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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868.

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Zweites Buch.

Auch in dieser Beziehung verhält es sich mit den Staten ähnlich, wie mit
den einzelnen Menschen. Der Mensch als solcher hat eine Würde und es gibt eine
gemeinsame Menschenehre wie eine Statsehre, die im Verkehr mit Menschen und
Staten nicht verletzt werden darf. Freilich kann auch ein Stat in einzelnen Fällen
eine unsittliche und eine geistig-niedrige Politik verfolgen, wie ein einzelner Mensch
zuweilen schlecht und dumm handeln kann; und natürlich wird dieses Verhalten auch
einen Einfluß üben auf die öffentliche Meinung und auf das Vertrauen der übrigen
Staten. Aber der Rechtsanspruch auf die allgemeine Statsehre wird dadurch so
wenig zerstört, als das Recht jener Privatpersonen auf Anerkennung der gemeinen
Menschenehre, durch einzelne Fehler. Die Menschenehre strahlt immer wieder neu
hervor aus der an sich hohen Menschennatur, dem Ebenbilde Gottes, und ebenso die
Statsehre aus dem majestätischen Wesen des States, das heißt der einheitlichen und
männlichen Gestaltung des Völkerlebens.

84.

Aus der persönlichen Rechtsgleichheit der Staten folgt nicht gleicher
Rang derselben noch das Recht eines jeden States, einen beliebigen hohen
Titel anzunehmen. Aber es steht einem jeden State zu, einen seiner Be-
deutung und Machtstellung entsprechenden Titel zu wählen.

Die beiden Sätze, daß jeder Stat Anspruch habe auf gleichen Rang, und
daß jeder Stat beliebige Titel annehmen könne, die man zuweilen aus der mißver-
standenen Rechtsgleichheit gefolgert hat, sind falsch. Denn der Rang, den ein
Stat in der Gesellschaft der übrigen Staten einnimmt, ist nicht eine einfache Wir-
kung seiner Persönlichkeit, welche für alle Staten dieselbe rechtliche Bedeutung hat,
sondern er ist die Wirkung der Machtstellung und des Einflusses, welche verschieden
sind unter den Staten. Der Titel aber bezeichnet den Rang, den ein Stat unter
den andern einnimmt und kann eben deßhalb nicht willkürlich von jenem ohne Rück-
sicht auf diese gewählt werden. Es war der Gipfel der Lächerlichkeit, als ein Neger-
häuptling auf Haiti den Kaisertitel für seine Flitterkrone in Anspruch nahm. Als
der Kurfürst Friedrich I. von Brandenburg im Jahr 1700 den Königstitel an-
nahm, konnte die innere Berechtigung desselben noch bezweifelt werden, aber die Ge-
schichte des Preußischen Stats hat seither alle Zweifel zerstreut. Aehnlich verhält es
sich mit der Annahme des Kaisertitels durch Peter den Großen, welche nur sehr
allmählich Anerkennung fand, (von dem deutschen Kaiser erst 1744, von Frankreich
erst 1762 und von Polen 1764) und in unserm Jahrhunderte durch Frankreich
und Oesterreich. Auf dem Aachener Congreß erklärten die fünf Großmächte aus-
drücklich in dem Protokoll vom 11. Oct. 1818, daß dem Wunsche des Kurfürsten
von Hessen auf den Titel eines Königs nicht zu entsprechen sei und daß sie über-
haupt in Zukunft über andere Titelerhöhungen gemeinsam verhandeln wollen.

85.

Auf kaiserlichen Rang und Titel haben nur diejenigen Staten einen
natürlichen Anspruch, welche nicht eine bloße nationale, sondern eine uni-

Zweites Buch.

Auch in dieſer Beziehung verhält es ſich mit den Staten ähnlich, wie mit
den einzelnen Menſchen. Der Menſch als ſolcher hat eine Würde und es gibt eine
gemeinſame Menſchenehre wie eine Statsehre, die im Verkehr mit Menſchen und
Staten nicht verletzt werden darf. Freilich kann auch ein Stat in einzelnen Fällen
eine unſittliche und eine geiſtig-niedrige Politik verfolgen, wie ein einzelner Menſch
zuweilen ſchlecht und dumm handeln kann; und natürlich wird dieſes Verhalten auch
einen Einfluß üben auf die öffentliche Meinung und auf das Vertrauen der übrigen
Staten. Aber der Rechtsanſpruch auf die allgemeine Statsehre wird dadurch ſo
wenig zerſtört, als das Recht jener Privatperſonen auf Anerkennung der gemeinen
Menſchenehre, durch einzelne Fehler. Die Menſchenehre ſtrahlt immer wieder neu
hervor aus der an ſich hohen Menſchennatur, dem Ebenbilde Gottes, und ebenſo die
Statsehre aus dem majeſtätiſchen Weſen des States, das heißt der einheitlichen und
männlichen Geſtaltung des Völkerlebens.

84.

Aus der perſönlichen Rechtsgleichheit der Staten folgt nicht gleicher
Rang derſelben noch das Recht eines jeden States, einen beliebigen hohen
Titel anzunehmen. Aber es ſteht einem jeden State zu, einen ſeiner Be-
deutung und Machtſtellung entſprechenden Titel zu wählen.

