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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868.

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Die Statshoheit im Verhältniß zum Land. Gebietshoheit.

Da kein Stat eine Policeigewalt über fremde Schiffe auf
offener See hat
, so darf er auch keine Handlungen vornehmen, welche sich nur
aus einem Rechte der Policeiaufsicht erklären und begründen ließen. Die fremden
Schiffe sind durchaus nicht schuldig, anzuhalten, sondern berechtigt, ohne Rücksicht auf
die Zumuthungen eines andern Schiffs ihre Reise fortzusetzen. Zuweilen haben wohl
seemächtige Staten weiter gehende Ansprüche gemacht und gelegentlich eine Art von
Seepolicei auch über fremde Schiffe üben wollen. Aber es wird das heute nicht
mehr zugestanden und diese Anmaßung ist wenigstens thatsächlich selbst von England
aufgegeben.

342.

Wenn jedoch die Mannschaft eines fremden Schiffes in den Eigen-
gewässern eines States oder auf dem Lande ein Vergehen verübt hat und
deßhalb von der einheimischen Strafgerichtsbarkeit verfolgt wird, so darf die
Verfolgung gegen das fliehende Schiff über die Eigengewässer hinaus in
die offene See fortgesetzt werden.

Ist aber einmal das Schiff dieser Verfolgung entgangen, so darf es
später nicht mehr auf offener See von den Schiffen des verletzten States
angegriffen werden.

Die Verfolgung auf die offene See hinein gilt dann nur als Fortsetzung
der in den Eigengewässern begonnenen Verfolgung und die Rechtfertigung die-
ser wird auf jene ausgedehnt. Diese Ausdehnung ist aber nöthig, um die Wirk-
samkeit des Strafrechts zu sichern. Dieselbe findet ihre nothwendige Grenze, wenn
die Verfolgung abgebrochen werden muß.

343.

Die Piratenschiffe werden wegen ihrer Gemeingefährlichkeit nicht ge-
duldet. Sie haben keinen Anspruch auf den Schutz der Flagge und
können jeder Zeit auch auf offener See angegriffen und weggenommen
werden.

Als Piraten-, Räuber-, Seeräuberschiffe werden die Schiffe betrach-
tet, welche ohne Ermächtigung eines kriegführenden States auf Beute fah-
ren, sei es auf Menschenraub, sei es auf Raub von Gütern (Schiffen
oder Waaren) oder auch auf böswillige Zerstörung von fremden Gütern
ausgehen.

Schon Cicero erklärt den "pirata" einen "communis hostis omnium"
(de offic. I.
3, 29). Die Seeräuber gelten als Feinde des Menschen-
geschlechts
und ihre Unterdrückung wird als ein Recht und eine Pflicht aller

Die Statshoheit im Verhältniß zum Land. Gebietshoheit.

Da kein Stat eine Policeigewalt über fremde Schiffe auf
offener See hat
, ſo darf er auch keine Handlungen vornehmen, welche ſich nur
aus einem Rechte der Policeiaufſicht erklären und begründen ließen. Die fremden
Schiffe ſind durchaus nicht ſchuldig, anzuhalten, ſondern berechtigt, ohne Rückſicht auf
die Zumuthungen eines andern Schiffs ihre Reiſe fortzuſetzen. Zuweilen haben wohl
ſeemächtige Staten weiter gehende Anſprüche gemacht und gelegentlich eine Art von
Seepolicei auch über fremde Schiffe üben wollen. Aber es wird das heute nicht
mehr zugeſtanden und dieſe Anmaßung iſt wenigſtens thatſächlich ſelbſt von England
aufgegeben.

342.

Wenn jedoch die Mannſchaft eines fremden Schiffes in den Eigen-
gewäſſern eines States oder auf dem Lande ein Vergehen verübt hat und
deßhalb von der einheimiſchen Strafgerichtsbarkeit verfolgt wird, ſo darf die
Verfolgung gegen das fliehende Schiff über die Eigengewäſſer hinaus in
die offene See fortgeſetzt werden.

Iſt aber einmal das Schiff dieſer Verfolgung entgangen, ſo darf es
ſpäter nicht mehr auf offener See von den Schiffen des verletzten States
angegriffen werden.

