Die Verfassungswidrigkeit der Aufträge ist zunächst, wo nicht besondere Vorschriften Ausnahmen anordnen, ganz ebenso zu behandeln; und auch hier darf nicht zugegeben werden, dasz die Unterbehörde, durch ihren Widerstand gegen die Anordnung ihrer Obern die verfassungsmäszige Unter- ordnung im State selbst zur Anarchie umkehre und verderbe, weil sie vermeint, die Verfügung jener stehe in einem Wider- spruch mit einer einzelnen Verfassungsbestimmung.
7. Der Geist der Treue reicht weiter als die Pflicht des Gehorsams. Diese wird erfüllt, wenn der Beamte die erhaltenen Aufträge in Form und Inhalt vollzieht. Jene aber bindet und hält ihn in seinem übrigen, freien Wirken. Wenn gleich die Treue nicht mehr wie vormals in der mittelalter- lichen Lehensverfassung als das vorherrschende Lebensprincip der Statsordnung betrachtet werden kann, vielmehr in dem modernen State theils durch die Gesetzgebung die Befugnisse der Aemter schärfer bestimmt sind, theils die politische Thä- tigkeit des Beamten weniger von der persönlichen Verbindung mit dem Oberhaupte des States als vielmehr von den Bedürf- nissen des States ihren Anstosz und ihre Richtung empfängt, so ist doch die Treue auch in dem modernen Statsleben kein veralteter und kein entbehrlicher Begriff. Es beruht noch auf ihr der moralische Zusammenhang und die Harmonie des Beamtenorganismus groszentheils.
Der Beamte, welcher in einzelnen und sogar in wichtigen Beziehungen eine andere politische Ueberzeugung hat als seine Obern und diese unter Umständen ausspricht, verletzt zwar die Treue nicht schon aus diesem Grunde. Aber wenn er sich mit den dauernden Grundprincipien, worauf die Stats-
wird." Gönner a. a. O. §. 79 scheint die "gloria obsequii" nicht anders zu verstehen, obwohl er allerdings in der Begründung nicht glücklich den Beamten zur "Maschine" macht; denn die Verpflichtung zur Remon- stration gegen ungerechte Aufträge erkennt er an, und beschränkt auch die Pflicht des Gehorsams in formeller und materieller Beziehung. S. 208. Der Ausdruck Gönners hat übrigens einen mönchischen Beigeschmack.
Siebentes Buch. Statshoheit und Statsgewalt etc.
Die Verfassungswidrigkeit der Aufträge ist zunächst, wo nicht besondere Vorschriften Ausnahmen anordnen, ganz ebenso zu behandeln; und auch hier darf nicht zugegeben werden, dasz die Unterbehörde, durch ihren Widerstand gegen die Anordnung ihrer Obern die verfassungsmäszige Unter- ordnung im State selbst zur Anarchie umkehre und verderbe, weil sie vermeint, die Verfügung jener stehe in einem Wider- spruch mit einer einzelnen Verfassungsbestimmung.
7. Der Geist der Treue reicht weiter als die Pflicht des Gehorsams. Diese wird erfüllt, wenn der Beamte die erhaltenen Aufträge in Form und Inhalt vollzieht. Jene aber bindet und hält ihn in seinem übrigen, freien Wirken. Wenn gleich die Treue nicht mehr wie vormals in der mittelalter- lichen Lehensverfassung als das vorherrschende Lebensprincip der Statsordnung betrachtet werden kann, vielmehr in dem modernen State theils durch die Gesetzgebung die Befugnisse der Aemter schärfer bestimmt sind, theils die politische Thä- tigkeit des Beamten weniger von der persönlichen Verbindung mit dem Oberhaupte des States als vielmehr von den Bedürf- nissen des States ihren Anstosz und ihre Richtung empfängt, so ist doch die Treue auch in dem modernen Statsleben kein veralteter und kein entbehrlicher Begriff. Es beruht noch auf ihr der moralische Zusammenhang und die Harmonie des Beamtenorganismus groszentheils.
Der Beamte, welcher in einzelnen und sogar in wichtigen Beziehungen eine andere politische Ueberzeugung hat als seine Obern und diese unter Umständen ausspricht, verletzt zwar die Treue nicht schon aus diesem Grunde. Aber wenn er sich mit den dauernden Grundprincipien, worauf die Stats-
wird.“ Gönner a. a. O. §. 79 scheint die „gloria obsequii“ nicht anders zu verstehen, obwohl er allerdings in der Begründung nicht glücklich den Beamten zur „Maschine“ macht; denn die Verpflichtung zur Remon- stration gegen ungerechte Aufträge erkennt er an, und beschränkt auch die Pflicht des Gehorsams in formeller und materieller Beziehung. S. 208. Der Ausdruck Gönners hat übrigens einen mönchischen Beigeschmack.
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Siebentes Buch. Statshoheit und Statsgewalt etc.
Die Verfassungswidrigkeit der Aufträge ist zunächst,
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ebenso zu behandeln; und auch hier darf nicht zugegeben
werden, dasz die Unterbehörde, durch ihren Widerstand gegen
die Anordnung ihrer Obern die verfassungsmäszige Unter-
ordnung im State selbst zur Anarchie umkehre und verderbe,
weil sie vermeint, die Verfügung jener stehe in einem Wider-
spruch mit einer einzelnen Verfassungsbestimmung.
7. Der Geist der Treue reicht weiter als die Pflicht
des Gehorsams. Diese wird erfüllt, wenn der Beamte die
erhaltenen Aufträge in Form und Inhalt vollzieht. Jene aber
bindet und hält ihn in seinem übrigen, freien Wirken. Wenn
gleich die Treue nicht mehr wie vormals in der mittelalter-
lichen Lehensverfassung als das vorherrschende Lebensprincip
der Statsordnung betrachtet werden kann, vielmehr in dem
modernen State theils durch die Gesetzgebung die Befugnisse
der Aemter schärfer bestimmt sind, theils die politische Thä-
tigkeit des Beamten weniger von der persönlichen Verbindung
mit dem Oberhaupte des States als vielmehr von den Bedürf-
nissen des States ihren Anstosz und ihre Richtung empfängt,
so ist doch die Treue auch in dem modernen Statsleben kein
veralteter und kein entbehrlicher Begriff. Es beruht noch
auf ihr der moralische Zusammenhang und die Harmonie des
Beamtenorganismus groszentheils.
Der Beamte, welcher in einzelnen und sogar in wichtigen
Beziehungen eine andere politische Ueberzeugung hat als seine
Obern und diese unter Umständen ausspricht, verletzt zwar
die Treue nicht schon aus diesem Grunde. Aber wenn er sich
mit den dauernden Grundprincipien, worauf die Stats-
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2 wird.“ Gönner a. a. O. §. 79 scheint die „gloria obsequii“ nicht anders
zu verstehen, obwohl er allerdings in der Begründung nicht glücklich
den Beamten zur „Maschine“ macht; denn die Verpflichtung zur Remon-
stration gegen ungerechte Aufträge erkennt er an, und beschränkt auch
die Pflicht des Gehorsams in formeller und materieller Beziehung. S. 208.
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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 622. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/640>, abgerufen am 22.11.2024.
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