Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Statshoheit im Verhältniß zu den Personen.
zeichnet, so geht er meines Erachtens zu weit. Es gibt in vielen civilisirten Staten
eine große Anzahl ansässiger fremder Kaufleute, Fabrikanten u. s. f., welche nicht in
den Statsverband ihres Wohnorts aufgenommen sind, sondern in dem nationalen
Statsverband verbleiben, dem sie vor ihrer Niederlassung in fremdem Lande ange-
hört haben. Die Niederlassung und der Gewerbsbetrieb geschieht zunächst aus pri-
vatrechtlichen
Motiven, und es ist keineswegs nothwendig, daß damit die
statsrechtliche Absicht, aus einem Statsverband in einen andern überzugehen,
verbunden wird. Der Code civil (§ 17) erklärt ausdrücklich, daß die kaufmännische
Etablirung in einem fremden Lande im Zweifel nicht als Auswanderung anzusehen
sei. Sie geschieht nicht "sans esprit de retour".

368.

Jeder Stat ist verpflichtet, seine Angehörigen wieder in seinem Lande
aufzunehmen, wenn sie von andern Staten aus öffentlich-rechtlichen Grün-
den heimgewiesen oder zugeschoben werden.

Die Heimweisung und der Zuschub findet hauptsächlich aus zwei Gründen
Statt, a) wenn die Individuen außer Stande sind, sich selber zu ernähren und der
Hülfe bedürfen, b) wenn dieselben die Rechtssicherheit in dem fremden Lande bedrohen.
Der Heimatsstat kann sich in beiden und in ähnlichen Fällen überhaupt nicht wei-
gern, seine Landsleute aufzunehmen, da sie zu seinem Lande gehören. Eben darum
ist auch die Strafe der Verbannung nur unter der Voraussetzung durchzuführen,
daß die verbannten Personen sich in der Fremde zu erhalten im Stande sind und
nicht überall zurückgewiesen werden. In neuerer Zeit beklagen sich die Vereinigten
Staten von Nordamerika und wohl noch andere außereuropäische Colonialstaten dar-
über, daß die europäischen Staten ihre Gefängnisse dadurch entleeren, daß sie Ver-
brecher und liederliches Gesindel dorthin auswandern lassen und ihre Uebersiedlung
unterstützen. Diese Beschwerde ist nicht ohne Grund und es entstehen aus einer
solchen Praxis für die Colonien ernstliche Gefahren. Die überseeischen Staten können
sich gegen solchen Mißbrauch ihres Gebiets dadurch wahren, daß sie ihren Entschluß
ankündigen, sie werden solche Verbrechercolonisten wieder in den absendenden
Heimatsstat zurückbringen
lassen. Dazu sind sie ohne Zweifel berechtigt,
und der Heimatsstat, der seine Angehörigen aufnehmen muß, wird in Zukunft nicht
mehr das fremde Land als einen bequemen Ort für Verbrecher-Colonisten be-
trachten.

369.

Zur Vermeidung der Heimatlosigkeit ist die Annahme begründet, daß
aus dem Wohnort in einem bestimmten State oder selbst aus lange fort-
gesetztem Aufenthalt in einem Lande, in Ermanglung anderer Gründe für
einen andern Statsverband, auf Statsangehörigkeit geschlossen werde.

Die Statshoheit im Verhältniß zu den Perſonen.
zeichnet, ſo geht er meines Erachtens zu weit. Es gibt in vielen civiliſirten Staten
eine große Anzahl anſäſſiger fremder Kaufleute, Fabrikanten u. ſ. f., welche nicht in
den Statsverband ihres Wohnorts aufgenommen ſind, ſondern in dem nationalen
Statsverband verbleiben, dem ſie vor ihrer Niederlaſſung in fremdem Lande ange-
hört haben. Die Niederlaſſung und der Gewerbsbetrieb geſchieht zunächſt aus pri-
vatrechtlichen
Motiven, und es iſt keineswegs nothwendig, daß damit die
ſtatsrechtliche Abſicht, aus einem Statsverband in einen andern überzugehen,
verbunden wird. Der Code civil (§ 17) erklärt ausdrücklich, daß die kaufmänniſche
Etablirung in einem fremden Lande im Zweifel nicht als Auswanderung anzuſehen
ſei. Sie geſchieht nicht „sans esprit de retour“.

