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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868.

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Die Statshoheit im Verhältniß zu den Personen.
auch verpflichtet, seinen Angehörigen im Ausland den den Umständen an-
gemessenen Schutz durch völkerrechtliche Mittel zu gewähren,

a) wenn der fremde Stat selber in völkerrechtswidriger Weise wider
sie verfahren hat,
b) wenn die Mißhandlung oder Verletzung jener Personen zwar
nicht unmittelbar dem fremden State zur Last fällt, aber dieser
keinen Rechtsschutz dagegen gewährt.

Der Heimatsstat ist in solchen Fällen berechtigt, von dem fremden
State Beseitigung des Unrechts, Genugthuung und Entschädigung, nach
Umständen auch Garantien gegen ähnliche Verletzungen zu fordern.

Fälle der Art sind z. B.: Der fremde Stat nimmt die Reisenden ohne Grund
gefangen, macht sie zu Sclaven, nöthigt sie zu einem andern Religionsbekenntniß,
beraubt sie ihres Vermögens, behandelt sie sonst in grausamer Weise, verletzt an
ihnen die zum Schutz des Handels- und Fremdenverkehrs abgeschlossenen Verträge
oder die gute Sitte des internationalen Verkehrs. Nur die Staten, nicht die Privat-
personen sind völkerrechtliche Personen im eigentlichen Sinne, aber auch diese haben
durch Vermittlung jener einen Anspruch auf völkerrechtlichen Schutz.

Wird der Inländer im Auslande zunächst nicht durch den fremden Stat
d. h. durch dessen Organe (Beamte, Diener) oder der von der Statsgewalt begün-
stigten Bevölkerung in seiner Person oder seinem Vermögen verletzt, sondern durch
Privatpersonen
, denen allein die Rechtsverletzung als Schuld angerechnet wer-
den kann, z. B. durch Räuber, Diebe, Raufer u. s. f., so tritt keineswegs in erster
Linie der heimatliche Statsschutz ein, sondern es hat zunächst der Stat, in dessen
Gebiet die Rechtsverletzung geschehen ist, durch seine Rechtspflege für Beseitigung des
Unrechts und je nach Umständen Bestrafung der Verbrecher zu sorgen. Mit gutem
Grunde würde dieser Stat, dem allein die Gerichtsbarkeit in seinem Lande zukommt,
eine unzeitige Einmengung eines fremden Stats in die Verwaltung seiner Rechts-
pflege sich verbitten. Der beleidigte oder verletzte Angehörige eines andern States
muß sich demnach zunächst an die Behörden des States um Rechtshülfe
wenden, in dem er wohnt. Nur wenn ihm der Rechtsweg abgeschnitten und der
Rechtsschutz verweigert wird, vorher nicht, ist Grund zu einer Intervention seines
Heimatsstates vorhanden. Man hat sich hier vor zwei Extremen zu hüten, dem
einen, welches die Statsangehörigen im Ausland schutzlos der Bedrängniß und
Mißhandlung Preis gibt, -- es war das bis auf die neuere Zeit die wohl begrün-
dete Klage der Angehörigen deutscher Klein- und Mittelstaten -- und dem andern,
einer ungebührlichen Einmischung in die fremde Rechtspflege und Verwal-
tung zu Gunsten von Statsangehörigen, welche die diplomatische Unterstützung da
anrufen, wo sie gleich andern Privatpersonen nur berechtigt sind, ordentliche Rechts-
mittel anzuwenden -- eine Ueberspannung des Statsschutzes, die man nicht ohne
Grund zuweilen England vorgeworfen hat. Im erstern Fall wird die Sicherheit

Die Statshoheit im Verhältniß zu den Perſonen.
auch verpflichtet, ſeinen Angehörigen im Ausland den den Umſtänden an-
gemeſſenen Schutz durch völkerrechtliche Mittel zu gewähren,

a) wenn der fremde Stat ſelber in völkerrechtswidriger Weiſe wider
ſie verfahren hat,
b) wenn die Mißhandlung oder Verletzung jener Perſonen zwar
nicht unmittelbar dem fremden State zur Laſt fällt, aber dieſer
keinen Rechtsſchutz dagegen gewährt.

Der Heimatsſtat iſt in ſolchen Fällen berechtigt, von dem fremden
State Beſeitigung des Unrechts, Genugthuung und Entſchädigung, nach
Umſtänden auch Garantien gegen ähnliche Verletzungen zu fordern.

Fälle der Art ſind z. B.: Der fremde Stat nimmt die Reiſenden ohne Grund
gefangen, macht ſie zu Sclaven, nöthigt ſie zu einem andern Religionsbekenntniß,
beraubt ſie ihres Vermögens, behandelt ſie ſonſt in grauſamer Weiſe, verletzt an
ihnen die zum Schutz des Handels- und Fremdenverkehrs abgeſchloſſenen Verträge
oder die gute Sitte des internationalen Verkehrs. Nur die Staten, nicht die Privat-
perſonen ſind völkerrechtliche Perſonen im eigentlichen Sinne, aber auch dieſe haben
durch Vermittlung jener einen Anſpruch auf völkerrechtlichen Schutz.

