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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868.

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Völkerrechtliche Personen.
ständig zu besorgen, und ob sie geneigt sei, das so zu thun, daß dabei die Interessen
des Hauptstates nicht verletzt werden. Wenn sie unfähig und feindlich gesinnt ist, so
wird ihr entweder überhaupt keine Selbständigkeit verstattet oder dafür gesorgt wer-
den, daß die Verwaltung der besonderen Landesinteressen nicht der unterworfenen
Bevölkerung überlassen, sondern von der dahin verpflanzten Colonie des Herrscher-
volkes besorgt werde. Da diese Nebenländer meistens durch Eroberung dem Haupt-
state unterworfen worden sind, wie z. B. die Ostindischen Länder den Engländern,
Algier dem Französischen State, so ist es schwerer, dieselben zu statlicher Selb-
ständigkeit heranzubilden, als die eigentlichen Colonialländer.

C. Rechtsgleichheit.
81.

Jeder Stat ist als Rechtsperson dem andern State gleich. An dem
Völkerrecht haben alle Staten gleichen Antheil und gleichen Anspruch auf
Achtung ihrer Existenz.

Die Rechtsgleichheit der Staten ist ebenso zu verstehen, wie die Rechtsgleich-
heit der Privatpersonen. Der Unterschied der Größe, der Macht, des Ranges ändert
an der wesentlichen Gleichheit Nichts, welche in der Anerkennung aller dieser Per-
sonen als Rechtswesen und der gleichmäßigen Anwendung der völkerrechtlichen
Grundsätze auf Alle besteht.

82.

Kein Stat ist berechtigt, die individuellen Kennzeichen eines andern
Stats -- dessen Namen, Wappen, Fahne, Flagge -- sich anzueignen oder
zu mißbrauchen.

In diesen Zeichen spricht sich die besondere Persönlichkeit eines Sta-
tes aus und jeder Stat hat ein Recht, in derselben geachtet zu werden. Die Rechts-
gleichheit verwischt nicht die individuelle Verschiedenheit, sondern erkennt sie an und
schützt sie für Alle. Selbstverständlich geht hier die ältere Wahl solcher Namen und
Zeichen der späteren vor. So weit jene vollzogen ist, muß diese sie als bereits vor-
handenes Recht respectiren und darf keine Verwirrung stiften durch Aneignung der-
selben Namen und Zeichen.

83.

Jeder Stat hat gleichen Anspruch darauf, als eine geistig-sittliche
und als eine Rechtsperson geachtet zu werden, und demgemäß auch ein
Recht auf Ehre. Die Verletzung der Statsehre begründet das Recht,
Genugthuung zu fordern.

Völkerrechtliche Perſonen.
ſtändig zu beſorgen, und ob ſie geneigt ſei, das ſo zu thun, daß dabei die Intereſſen
des Hauptſtates nicht verletzt werden. Wenn ſie unfähig und feindlich geſinnt iſt, ſo
wird ihr entweder überhaupt keine Selbſtändigkeit verſtattet oder dafür geſorgt wer-
den, daß die Verwaltung der beſonderen Landesintereſſen nicht der unterworfenen
Bevölkerung überlaſſen, ſondern von der dahin verpflanzten Colonie des Herrſcher-
volkes beſorgt werde. Da dieſe Nebenländer meiſtens durch Eroberung dem Haupt-
ſtate unterworfen worden ſind, wie z. B. die Oſtindiſchen Länder den Engländern,
Algier dem Franzöſiſchen State, ſo iſt es ſchwerer, dieſelben zu ſtatlicher Selb-
ſtändigkeit heranzubilden, als die eigentlichen Colonialländer.

C. Rechtsgleichheit.
81.

Jeder Stat iſt als Rechtsperſon dem andern State gleich. An dem
Völkerrecht haben alle Staten gleichen Antheil und gleichen Anſpruch auf
Achtung ihrer Exiſtenz.

Die Rechtsgleichheit der Staten iſt ebenſo zu verſtehen, wie die Rechtsgleich-
heit der Privatperſonen. Der Unterſchied der Größe, der Macht, des Ranges ändert
an der weſentlichen Gleichheit Nichts, welche in der Anerkennung aller dieſer Per-
ſonen als Rechtsweſen und der gleichmäßigen Anwendung der völkerrechtlichen
Grundſätze auf Alle beſteht.