368.

Jeder Stat iſt verpflichtet, ſeine Angehörigen wieder in ſeinem Lande
aufzunehmen, wenn ſie von andern Staten aus öffentlich-rechtlichen Grün-
den heimgewieſen oder zugeſchoben werden.

Die Heimweiſung und der Zuſchub findet hauptſächlich aus zwei Gründen
Statt, a) wenn die Individuen außer Stande ſind, ſich ſelber zu ernähren und der
Hülfe bedürfen, b) wenn dieſelben die Rechtsſicherheit in dem fremden Lande bedrohen.
Der Heimatsſtat kann ſich in beiden und in ähnlichen Fällen überhaupt nicht wei-
gern, ſeine Landsleute aufzunehmen, da ſie zu ſeinem Lande gehören. Eben darum
iſt auch die Strafe der Verbannung nur unter der Vorausſetzung durchzuführen,
daß die verbannten Perſonen ſich in der Fremde zu erhalten im Stande ſind und
nicht überall zurückgewieſen werden. In neuerer Zeit beklagen ſich die Vereinigten
Staten von Nordamerika und wohl noch andere außereuropäiſche Colonialſtaten dar-
über, daß die europäiſchen Staten ihre Gefängniſſe dadurch entleeren, daß ſie Ver-
brecher und liederliches Geſindel dorthin auswandern laſſen und ihre Ueberſiedlung
unterſtützen. Dieſe Beſchwerde iſt nicht ohne Grund und es entſtehen aus einer
ſolchen Praxis für die Colonien ernſtliche Gefahren. Die überſeeiſchen Staten können
ſich gegen ſolchen Mißbrauch ihres Gebiets dadurch wahren, daß ſie ihren Entſchluß
ankündigen, ſie werden ſolche Verbrechercoloniſten wieder in den abſendenden
Heimatsſtat zurückbringen
laſſen. Dazu ſind ſie ohne Zweifel berechtigt,
und der Heimatsſtat, der ſeine Angehörigen aufnehmen muß, wird in Zukunft nicht
mehr das fremde Land als einen bequemen Ort für Verbrecher-Coloniſten be-
trachten.

369.

