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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868.

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Die Statshoheit im Verhältniß zum Land. Gebietshoheit.
sischen Könige nicht ratificirt, eben weil gegen dieses Untersuchungsrecht sich ernste
Bedenken erhoben. Die Diplomatie fing nun an, genauer zwischen einem Besuchs-
recht, droit de visite
, im engern Sinn und einem Durchsuchsrecht,
droit de perquisition
, zu unterscheiden. Endlich kam im Jahr 1845 ein
Vertrag zwischen England und Frankreich zu Stande, in welchem zwar das
alte Droit de visite (im weitern Sinn) aufgegeben, aber doch in Art. 7 bestimmt
wurde, daß die beiderseitigen Kreuzer an der afrikanischen Küste ermächtigt seien, die
wirkliche Nationalität der Schiffe zu prüfen, welche unter englischer
oder französischer Flagge fahren, und vielleicht nur unter dieser Flagge ihren Sclaven-
handel oder andere Verbrechen zu verbergen suchen. Zu diesem Behuf muß aber
natürlich das fremde Schiff doch besucht und seine Papiere müssen eingesehen wer-
den. Ergibt sich dabei, daß das Schiff wirklich einer Nation zugehört, deren Regie-
rung das Untersuchungsrecht nicht anerkennt, so muß dasselbe ohne Verzug verlassen
und jedenfalls über das ganze Verfahren genaues Protokoll geführt werden. Die
Instructionen der beiden Staten an ihre Kreuzer sind genau und werden wechselseitig
mitgetheilt. Die lebhafteste Einsprache machten die Vereinigten Staten von
Nordamerika gegen das Durchsuchungsrecht, indem sie die Gefahr für die freie
Schiffahrt lebhaft betonten, welche eine derartige Seepolicei vorzüglich Englands zur
Folge haben würde. Der Präsident Webster behauptete, daß das Droit de visite
und das rhigt of search bisher immer als dasselbe Recht betrachtet und nur
als Kriegsrecht, nicht im Frieden anerkannt worden sei. Die Vereinigten Staten
erklärten daher, ein derartiges Recht keiner Seemacht zuzugestehen. Dagegen ver-
standen sich die Vereinigten Staten dazu, an der afrikanischen Küste gemeinsam mit
England Kreuzer zu halten, um den Sclavenhandel möglichst zu verhindern. Man
sieht, der Widerspruch der Vereinigten Staten war von Einfluß auch auf das Ver-
halten von Frankreich. Auch mit Brasilien gerieth England über diese Seepolicei
im Jahr 1845 in Streit. Seither hat sich die Gefahr einer ungebührlichen See-
herrschaft Englands erheblich vermindert, indem auch andere Staten eine ansehnliche
Kriegsmarine inzwischen geschaffen haben und England die Freiheit des Meers im
Princip und in dessen Consequenzen umfassender als früher anerkennt. Mir scheint,
daß ein wechselseitiges Besuchsrecht gegenüber von Schiffen, welche verdäch-
tig sind, eine falsche Flagge zu führen und zugleich als Sclavenschiffe benutzt zu
werden, wenn dieses Recht in wohlgeordneten Formen und mit den nöthigen Ga-
rantien gegen Mißbrauch ausgeübt wird, gefahrlos für den redlichen Schiffahrtsver-
kehr und dennoch ein nothwendiges Mittel sei, das Verbot der Negerzufuhr wirksam
zu machen. Das andere Mittel, eigene Kreuzer zu halten, welche fortwährend eine
Küste beaufsichtigen, ist zu kostbar und in der Praxis ohne Anhalten der verdächtigen
Schiffe doch nicht durchzuführen. Der Besuch des vermeintlichen Sclavenschiffs hat
sich jedoch fürs erste auf die Prüfung der Nationalität des Schiffs zu
beschränken und darf nur, wenn weitere Verdachtsgründe sich ergeben,
zu einer Durchsuchung führen.


Die Statshoheit im Verhältniß zum Land. Gebietshoheit.
