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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

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Erstes Buch. Der Statsbegriff.

[Spaltenumbruch]

Antiker Stat.

2. Die antike Statsidee um-
faszt das gesammte gemein-
same Menschenleben
,
in Religion und Recht, Sitte
und Kunst, Cultur und Wissen-
schaft. Priesteramt ist Stats-
amt. Der antike Stat kennt
noch nicht die volle Geistes-
freiheit der Individuen.

3. Der antike Mensch ist
nur als Statsbürger voll-
berechtigt. Bei den Hellenen
waren noch Privatrecht und
öffentliches Recht un-
ausgeschieden durch einander
gemischt. Die Römer sonder-
ten zwar die beiden Ordnungen
grundsätzlich, aber noch blieb
ihr Privatrecht völlig von dem
Volks- und Statswillen ab-
hängig. Die individuelle Frei-
heit auch gegenüber dem Stat
war noch nicht anerkannt.


[Spaltenumbruch]

Moderner Stat.

2. Der moderne Stat ist
sich der Schranken seiner
Macht
und seines Rechts
bewuszt geworden. Er be-
trachtet sich wesentlich als
Rechtsgemeinschaft und poli-
tische Gemeinschaft. Er ver-
zichtet darauf, die Religion
und den Cultus zu beherrschen,
und überlässt beides den Kir-
chen und den Individuen.
Priesteramt ist Kirchenamt.

Er nimmt auch keine wis-
senschaftliche und keine künst-
lerische Autorität für sich in
Anspruch. Er achtet und
schützt die wissenschaftliche
Freiheit der Forschung und
der Meinungsäuszerung.

3. Der moderne Mensch ist
als Individuum berechtigt.
Das Privatrecht wird von
dem öffentlichen Recht scharf
unterschieden. Jenes wird von
dem State eher erkannt als
geschaffen, mehr geschützt als
beherrscht. Die freie Person
geht nicht im State auf. Sie
entwickelt sich selbständig und
übt ihr Recht nicht nach dem
Willen der Staatsgewalt, son-
dern nach persönlichem Wil-
len aus.


Erstes Buch. Der Statsbegriff.

[Spaltenumbruch]

Antiker Stat.

2. Die antike Statsidee um-
faszt das gesammte gemein-
same Menschenleben
,
in Religion und Recht, Sitte
und Kunst, Cultur und Wissen-
schaft. Priesteramt ist Stats-
amt. Der antike Stat kennt
noch nicht die volle Geistes-
freiheit der Individuen.

3. Der antike Mensch ist
nur als Statsbürger voll-
berechtigt. Bei den Hellenen
waren noch Privatrecht und
öffentliches Recht un-
ausgeschieden durch einander
gemischt. Die Römer sonder-
ten zwar die beiden Ordnungen
grundsätzlich, aber noch blieb
ihr Privatrecht völlig von dem
Volks- und Statswillen ab-
hängig. Die individuelle Frei-
heit auch gegenüber dem Stat
war noch nicht anerkannt.


[Spaltenumbruch]

Moderner Stat.

2. Der moderne Stat ist
sich der Schranken seiner
Macht
und seines Rechts
bewuszt geworden. Er be-
trachtet sich wesentlich als
Rechtsgemeinschaft und poli-
tische Gemeinschaft. Er ver-
zichtet darauf, die Religion
und den Cultus zu beherrschen,
und überlässt beides den Kir-
chen und den Individuen.
Priesteramt ist Kirchenamt.

Er nimmt auch keine wis-
senschaftliche und keine künst-
lerische Autorität für sich in
Anspruch. Er achtet und
schützt die wissenschaftliche
Freiheit der Forschung und
der Meinungsäuszerung.

3. Der moderne Mensch ist
als Individuum berechtigt.
Das Privatrecht wird von
dem öffentlichen Recht scharf
unterschieden. Jenes wird von
dem State eher erkannt als
geschaffen, mehr geschützt als
beherrscht. Die freie Person
geht nicht im State auf. Sie
entwickelt sich selbständig und
übt ihr Recht nicht nach dem
Willen der Staatsgewalt, son-
dern nach persönlichem Wil-
len aus.


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[62/0080] Erstes Buch. Der Statsbegriff. Antiker Stat. 2. Die antike Statsidee um- faszt das gesammte gemein- same Menschenleben, in Religion und Recht, Sitte und Kunst, Cultur und Wissen- schaft. Priesteramt ist Stats- amt. Der antike Stat kennt noch nicht die volle Geistes- freiheit der Individuen. 3. Der antike Mensch ist nur als Statsbürger voll- berechtigt. Bei den Hellenen waren noch Privatrecht und öffentliches Recht un- ausgeschieden durch einander gemischt. Die Römer sonder- ten zwar die beiden Ordnungen grundsätzlich, aber noch blieb ihr Privatrecht völlig von dem Volks- und Statswillen ab- hängig. Die individuelle Frei- heit auch gegenüber dem Stat war noch nicht anerkannt. Moderner Stat. 2. Der moderne Stat ist sich der Schranken seiner Macht und seines Rechts bewuszt geworden. Er be- trachtet sich wesentlich als Rechtsgemeinschaft und poli- tische Gemeinschaft. Er ver- zichtet darauf, die Religion und den Cultus zu beherrschen, und überlässt beides den Kir- chen und den Individuen. Priesteramt ist Kirchenamt. Er nimmt auch keine wis- senschaftliche und keine künst- lerische Autorität für sich in Anspruch. Er achtet und schützt die wissenschaftliche Freiheit der Forschung und der Meinungsäuszerung. 3. Der moderne Mensch ist als Individuum berechtigt. Das Privatrecht wird von dem öffentlichen Recht scharf unterschieden. Jenes wird von dem State eher erkannt als geschaffen, mehr geschützt als beherrscht. Die freie Person geht nicht im State auf. Sie entwickelt sich selbständig und übt ihr Recht nicht nach dem Willen der Staatsgewalt, son- dern nach persönlichem Wil- len aus.

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/80>, abgerufen am 26.11.2024.