jeder eine Stimme, wenn gleich diese Völker bis dahin zu Einem State geeinigt nur Eine Stimme hatten.
In dem ältern deutschen Reichsrecht und ebenso in dem früheren schweizerischen Bundesrecht hatte ein anderer Grundsatz gegolten, nämlich der ein für alle Mal an bestimmte Territorien und Cantone geknüpfter Stimmrechte, so daß z. B. Oester- reich und Preußen mehrere Stimmen in der Curie der Fürsten und Herren übten, weil sie mehrere Herrschaften besaßen und die schweizerischen Halbcantone nur je zusammen Eine Stimme auf den Tagsatzungen führten. Der statlich richtige Grund- satz ist aber später auch im deutschen Bunde und in dem schweizerischen Bundes- state durchgedrungen.
53.
Mit dem Untergang eines States verliert sein Verfassungsrecht die selbständige Autorität und Wirksamkeit. Aber es ist möglich, bestimmte statsrechtliche Einrichtungen, welche trotz des Ueberganges in einen Nach- folgestat fortdauern sollen, auch für die Zukunft unter den Schutz des Völkerrechts zu stellen.
Die bisherige Verfassung und das bisherige Statsrecht hatten in dem Willen des untergegangenen States die Quelle ihrer Autorität und in seiner Macht die Garantie für ihre Wirksamkeit gefunden. Jener besondere Statswille und diese Statsmacht sind nun aber mit dem State selber untergegangen und es ist ein neuer Stat an seine Stelle getreten, dessen Wille und Macht nun entscheiden. Eben deßhalb versteht sich auch die Fortdauer der bisherigen Verfassung und des bisherigen öffentlichen Rechts nicht von selber. In den wichtigsten Beziehungen -- insbesondere der politischen Regierung und Vertretung -- ist dieselbe geradezu unmöglich ge- worden, wenn der Nachfolgestat wirklich zur Herrschaft und Entwicklung gelangen soll. Sie können daher nur insoweit fortdauern, als der Nachfolgestat das für zulässig erachtet und seinerseits gutheißt.
Wohl aber lassen sich auch bei Einverleibungen bestimmte Verfassungs- zustände und Einrichtungen erhalten und es kommt wohl vor, daß das ver- tragsmäßig verabredet wird. So sind z. B. bei der Vereinigung der deutschen Ostseeländer mit dem Russischen Reiche bestimmte Zusicherungen gegeben worden, zum Schutz der bestehenden politischen und confessionellen Rechte der Bewohner. Ebenso enthält die Wiener Congreßacte manche derartige Vorbehalte bezüglich der Zutheilung von Ländern an die anerkannten europäischen Staten. Dieselben haben freilich nur eine beschränkte Wirksamkeit und sind immerhin unsicher, weil die Eini- gung innerhalb eines States mit der Zeit Fortschritte macht, und es schwer, oft un- möglich und unzulässig ist, der souveränen Statsgewalt Widerstand zu leisten, wenn sie an die Stelle des alten ein neues Recht zu setzen entschlossen ist.
Völkerrechtliche Perſonen.
jeder eine Stimme, wenn gleich dieſe Völker bis dahin zu Einem State geeinigt nur Eine Stimme hatten.
In dem ältern deutſchen Reichsrecht und ebenſo in dem früheren ſchweizeriſchen Bundesrecht hatte ein anderer Grundſatz gegolten, nämlich der ein für alle Mal an beſtimmte Territorien und Cantone geknüpfter Stimmrechte, ſo daß z. B. Oeſter- reich und Preußen mehrere Stimmen in der Curie der Fürſten und Herren übten, weil ſie mehrere Herrſchaften beſaßen und die ſchweizeriſchen Halbcantone nur je zuſammen Eine Stimme auf den Tagſatzungen führten. Der ſtatlich richtige Grund- ſatz iſt aber ſpäter auch im deutſchen Bunde und in dem ſchweizeriſchen Bundes- ſtate durchgedrungen.
53.
Mit dem Untergang eines States verliert ſein Verfaſſungsrecht die ſelbſtändige Autorität und Wirkſamkeit. Aber es iſt möglich, beſtimmte ſtatsrechtliche Einrichtungen, welche trotz des Ueberganges in einen Nach- folgeſtat fortdauern ſollen, auch für die Zukunft unter den Schutz des Völkerrechts zu ſtellen.
Die bisherige Verfaſſung und das bisherige Statsrecht hatten in dem Willen des untergegangenen States die Quelle ihrer Autorität und in ſeiner Macht die Garantie für ihre Wirkſamkeit gefunden. Jener beſondere Statswille und dieſe Statsmacht ſind nun aber mit dem State ſelber untergegangen und es iſt ein neuer Stat an ſeine Stelle getreten, deſſen Wille und Macht nun entſcheiden. Eben deßhalb verſteht ſich auch die Fortdauer der bisherigen Verfaſſung und des bisherigen öffentlichen Rechts nicht von ſelber. In den wichtigſten Beziehungen — insbeſondere der politiſchen Regierung und Vertretung — iſt dieſelbe geradezu unmöglich ge- worden, wenn der Nachfolgeſtat wirklich zur Herrſchaft und Entwicklung gelangen ſoll. Sie können daher nur inſoweit fortdauern, als der Nachfolgeſtat das für zuläſſig erachtet und ſeinerſeits gutheißt.