Zur Vermeidung der Heimatloſigkeit iſt die Annahme begründet, daß
aus dem Wohnort in einem beſtimmten State oder ſelbſt aus lange fort-
geſetztem Aufenthalt in einem Lande, in Ermanglung anderer Gründe für
einen andern Statsverband, auf Statsangehörigkeit geſchloſſen werde.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0235" n="213"/><fw place="top" type="header">Die Statshoheit im Verhältniß zu den Per&#x017F;onen.</fw><lb/>
zeichnet, &#x017F;o geht er meines Erachtens zu weit. Es gibt in vielen civili&#x017F;irten Staten<lb/>
eine große Anzahl an&#x017F;ä&#x017F;&#x017F;iger fremder Kaufleute, Fabrikanten u. &#x017F;. f., welche nicht in<lb/>
den Statsverband ihres Wohnorts aufgenommen &#x017F;ind, &#x017F;ondern in dem nationalen<lb/>
Statsverband verbleiben, dem &#x017F;ie vor ihrer Niederla&#x017F;&#x017F;ung in fremdem Lande ange-<lb/>
hört haben. Die Niederla&#x017F;&#x017F;ung und der Gewerbsbetrieb ge&#x017F;chieht zunäch&#x017F;t aus <hi rendition="#g">pri-<lb/>
vatrechtlichen</hi> Motiven, und es i&#x017F;t keineswegs nothwendig, daß damit die<lb/><hi rendition="#g">&#x017F;tatsrechtliche</hi> Ab&#x017F;icht, aus einem Statsverband in einen andern überzugehen,<lb/>
verbunden wird. Der <hi rendition="#aq">Code civil</hi> (§ 17) erklärt ausdrücklich, daß die kaufmänni&#x017F;che<lb/>
Etablirung in einem fremden Lande im Zweifel <hi rendition="#g">nicht</hi> als Auswanderung anzu&#x017F;ehen<lb/>
&#x017F;ei. Sie ge&#x017F;chieht nicht <hi rendition="#aq">&#x201E;sans esprit de retour&#x201C;.</hi></p>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head>368.</head><lb/>
              <p>Jeder Stat i&#x017F;t verpflichtet, &#x017F;eine Angehörigen wieder in &#x017F;einem Lande<lb/>
aufzunehmen, wenn &#x017F;ie von andern Staten aus öffentlich-rechtlichen Grün-<lb/>
den heimgewie&#x017F;en oder zuge&#x017F;choben werden.</p><lb/>
              <p>Die Heimwei&#x017F;ung und der Zu&#x017F;chub findet haupt&#x017F;ächlich aus zwei Gründen<lb/>
Statt, <hi rendition="#aq">a)</hi> wenn die Individuen außer Stande &#x017F;ind, &#x017F;ich &#x017F;elber zu ernähren und der<lb/>
Hülfe bedürfen, <hi rendition="#aq">b)</hi> wenn die&#x017F;elben die Rechts&#x017F;icherheit in dem fremden Lande bedrohen.<lb/>
Der Heimats&#x017F;tat kann &#x017F;ich in beiden und in ähnlichen Fällen überhaupt nicht wei-<lb/>
gern, &#x017F;eine Landsleute aufzunehmen, da &#x017F;ie zu &#x017F;einem Lande gehören. Eben darum<lb/>
i&#x017F;t auch die Strafe der Verbannung nur unter der Voraus&#x017F;etzung durchzuführen,<lb/>
daß die verbannten Per&#x017F;onen &#x017F;ich in der Fremde zu erhalten im Stande &#x017F;ind und<lb/>
nicht überall zurückgewie&#x017F;en werden. In neuerer Zeit beklagen &#x017F;ich die Vereinigten<lb/>
Staten von Nordamerika und wohl noch andere außereuropäi&#x017F;che Colonial&#x017F;taten dar-<lb/>
über, daß die europäi&#x017F;chen Staten ihre Gefängni&#x017F;&#x017F;e dadurch entleeren, daß &#x017F;ie Ver-<lb/>
brecher und liederliches Ge&#x017F;indel dorthin auswandern la&#x017F;&#x017F;en und ihre Ueber&#x017F;iedlung<lb/>
unter&#x017F;tützen. Die&#x017F;e Be&#x017F;chwerde i&#x017F;t nicht ohne Grund und es ent&#x017F;tehen aus einer<lb/>
&#x017F;olchen Praxis für die Colonien ern&#x017F;tliche Gefahren. Die über&#x017F;eei&#x017F;chen Staten können<lb/>
&#x017F;ich gegen &#x017F;olchen Mißbrauch ihres Gebiets dadurch wahren, daß &#x017F;ie ihren Ent&#x017F;chluß<lb/>
ankündigen, &#x017F;ie werden &#x017F;olche Verbrechercoloni&#x017F;ten wieder <hi rendition="#g">in den ab&#x017F;endenden<lb/>
Heimats&#x017F;tat zurückbringen</hi> la&#x017F;&#x017F;en. Dazu &#x017F;ind &#x017F;ie ohne Zweifel berechtigt,<lb/>