Wird der Inländer im Auslande zunächſt nicht durch den fremden Stat
d. h. durch deſſen Organe (Beamte, Diener) oder der von der Statsgewalt begün-
ſtigten Bevölkerung in ſeiner Perſon oder ſeinem Vermögen verletzt, ſondern durch
Privatperſonen
, denen allein die Rechtsverletzung als Schuld angerechnet wer-
den kann, z. B. durch Räuber, Diebe, Raufer u. ſ. f., ſo tritt keineswegs in erſter
Linie der heimatliche Statsſchutz ein, ſondern es hat zunächſt der Stat, in deſſen
Gebiet die Rechtsverletzung geſchehen iſt, durch ſeine Rechtspflege für Beſeitigung des
Unrechts und je nach Umſtänden Beſtrafung der Verbrecher zu ſorgen. Mit gutem
Grunde würde dieſer Stat, dem allein die Gerichtsbarkeit in ſeinem Lande zukommt,
eine unzeitige Einmengung eines fremden Stats in die Verwaltung ſeiner Rechts-
pflege ſich verbitten. Der beleidigte oder verletzte Angehörige eines andern States
muß ſich demnach zunächſt an die Behörden des States um Rechtshülfe
wenden, in dem er wohnt. Nur wenn ihm der Rechtsweg abgeſchnitten und der
Rechtsſchutz verweigert wird, vorher nicht, iſt Grund zu einer Intervention ſeines
Heimatsſtates vorhanden. Man hat ſich hier vor zwei Extremen zu hüten, dem
einen, welches die Statsangehörigen im Ausland ſchutzlos der Bedrängniß und
Mißhandlung Preis gibt, — es war das bis auf die neuere Zeit die wohl begrün-
dete Klage der Angehörigen deutſcher Klein- und Mittelſtaten — und dem andern,
einer ungebührlichen Einmiſchung in die fremde Rechtspflege und Verwal-
tung zu Gunſten von Statsangehörigen, welche die diplomatiſche Unterſtützung da
anrufen, wo ſie gleich andern Privatperſonen nur berechtigt ſind, ordentliche Rechts-
mittel anzuwenden — eine Ueberſpannung des Statsſchutzes, die man nicht ohne
Grund zuweilen England vorgeworfen hat. Im erſtern Fall wird die Sicherheit

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[219/0241] Die Statshoheit im Verhältniß zu den Perſonen. auch verpflichtet, ſeinen Angehörigen im Ausland den den Umſtänden an- gemeſſenen Schutz durch völkerrechtliche Mittel zu gewähren, a) wenn der fremde Stat ſelber in völkerrechtswidriger Weiſe wider ſie verfahren hat, b) wenn die Mißhandlung oder Verletzung jener Perſonen zwar nicht unmittelbar dem fremden State zur Laſt fällt, aber dieſer keinen Rechtsſchutz dagegen gewährt. Der Heimatsſtat iſt in ſolchen Fällen berechtigt, von dem fremden State Beſeitigung des Unrechts, Genugthuung und Entſchädigung, nach Umſtänden auch Garantien gegen ähnliche Verletzungen zu fordern. Fälle der Art ſind z. B.: Der fremde Stat nimmt die Reiſenden ohne Grund gefangen, macht ſie zu Sclaven, nöthigt ſie zu einem andern Religionsbekenntniß, beraubt ſie ihres Vermögens, behandelt ſie ſonſt in grauſamer Weiſe, verletzt an ihnen die zum Schutz des Handels- und Fremdenverkehrs abgeſchloſſenen Verträge oder die gute Sitte des internationalen Verkehrs. Nur die Staten, nicht die Privat- perſonen ſind völkerrechtliche Perſonen im eigentlichen Sinne, aber auch dieſe haben durch Vermittlung jener einen Anſpruch auf völkerrechtlichen Schutz. Wird der Inländer im Auslande zunächſt nicht durch den fremden Stat d. h. durch deſſen Organe (Beamte, Diener) oder der von der Statsgewalt begün- ſtigten Bevölkerung in ſeiner Perſon oder ſeinem Vermögen verletzt, ſondern durch Privatperſonen, denen allein die Rechtsverletzung als Schuld angerechnet wer- den kann, z. B. durch Räuber, Diebe, Raufer u. ſ. f., ſo tritt keineswegs in erſter Linie der heimatliche Statsſchutz ein, ſondern es hat zunächſt der Stat, in deſſen Gebiet die Rechtsverletzung geſchehen iſt, durch ſeine Rechtspflege für Beſeitigung des Unrechts und je nach Umſtänden Beſtrafung der Verbrecher zu ſorgen. Mit gutem Grunde würde dieſer Stat, dem allein die Gerichtsbarkeit in ſeinem Lande zukommt, eine unzeitige Einmengung eines fremden Stats in die Verwaltung ſeiner Rechts- pflege ſich verbitten. Der beleidigte oder verletzte Angehörige eines andern States muß ſich demnach zunächſt an die Behörden des States um Rechtshülfe wenden, in dem er wohnt. Nur wenn ihm der Rechtsweg abgeſchnitten und der Rechtsſchutz verweigert wird, vorher nicht, iſt Grund zu einer Intervention ſeines Heimatsſtates vorhanden. Man hat ſich hier vor zwei Extremen zu hüten, dem einen, welches die Statsangehörigen im Ausland ſchutzlos der Bedrängniß und Mißhandlung Preis gibt, — es war das bis auf die neuere Zeit die wohl begrün- dete Klage der Angehörigen deutſcher Klein- und Mittelſtaten — und dem andern, einer ungebührlichen Einmiſchung in die fremde Rechtspflege und Verwal- tung zu Gunſten von Statsangehörigen, welche die diplomatiſche Unterſtützung da anrufen, wo ſie gleich andern Privatperſonen nur berechtigt ſind, ordentliche Rechts- mittel anzuwenden — eine Ueberſpannung des Statsſchutzes, die man nicht ohne Grund zuweilen England vorgeworfen hat. Im erſtern Fall wird die Sicherheit

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 219. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/241>, abgerufen am 28.11.2024.