Die beiden Sätze, daß jeder Stat Anſpruch habe auf gleichen Rang, und
daß jeder Stat beliebige Titel annehmen könne, die man zuweilen aus der mißver-
ſtandenen Rechtsgleichheit gefolgert hat, ſind falſch. Denn der Rang, den ein
Stat in der Geſellſchaft der übrigen Staten einnimmt, iſt nicht eine einfache Wir-
kung ſeiner Perſönlichkeit, welche für alle Staten dieſelbe rechtliche Bedeutung hat,
ſondern er iſt die Wirkung der Machtſtellung und des Einfluſſes, welche verſchieden
ſind unter den Staten. Der Titel aber bezeichnet den Rang, den ein Stat unter
den andern einnimmt und kann eben deßhalb nicht willkürlich von jenem ohne Rück-
ſicht auf dieſe gewählt werden. Es war der Gipfel der Lächerlichkeit, als ein Neger-
häuptling auf Haiti den Kaiſertitel für ſeine Flitterkrone in Anſpruch nahm. Als
der Kurfürſt Friedrich I. von Brandenburg im Jahr 1700 den Königstitel an-
nahm, konnte die innere Berechtigung desſelben noch bezweifelt werden, aber die Ge-
ſchichte des Preußiſchen Stats hat ſeither alle Zweifel zerſtreut. Aehnlich verhält es
ſich mit der Annahme des Kaiſertitels durch Peter den Großen, welche nur ſehr
allmählich Anerkennung fand, (von dem deutſchen Kaiſer erſt 1744, von Frankreich
erſt 1762 und von Polen 1764) und in unſerm Jahrhunderte durch Frankreich
und Oeſterreich. Auf dem Aachener Congreß erklärten die fünf Großmächte aus-
drücklich in dem Protokoll vom 11. Oct. 1818, daß dem Wunſche des Kurfürſten
von Heſſen auf den Titel eines Königs nicht zu entſprechen ſei und daß ſie über-
haupt in Zukunft über andere Titelerhöhungen gemeinſam verhandeln wollen.

85.

Auf kaiſerlichen Rang und Titel haben nur diejenigen Staten einen
natürlichen Anſpruch, welche nicht eine bloße nationale, ſondern eine uni-

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[92/0114] Zweites Buch. Auch in dieſer Beziehung verhält es ſich mit den Staten ähnlich, wie mit den einzelnen Menſchen. Der Menſch als ſolcher hat eine Würde und es gibt eine gemeinſame Menſchenehre wie eine Statsehre, die im Verkehr mit Menſchen und Staten nicht verletzt werden darf. Freilich kann auch ein Stat in einzelnen Fällen eine unſittliche und eine geiſtig-niedrige Politik verfolgen, wie ein einzelner Menſch zuweilen ſchlecht und dumm handeln kann; und natürlich wird dieſes Verhalten auch einen Einfluß üben auf die öffentliche Meinung und auf das Vertrauen der übrigen Staten. Aber der Rechtsanſpruch auf die allgemeine Statsehre wird dadurch ſo wenig zerſtört, als das Recht jener Privatperſonen auf Anerkennung der gemeinen Menſchenehre, durch einzelne Fehler. Die Menſchenehre ſtrahlt immer wieder neu hervor aus der an ſich hohen Menſchennatur, dem Ebenbilde Gottes, und ebenſo die Statsehre aus dem majeſtätiſchen Weſen des States, das heißt der einheitlichen und männlichen Geſtaltung des Völkerlebens. 84. Aus der perſönlichen Rechtsgleichheit der Staten folgt nicht gleicher Rang derſelben noch das Recht eines jeden States, einen beliebigen hohen Titel anzunehmen. Aber es ſteht einem jeden State zu, einen ſeiner Be- deutung und Machtſtellung entſprechenden Titel zu wählen. Die beiden Sätze, daß jeder Stat Anſpruch habe auf gleichen Rang, und daß jeder Stat beliebige Titel annehmen könne, die man zuweilen aus der mißver- ſtandenen Rechtsgleichheit gefolgert hat, ſind falſch. Denn der Rang, den ein Stat in der Geſellſchaft der übrigen Staten einnimmt, iſt nicht eine einfache Wir- kung ſeiner Perſönlichkeit, welche für alle Staten dieſelbe rechtliche Bedeutung hat, ſondern er iſt die Wirkung der Machtſtellung und des Einfluſſes, welche verſchieden ſind unter den Staten. Der Titel aber bezeichnet den Rang, den ein Stat unter den andern einnimmt und kann eben deßhalb nicht willkürlich von jenem ohne Rück- ſicht auf dieſe gewählt werden. Es war der Gipfel der Lächerlichkeit, als ein Neger- häuptling auf Haiti den Kaiſertitel für ſeine Flitterkrone in Anſpruch nahm. Als der Kurfürſt Friedrich I. von Brandenburg im Jahr 1700 den Königstitel an- nahm, konnte die innere Berechtigung desſelben noch bezweifelt werden, aber die Ge- ſchichte des Preußiſchen Stats hat ſeither alle Zweifel zerſtreut. Aehnlich verhält es ſich mit der Annahme des Kaiſertitels durch Peter den Großen, welche nur ſehr allmählich Anerkennung fand, (von dem deutſchen Kaiſer erſt 1744, von Frankreich erſt 1762 und von Polen 1764) und in unſerm Jahrhunderte durch Frankreich und Oeſterreich. Auf dem Aachener Congreß erklärten die fünf Großmächte aus- drücklich in dem Protokoll vom 11. Oct. 1818, daß dem Wunſche des Kurfürſten von Heſſen auf den Titel eines Königs nicht zu entſprechen ſei und daß ſie über- haupt in Zukunft über andere Titelerhöhungen gemeinſam verhandeln wollen. 85. Auf kaiſerlichen Rang und Titel haben nur diejenigen Staten einen natürlichen Anſpruch, welche nicht eine bloße nationale, ſondern eine uni-

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/114>, abgerufen am 27.11.2024.