ſiſchen Könige nicht ratificirt, eben weil gegen dieſes Unterſuchungsrecht ſich ernſte
Bedenken erhoben. Die Diplomatie fing nun an, genauer zwiſchen einem Beſuchs-
recht, droit de visite
, im engern Sinn und einem Durchſuchsrecht,
droit de perquisition
, zu unterſcheiden. Endlich kam im Jahr 1845 ein
Vertrag zwiſchen England und Frankreich zu Stande, in welchem zwar das
alte Droit de visite (im weitern Sinn) aufgegeben, aber doch in Art. 7 beſtimmt
wurde, daß die beiderſeitigen Kreuzer an der afrikaniſchen Küſte ermächtigt ſeien, die
wirkliche Nationalität der Schiffe zu prüfen, welche unter engliſcher
oder franzöſiſcher Flagge fahren, und vielleicht nur unter dieſer Flagge ihren Sclaven-
handel oder andere Verbrechen zu verbergen ſuchen. Zu dieſem Behuf muß aber
natürlich das fremde Schiff doch beſucht und ſeine Papiere müſſen eingeſehen wer-
den. Ergibt ſich dabei, daß das Schiff wirklich einer Nation zugehört, deren Regie-
rung das Unterſuchungsrecht nicht anerkennt, ſo muß dasſelbe ohne Verzug verlaſſen
und jedenfalls über das ganze Verfahren genaues Protokoll geführt werden. Die
Inſtructionen der beiden Staten an ihre Kreuzer ſind genau und werden wechſelſeitig
mitgetheilt. Die lebhafteſte Einſprache machten die Vereinigten Staten von
Nordamerika gegen das Durchſuchungsrecht, indem ſie die Gefahr für die freie
Schiffahrt lebhaft betonten, welche eine derartige Seepolicei vorzüglich Englands zur
Folge haben würde. Der Präſident Webſter behauptete, daß das Droit de visite
und das rhigt of search bisher immer als dasſelbe Recht betrachtet und nur
als Kriegsrecht, nicht im Frieden anerkannt worden ſei. Die Vereinigten Staten
erklärten daher, ein derartiges Recht keiner Seemacht zuzugeſtehen. Dagegen ver-
ſtanden ſich die Vereinigten Staten dazu, an der afrikaniſchen Küſte gemeinſam mit
England Kreuzer zu halten, um den Sclavenhandel möglichſt zu verhindern. Man
ſieht, der Widerſpruch der Vereinigten Staten war von Einfluß auch auf das Ver-
halten von Frankreich. Auch mit Braſilien gerieth England über dieſe Seepolicei
im Jahr 1845 in Streit. Seither hat ſich die Gefahr einer ungebührlichen See-
herrſchaft Englands erheblich vermindert, indem auch andere Staten eine anſehnliche
Kriegsmarine inzwiſchen geſchaffen haben und England die Freiheit des Meers im
Princip und in deſſen Conſequenzen umfaſſender als früher anerkennt. Mir ſcheint,
daß ein wechſelſeitiges Beſuchsrecht gegenüber von Schiffen, welche verdäch-
tig ſind, eine falſche Flagge zu führen und zugleich als Sclavenſchiffe benutzt zu
werden, wenn dieſes Recht in wohlgeordneten Formen und mit den nöthigen Ga-
rantien gegen Mißbrauch ausgeübt wird, gefahrlos für den redlichen Schiffahrtsver-
kehr und dennoch ein nothwendiges Mittel ſei, das Verbot der Negerzufuhr wirkſam
zu machen. Das andere Mittel, eigene Kreuzer zu halten, welche fortwährend eine
Küſte beaufſichtigen, iſt zu koſtbar und in der Praxis ohne Anhalten der verdächtigen
Schiffe doch nicht durchzuführen. Der Beſuch des vermeintlichen Sclavenſchiffs hat
ſich jedoch fürs erſte auf die Prüfung der Nationalität des Schiffs zu
beſchränken und darf nur, wenn weitere Verdachtsgründe ſich ergeben,
zu einer Durchſuchung führen.


