Feststellung derselben mit den europäischen Großstaten auch die außereuro- päischen Weltmächte, insbesondere die amerikanischen Großstaten, zusammen- treten und zusammenwirken, d. h. wenn der Congreß als Weltcongreß erscheint.
Vgl. oben § 7.
113.
Auf den Statencongressen entscheidet, in Ermanglung einer schützen- den Organisation, nicht die Meinung oder der Wille der Mehrheit. Die Minderheit ist nicht von Rechtswegen verpflichtet, sich der Mehrheit unter- zuordnen. Ein einzelner Stat kann möglicher Weise mit Recht seine ab- weichende Meinung behaupten. Aber wenn die Mehrheit sich für die Nothwendigkeit eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes erklärt, so ist das immer- hin ein beachtenswerthes Zeugniß für das derzeitige allgemeine Rechts- bewußtsein der gebildeten Völker; und wenn gleich die Mehrheit keine for- melle Herrschaft hat über die Minderheit, so liegt doch in der Verletzung eines Grundsatzes, den jene für einen allgemein verbindlichen Rechtssatz erklärt, eine ernste Gefahr für den verletzenden Stat.
Wenn dereinst die Congresse organisirt sein werden, dann wird auch eine Be- schlußfassung mit Mehrheit möglich werden. Es ist eine Unvollkommenheit des jetzi- gen Rechtszustandes, daß der einzelne Stat allen andern gegenüber auch seine Willkür als Recht behaupten kann, welche an die noch barbarische Sitte der alten Germani- schen Rechtsfindung erinnert, in welcher nicht die Mehrheit der Stimmen, sondern die Tapferkeit der Fäuste entschieden hat oder an das berüchtigte Veto der einzelnen Polnischen Magnaten, welche das Zustandekommen der Gesetze zu hindern vermocht hat. Aber wie gefährlich die einfache Einführung des Mehrheitsprincips ohne Ga- rantien gegen den Mißbrauch wäre, zeigt schon der Hinblick auf den Gegensatz der Verfassungen. Wollte die monarchische Mehrheit der europäischen Staten die repu- blikanische Schweiz nach monarchischen Grundsätzen bemessen, so würde das offen- bares Unrecht sein, ebenso wie die Beurtheilung des Russischen Stats nach den con- stitutionellen Systemen der übrigen europäischen Staaten unrichtig wäre.
114.
Die gegenwärtige Uebung, wornach auf den Congressen nur die Regierungen der Staten vertreten sind, stimmt nicht zu dem repräsentativen Charakter des modernen Statsrechts und ist keineswegs ohne Gefahr für die Verfassungen der einzelnen Staten.
Jener Widerspruch und diese Gefahr lassen sich heben oder ermäßigen:
a) durch Vollmachten auch von Seite der Volksvertretung der Einzelstaten,
Zweites Buch.
Feſtſtellung derſelben mit den europäiſchen Großſtaten auch die außereuro- päiſchen Weltmächte, insbeſondere die amerikaniſchen Großſtaten, zuſammen- treten und zuſammenwirken, d. h. wenn der Congreß als Weltcongreß erſcheint.
Vgl. oben § 7.
113.
Auf den Statencongreſſen entſcheidet, in Ermanglung einer ſchützen- den Organiſation, nicht die Meinung oder der Wille der Mehrheit. Die Minderheit iſt nicht von Rechtswegen verpflichtet, ſich der Mehrheit unter- zuordnen. Ein einzelner Stat kann möglicher Weiſe mit Recht ſeine ab- weichende Meinung behaupten. Aber wenn die Mehrheit ſich für die Nothwendigkeit eines allgemeinen Rechtsgrundſatzes erklärt, ſo iſt das immer- hin ein beachtenswerthes Zeugniß für das derzeitige allgemeine Rechts- bewußtſein der gebildeten Völker; und wenn gleich die Mehrheit keine for- melle Herrſchaft hat über die Minderheit, ſo liegt doch in der Verletzung eines Grundſatzes, den jene für einen allgemein verbindlichen Rechtsſatz erklärt, eine ernſte Gefahr für den verletzenden Stat.