Die Verfolgung auf die offene See hinein gilt dann nur als Fortſetzung
der in den Eigengewäſſern begonnenen Verfolgung und die Rechtfertigung die-
ſer wird auf jene ausgedehnt. Dieſe Ausdehnung iſt aber nöthig, um die Wirk-
ſamkeit des Strafrechts zu ſichern. Dieſelbe findet ihre nothwendige Grenze, wenn
die Verfolgung abgebrochen werden muß.

343.

Die Piratenſchiffe werden wegen ihrer Gemeingefährlichkeit nicht ge-
duldet. Sie haben keinen Anſpruch auf den Schutz der Flagge und
können jeder Zeit auch auf offener See angegriffen und weggenommen
werden.

Als Piraten-, Räuber-, Seeräuberſchiffe werden die Schiffe betrach-
tet, welche ohne Ermächtigung eines kriegführenden States auf Beute fah-
ren, ſei es auf Menſchenraub, ſei es auf Raub von Gütern (Schiffen
oder Waaren) oder auch auf böswillige Zerſtörung von fremden Gütern
ausgehen.

Schon Cicero erklärt den „pirata“ einen „communis hostis omnium“
(de offic. I.
3, 29). Die Seeräuber gelten als Feinde des Menſchen-
geſchlechts
und ihre Unterdrückung wird als ein Recht und eine Pflicht aller

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[197/0219] Die Statshoheit im Verhältniß zum Land. Gebietshoheit. Da kein Stat eine Policeigewalt über fremde Schiffe auf offener See hat, ſo darf er auch keine Handlungen vornehmen, welche ſich nur aus einem Rechte der Policeiaufſicht erklären und begründen ließen. Die fremden Schiffe ſind durchaus nicht ſchuldig, anzuhalten, ſondern berechtigt, ohne Rückſicht auf die Zumuthungen eines andern Schiffs ihre Reiſe fortzuſetzen. Zuweilen haben wohl ſeemächtige Staten weiter gehende Anſprüche gemacht und gelegentlich eine Art von Seepolicei auch über fremde Schiffe üben wollen. Aber es wird das heute nicht mehr zugeſtanden und dieſe Anmaßung iſt wenigſtens thatſächlich ſelbſt von England aufgegeben. 342. Wenn jedoch die Mannſchaft eines fremden Schiffes in den Eigen- gewäſſern eines States oder auf dem Lande ein Vergehen verübt hat und deßhalb von der einheimiſchen Strafgerichtsbarkeit verfolgt wird, ſo darf die Verfolgung gegen das fliehende Schiff über die Eigengewäſſer hinaus in die offene See fortgeſetzt werden. Iſt aber einmal das Schiff dieſer Verfolgung entgangen, ſo darf es ſpäter nicht mehr auf offener See von den Schiffen des verletzten States angegriffen werden. Die Verfolgung auf die offene See hinein gilt dann nur als Fortſetzung der in den Eigengewäſſern begonnenen Verfolgung und die Rechtfertigung die- ſer wird auf jene ausgedehnt. Dieſe Ausdehnung iſt aber nöthig, um die Wirk- ſamkeit des Strafrechts zu ſichern. Dieſelbe findet ihre nothwendige Grenze, wenn die Verfolgung abgebrochen werden muß. 343. Die Piratenſchiffe werden wegen ihrer Gemeingefährlichkeit nicht ge- duldet. Sie haben keinen Anſpruch auf den Schutz der Flagge und können jeder Zeit auch auf offener See angegriffen und weggenommen werden. Als Piraten-, Räuber-, Seeräuberſchiffe werden die Schiffe betrach- tet, welche ohne Ermächtigung eines kriegführenden States auf Beute fah- ren, ſei es auf Menſchenraub, ſei es auf Raub von Gütern (Schiffen oder Waaren) oder auch auf böswillige Zerſtörung von fremden Gütern ausgehen. Schon Cicero erklärt den „pirata“ einen „communis hostis omnium“ (de offic. I. 3, 29). Die Seeräuber gelten als Feinde des Menſchen- geſchlechts und ihre Unterdrückung wird als ein Recht und eine Pflicht aller

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 197. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/219>, abgerufen am 26.11.2024.