschlagen, zu welchem es berufen wird,
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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 613. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/631>, abgerufen am 22.11.2024.
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