Wohl aber laſſen ſich auch bei Einverleibungen beſtimmte Verfaſſungs- zuſtände und Einrichtungen erhalten und es kommt wohl vor, daß das ver- tragsmäßig verabredet wird. So ſind z. B. bei der Vereinigung der deutſchen Oſtſeeländer mit dem Ruſſiſchen Reiche beſtimmte Zuſicherungen gegeben worden, zum Schutz der beſtehenden politiſchen und confeſſionellen Rechte der Bewohner. Ebenſo enthält die Wiener Congreßacte manche derartige Vorbehalte bezüglich der Zutheilung von Ländern an die anerkannten europäiſchen Staten. Dieſelben haben freilich nur eine beſchränkte Wirkſamkeit und ſind immerhin unſicher, weil die Eini- gung innerhalb eines States mit der Zeit Fortſchritte macht, und es ſchwer, oft un- möglich und unzuläſſig iſt, der ſouveränen Statsgewalt Widerſtand zu leiſten, wenn ſie an die Stelle des alten ein neues Recht zu ſetzen entſchloſſen iſt.
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Völkerrechtliche Perſonen.
jeder eine Stimme, wenn gleich dieſe Völker bis dahin zu Einem State
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In dem ältern deutſchen Reichsrecht und ebenſo in dem früheren ſchweizeriſchen
Bundesrecht hatte ein anderer Grundſatz gegolten, nämlich der ein für alle Mal an
beſtimmte Territorien und Cantone geknüpfter Stimmrechte, ſo daß z. B. Oeſter-
reich und Preußen mehrere Stimmen in der Curie der Fürſten und Herren übten,
weil ſie mehrere Herrſchaften beſaßen und die ſchweizeriſchen Halbcantone nur je
zuſammen Eine Stimme auf den Tagſatzungen führten. Der ſtatlich richtige Grund-
ſatz iſt aber ſpäter auch im deutſchen Bunde und in dem ſchweizeriſchen Bundes-
ſtate durchgedrungen.
53.
Mit dem Untergang eines States verliert ſein Verfaſſungsrecht die
ſelbſtändige Autorität und Wirkſamkeit. Aber es iſt möglich, beſtimmte
ſtatsrechtliche Einrichtungen, welche trotz des Ueberganges in einen Nach-
folgeſtat fortdauern ſollen, auch für die Zukunft unter den Schutz des
Völkerrechts zu ſtellen.
Die bisherige Verfaſſung und das bisherige Statsrecht hatten in dem Willen
des untergegangenen States die Quelle ihrer Autorität und in ſeiner Macht die
Garantie für ihre Wirkſamkeit gefunden. Jener beſondere Statswille und dieſe
Statsmacht ſind nun aber mit dem State ſelber untergegangen und es iſt ein
neuer Stat an ſeine Stelle getreten, deſſen Wille und Macht nun entſcheiden. Eben
deßhalb verſteht ſich auch die Fortdauer der bisherigen Verfaſſung und des bisherigen
öffentlichen Rechts nicht von ſelber. In den wichtigſten Beziehungen — insbeſondere
der politiſchen Regierung und Vertretung — iſt dieſelbe geradezu unmöglich ge-
worden, wenn der Nachfolgeſtat wirklich zur Herrſchaft und Entwicklung gelangen
ſoll. Sie können daher nur inſoweit fortdauern, als der Nachfolgeſtat das für
zuläſſig erachtet und ſeinerſeits gutheißt.
Wohl aber laſſen ſich auch bei Einverleibungen beſtimmte Verfaſſungs-
zuſtände und Einrichtungen erhalten und es kommt wohl vor, daß das ver-
tragsmäßig verabredet wird. So ſind z. B. bei der Vereinigung der deutſchen
Oſtſeeländer mit dem Ruſſiſchen Reiche beſtimmte Zuſicherungen gegeben worden,
zum Schutz der beſtehenden politiſchen und confeſſionellen Rechte der Bewohner.
Ebenſo enthält die Wiener Congreßacte manche derartige Vorbehalte bezüglich
der Zutheilung von Ländern an die anerkannten europäiſchen Staten. Dieſelben haben
freilich nur eine beſchränkte Wirkſamkeit und ſind immerhin unſicher, weil die Eini-
gung innerhalb eines States mit der Zeit Fortſchritte macht, und es ſchwer, oft un-
möglich und unzuläſſig iſt, der ſouveränen Statsgewalt Widerſtand zu leiſten, wenn
ſie an die Stelle des alten ein neues Recht zu ſetzen entſchloſſen iſt.
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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/101>, abgerufen am 22.11.2024.
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