Wenn dereinſt die Congreſſe organiſirt ſein werden, dann wird auch eine Be- ſchlußfaſſung mit Mehrheit möglich werden. Es iſt eine Unvollkommenheit des jetzi- gen Rechtszuſtandes, daß der einzelne Stat allen andern gegenüber auch ſeine Willkür als Recht behaupten kann, welche an die noch barbariſche Sitte der alten Germani- ſchen Rechtsfindung erinnert, in welcher nicht die Mehrheit der Stimmen, ſondern die Tapferkeit der Fäuſte entſchieden hat oder an das berüchtigte Veto der einzelnen Polniſchen Magnaten, welche das Zuſtandekommen der Geſetze zu hindern vermocht hat. Aber wie gefährlich die einfache Einführung des Mehrheitsprincips ohne Ga- rantien gegen den Mißbrauch wäre, zeigt ſchon der Hinblick auf den Gegenſatz der Verfaſſungen. Wollte die monarchiſche Mehrheit der europäiſchen Staten die repu- blikaniſche Schweiz nach monarchiſchen Grundſätzen bemeſſen, ſo würde das offen- bares Unrecht ſein, ebenſo wie die Beurtheilung des Ruſſiſchen Stats nach den con- ſtitutionellen Syſtemen der übrigen europäiſchen Staaten unrichtig wäre.
114.
Die gegenwärtige Uebung, wornach auf den Congreſſen nur die Regierungen der Staten vertreten ſind, ſtimmt nicht zu dem repräſentativen Charakter des modernen Statsrechts und iſt keineswegs ohne Gefahr für die Verfaſſungen der einzelnen Staten.
Jener Widerſpruch und dieſe Gefahr laſſen ſich heben oder ermäßigen:
a) durch Vollmachten auch von Seite der Volksvertretung der Einzelſtaten,
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Zweites Buch.
Feſtſtellung derſelben mit den europäiſchen Großſtaten auch die außereuro-
päiſchen Weltmächte, insbeſondere die amerikaniſchen Großſtaten, zuſammen-
treten und zuſammenwirken, d. h. wenn der Congreß als Weltcongreß
erſcheint.
Vgl. oben § 7.
113.
Auf den Statencongreſſen entſcheidet, in Ermanglung einer ſchützen-
den Organiſation, nicht die Meinung oder der Wille der Mehrheit. Die
Minderheit iſt nicht von Rechtswegen verpflichtet, ſich der Mehrheit unter-
zuordnen. Ein einzelner Stat kann möglicher Weiſe mit Recht ſeine ab-
weichende Meinung behaupten. Aber wenn die Mehrheit ſich für die
Nothwendigkeit eines allgemeinen Rechtsgrundſatzes erklärt, ſo iſt das immer-
hin ein beachtenswerthes Zeugniß für das derzeitige allgemeine Rechts-
bewußtſein der gebildeten Völker; und wenn gleich die Mehrheit keine for-
melle Herrſchaft hat über die Minderheit, ſo liegt doch in der Verletzung
eines Grundſatzes, den jene für einen allgemein verbindlichen Rechtsſatz
erklärt, eine ernſte Gefahr für den verletzenden Stat.
Wenn dereinſt die Congreſſe organiſirt ſein werden, dann wird auch eine Be-
ſchlußfaſſung mit Mehrheit möglich werden. Es iſt eine Unvollkommenheit des jetzi-
gen Rechtszuſtandes, daß der einzelne Stat allen andern gegenüber auch ſeine Willkür
als Recht behaupten kann, welche an die noch barbariſche Sitte der alten Germani-
ſchen Rechtsfindung erinnert, in welcher nicht die Mehrheit der Stimmen, ſondern
die Tapferkeit der Fäuſte entſchieden hat oder an das berüchtigte Veto der einzelnen
Polniſchen Magnaten, welche das Zuſtandekommen der Geſetze zu hindern vermocht
hat. Aber wie gefährlich die einfache Einführung des Mehrheitsprincips ohne Ga-
rantien gegen den Mißbrauch wäre, zeigt ſchon der Hinblick auf den Gegenſatz der
Verfaſſungen. Wollte die monarchiſche Mehrheit der europäiſchen Staten die repu-
blikaniſche Schweiz nach monarchiſchen Grundſätzen bemeſſen, ſo würde das offen-
bares Unrecht ſein, ebenſo wie die Beurtheilung des Ruſſiſchen Stats nach den con-
ſtitutionellen Syſtemen der übrigen europäiſchen Staaten unrichtig wäre.
114.
Die gegenwärtige Uebung, wornach auf den Congreſſen nur die
Regierungen der Staten vertreten ſind, ſtimmt nicht zu dem repräſentativen
Charakter des modernen Statsrechts und iſt keineswegs ohne Gefahr für
die Verfaſſungen der einzelnen Staten.
Jener Widerſpruch und dieſe Gefahr laſſen ſich heben oder ermäßigen:
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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 104. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/126>, abgerufen am 26.11.2024.
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