und der Heimats&#x017F;tat, der &#x017F;eine Angehörigen aufnehmen muß, wird in Zukunft nicht<lb/>
mehr das fremde Land als einen bequemen Ort für Verbrecher-Coloni&#x017F;ten be-<lb/>
trachten.</p>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head>369.</head><lb/>
              <p>Zur Vermeidung der Heimatlo&#x017F;igkeit i&#x017F;t die Annahme begründet, daß<lb/>
aus dem Wohnort in einem be&#x017F;timmten State oder &#x017F;elb&#x017F;t aus lange fort-<lb/>
ge&#x017F;etztem Aufenthalt in einem Lande, in Ermanglung anderer Gründe für<lb/>
einen andern Statsverband, auf Statsangehörigkeit ge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en werde.</p><lb/>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[213/0235] Die Statshoheit im Verhältniß zu den Perſonen. zeichnet, ſo geht er meines Erachtens zu weit. Es gibt in vielen civiliſirten Staten eine große Anzahl anſäſſiger fremder Kaufleute, Fabrikanten u. ſ. f., welche nicht in den Statsverband ihres Wohnorts aufgenommen ſind, ſondern in dem nationalen Statsverband verbleiben, dem ſie vor ihrer Niederlaſſung in fremdem Lande ange- hört haben. Die Niederlaſſung und der Gewerbsbetrieb geſchieht zunächſt aus pri- vatrechtlichen Motiven, und es iſt keineswegs nothwendig, daß damit die ſtatsrechtliche Abſicht, aus einem Statsverband in einen andern überzugehen, verbunden wird. Der Code civil (§ 17) erklärt ausdrücklich, daß die kaufmänniſche Etablirung in einem fremden Lande im Zweifel nicht als Auswanderung anzuſehen ſei. Sie geſchieht nicht „sans esprit de retour“. 368. Jeder Stat iſt verpflichtet, ſeine Angehörigen wieder in ſeinem Lande aufzunehmen, wenn ſie von andern Staten aus öffentlich-rechtlichen Grün- den heimgewieſen oder zugeſchoben werden. Die Heimweiſung und der Zuſchub findet hauptſächlich aus zwei Gründen Statt, a) wenn die Individuen außer Stande ſind, ſich ſelber zu ernähren und der Hülfe bedürfen, b) wenn dieſelben die Rechtsſicherheit in dem fremden Lande bedrohen. Der Heimatsſtat kann ſich in beiden und in ähnlichen Fällen überhaupt nicht wei- gern, ſeine Landsleute aufzunehmen, da ſie zu ſeinem Lande gehören. Eben darum iſt auch die Strafe der Verbannung nur unter der Vorausſetzung durchzuführen, daß die verbannten Perſonen ſich in der Fremde zu erhalten im Stande ſind und nicht überall zurückgewieſen werden. In neuerer Zeit beklagen ſich die Vereinigten Staten von Nordamerika und wohl noch andere außereuropäiſche Colonialſtaten dar- über, daß die europäiſchen Staten ihre Gefängniſſe dadurch entleeren, daß ſie Ver- brecher und liederliches Geſindel dorthin auswandern laſſen und ihre Ueberſiedlung unterſtützen. Dieſe Beſchwerde iſt nicht ohne Grund und es entſtehen aus einer ſolchen Praxis für die Colonien ernſtliche Gefahren. Die überſeeiſchen Staten können ſich gegen ſolchen Mißbrauch ihres Gebiets dadurch wahren, daß ſie ihren Entſchluß ankündigen, ſie werden ſolche Verbrechercoloniſten wieder in den abſendenden Heimatsſtat zurückbringen laſſen. Dazu ſind ſie ohne Zweifel berechtigt, und der Heimatsſtat, der ſeine Angehörigen aufnehmen muß, wird in Zukunft nicht mehr das fremde Land als einen bequemen Ort für Verbrecher-Coloniſten be- trachten. 369. Zur Vermeidung der Heimatloſigkeit iſt die Annahme begründet, daß aus dem Wohnort in einem beſtimmten State oder ſelbſt aus lange fort- geſetztem Aufenthalt in einem Lande, in Ermanglung anderer Gründe für einen andern Statsverband, auf Statsangehörigkeit geſchloſſen werde.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/235
Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 213. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/235>, abgerufen am 27.11.2024.