82.

Kein Stat iſt berechtigt, die individuellen Kennzeichen eines andern
Stats — deſſen Namen, Wappen, Fahne, Flagge — ſich anzueignen oder
zu mißbrauchen.

In dieſen Zeichen ſpricht ſich die beſondere Perſönlichkeit eines Sta-
tes aus und jeder Stat hat ein Recht, in derſelben geachtet zu werden. Die Rechts-
gleichheit verwiſcht nicht die individuelle Verſchiedenheit, ſondern erkennt ſie an und
ſchützt ſie für Alle. Selbſtverſtändlich geht hier die ältere Wahl ſolcher Namen und
Zeichen der ſpäteren vor. So weit jene vollzogen iſt, muß dieſe ſie als bereits vor-
handenes Recht reſpectiren und darf keine Verwirrung ſtiften durch Aneignung der-
ſelben Namen und Zeichen.

83.

Jeder Stat hat gleichen Anſpruch darauf, als eine geiſtig-ſittliche
und als eine Rechtsperſon geachtet zu werden, und demgemäß auch ein
Recht auf Ehre. Die Verletzung der Statsehre begründet das Recht,
Genugthuung zu fordern.

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[91/0113] Völkerrechtliche Perſonen. ſtändig zu beſorgen, und ob ſie geneigt ſei, das ſo zu thun, daß dabei die Intereſſen des Hauptſtates nicht verletzt werden. Wenn ſie unfähig und feindlich geſinnt iſt, ſo wird ihr entweder überhaupt keine Selbſtändigkeit verſtattet oder dafür geſorgt wer- den, daß die Verwaltung der beſonderen Landesintereſſen nicht der unterworfenen Bevölkerung überlaſſen, ſondern von der dahin verpflanzten Colonie des Herrſcher- volkes beſorgt werde. Da dieſe Nebenländer meiſtens durch Eroberung dem Haupt- ſtate unterworfen worden ſind, wie z. B. die Oſtindiſchen Länder den Engländern, Algier dem Franzöſiſchen State, ſo iſt es ſchwerer, dieſelben zu ſtatlicher Selb- ſtändigkeit heranzubilden, als die eigentlichen Colonialländer. C. Rechtsgleichheit. 81. Jeder Stat iſt als Rechtsperſon dem andern State gleich. An dem Völkerrecht haben alle Staten gleichen Antheil und gleichen Anſpruch auf Achtung ihrer Exiſtenz. Die Rechtsgleichheit der Staten iſt ebenſo zu verſtehen, wie die Rechtsgleich- heit der Privatperſonen. Der Unterſchied der Größe, der Macht, des Ranges ändert an der weſentlichen Gleichheit Nichts, welche in der Anerkennung aller dieſer Per- ſonen als Rechtsweſen und der gleichmäßigen Anwendung der völkerrechtlichen Grundſätze auf Alle beſteht. 82. Kein Stat iſt berechtigt, die individuellen Kennzeichen eines andern Stats — deſſen Namen, Wappen, Fahne, Flagge — ſich anzueignen oder zu mißbrauchen. In dieſen Zeichen ſpricht ſich die beſondere Perſönlichkeit eines Sta- tes aus und jeder Stat hat ein Recht, in derſelben geachtet zu werden. Die Rechts- gleichheit verwiſcht nicht die individuelle Verſchiedenheit, ſondern erkennt ſie an und ſchützt ſie für Alle. Selbſtverſtändlich geht hier die ältere Wahl ſolcher Namen und Zeichen der ſpäteren vor. So weit jene vollzogen iſt, muß dieſe ſie als bereits vor- handenes Recht reſpectiren und darf keine Verwirrung ſtiften durch Aneignung der- ſelben Namen und Zeichen. 83. Jeder Stat hat gleichen Anſpruch darauf, als eine geiſtig-ſittliche und als eine Rechtsperſon geachtet zu werden, und demgemäß auch ein Recht auf Ehre. Die Verletzung der Statsehre begründet das Recht, Genugthuung zu fordern.

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 91. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/113>, abgerufen am 27.11.2024.