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[203/0225] Die Statshoheit im Verhältniß zum Land. Gebietshoheit. ſiſchen Könige nicht ratificirt, eben weil gegen dieſes Unterſuchungsrecht ſich ernſte Bedenken erhoben. Die Diplomatie fing nun an, genauer zwiſchen einem Beſuchs- recht, droit de visite, im engern Sinn und einem Durchſuchsrecht, droit de perquisition, zu unterſcheiden. Endlich kam im Jahr 1845 ein Vertrag zwiſchen England und Frankreich zu Stande, in welchem zwar das alte Droit de visite (im weitern Sinn) aufgegeben, aber doch in Art. 7 beſtimmt wurde, daß die beiderſeitigen Kreuzer an der afrikaniſchen Küſte ermächtigt ſeien, die wirkliche Nationalität der Schiffe zu prüfen, welche unter engliſcher oder franzöſiſcher Flagge fahren, und vielleicht nur unter dieſer Flagge ihren Sclaven- handel oder andere Verbrechen zu verbergen ſuchen. Zu dieſem Behuf muß aber natürlich das fremde Schiff doch beſucht und ſeine Papiere müſſen eingeſehen wer- den. Ergibt ſich dabei, daß das Schiff wirklich einer Nation zugehört, deren Regie- rung das Unterſuchungsrecht nicht anerkennt, ſo muß dasſelbe ohne Verzug verlaſſen und jedenfalls über das ganze Verfahren genaues Protokoll geführt werden. Die Inſtructionen der beiden Staten an ihre Kreuzer ſind genau und werden wechſelſeitig mitgetheilt. Die lebhafteſte Einſprache machten die Vereinigten Staten von Nordamerika gegen das Durchſuchungsrecht, indem ſie die Gefahr für die freie Schiffahrt lebhaft betonten, welche eine derartige Seepolicei vorzüglich Englands zur Folge haben würde. Der Präſident Webſter behauptete, daß das Droit de visite und das rhigt of search bisher immer als dasſelbe Recht betrachtet und nur als Kriegsrecht, nicht im Frieden anerkannt worden ſei. Die Vereinigten Staten erklärten daher, ein derartiges Recht keiner Seemacht zuzugeſtehen. Dagegen ver- ſtanden ſich die Vereinigten Staten dazu, an der afrikaniſchen Küſte gemeinſam mit England Kreuzer zu halten, um den Sclavenhandel möglichſt zu verhindern. Man ſieht, der Widerſpruch der Vereinigten Staten war von Einfluß auch auf das Ver- halten von Frankreich. Auch mit Braſilien gerieth England über dieſe Seepolicei im Jahr 1845 in Streit. Seither hat ſich die Gefahr einer ungebührlichen See- herrſchaft Englands erheblich vermindert, indem auch andere Staten eine anſehnliche Kriegsmarine inzwiſchen geſchaffen haben und England die Freiheit des Meers im Princip und in deſſen Conſequenzen umfaſſender als früher anerkennt. Mir ſcheint, daß ein wechſelſeitiges Beſuchsrecht gegenüber von Schiffen, welche verdäch- tig ſind, eine falſche Flagge zu führen und zugleich als Sclavenſchiffe benutzt zu werden, wenn dieſes Recht in wohlgeordneten Formen und mit den nöthigen Ga- rantien gegen Mißbrauch ausgeübt wird, gefahrlos für den redlichen Schiffahrtsver- kehr und dennoch ein nothwendiges Mittel ſei, das Verbot der Negerzufuhr wirkſam zu machen. Das andere Mittel, eigene Kreuzer zu halten, welche fortwährend eine Küſte beaufſichtigen, iſt zu koſtbar und in der Praxis ohne Anhalten der verdächtigen Schiffe doch nicht durchzuführen. Der Beſuch des vermeintlichen Sclavenſchiffs hat ſich jedoch fürs erſte auf die Prüfung der Nationalität des Schiffs zu beſchränken und darf nur, wenn weitere Verdachtsgründe ſich ergeben, zu einer Durchſuchung führen.

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/225>, abgerufen am 26.11.2024.