der Privatpersonen im Ausland gefährdet, im zweiten die Rechtsgleichheit der Staten und die Selbständigkeit der Rechtspflege bedroht.
In allen diesen Verhältnissen wird übrigens bona fides vorausgesetzt. Wenn unter dem Schein der geordneten Rechtspflege die fremden Landesgerichte unsern Statsangehörigen offenbar als rechtlos behandeln oder seiner Nationalität wegen be- drücken, wenn sie ihm nur scheinbar Rechtsschutz gewähren, in Wahrheit aber ihn der Verfolgung Preis geben, so ist auch in solchen Fällen der Heimatsstat berechtigt, sich seines Statsgenossen diplomatisch anzunehmen. Nicht weil er einen Proceß ver- liert, den er gewinnen zu müssen meinte, auch nicht, weil vielleicht nach der Meinung der einheimischen Juristen das fremde Urtheil unrichtig ist, hat er Anspruch auf Schutz des Heimatsstats, sondern nur, weil der fremde Stat in ihm das Völ- kerrecht mißachtet.
4. Hoheitsrecht und Rechtsschutz gegenüber den Ausländern im Inland.
381.
Kein Stat ist berechtigt, den Fremden überhaupt die Betretung sei- nes Gebiets zu untersagen und sein Land von dem allgemeinen Verkehr abzusperren.
Der Schutz des friedlichen Verkehrs innerhalb der Menschheit ist eine Pflicht des civilisirten Völkerrechts. Die ältere Lehre, von der Souveränetät des States ausgehend, folgerte daraus die Berechtigung der Statsgewalt, alle Frem- den auszuschließen. Aber die Staten sind Glieder der Menschheit und deßhalb ver- pflichtet, die Verbindung der Menschen zu achten, und ihre Souveränetät ist kein absolutes Recht, sondern ein durch das Völkerrecht beschränktes Recht. Die allgemeine Abschließung von jedem Fremdenverkehr ist in den verschiedenen Zeitaltern von ein- zelnen Staten versucht worden, und nicht bloß von barbarischen Stämmen, welche alle Fremde als Feinde hassen, sondern von Culturvölkern, wie im Alterthum von Aegypten, und in neuerer Zeit von Paraguay und Japan. Das heutige Völkerrecht duldet aber diese Abschließung nicht mehr. Vgl. oben § 163.
382.
Jeder Stat ist berechtigt, einzelnen Fremden aus Gründen sowohl des Rechts als der Politik den Eintritt in sein Land zu untersagen.
Fünftes Buch.
der Privatperſonen im Ausland gefährdet, im zweiten die Rechtsgleichheit der Staten und die Selbſtändigkeit der Rechtspflege bedroht.
In allen dieſen Verhältniſſen wird übrigens bona fides vorausgeſetzt. Wenn unter dem Schein der geordneten Rechtspflege die fremden Landesgerichte unſern Statsangehörigen offenbar als rechtlos behandeln oder ſeiner Nationalität wegen be- drücken, wenn ſie ihm nur ſcheinbar Rechtsſchutz gewähren, in Wahrheit aber ihn der Verfolgung Preis geben, ſo iſt auch in ſolchen Fällen der Heimatsſtat berechtigt, ſich ſeines Statsgenoſſen diplomatiſch anzunehmen. Nicht weil er einen Proceß ver- liert, den er gewinnen zu müſſen meinte, auch nicht, weil vielleicht nach der Meinung der einheimiſchen Juriſten das fremde Urtheil unrichtig iſt, hat er Anſpruch auf Schutz des Heimatsſtats, ſondern nur, weil der fremde Stat in ihm das Völ- kerrecht mißachtet.
4. Hoheitsrecht und Rechtsſchutz gegenüber den Ausländern im Inland.
381.
Kein Stat iſt berechtigt, den Fremden überhaupt die Betretung ſei- nes Gebiets zu unterſagen und ſein Land von dem allgemeinen Verkehr abzuſperren.
Der Schutz des friedlichen Verkehrs innerhalb der Menſchheit iſt eine Pflicht des civiliſirten Völkerrechts. Die ältere Lehre, von der Souveränetät des States ausgehend, folgerte daraus die Berechtigung der Statsgewalt, alle Frem- den auszuſchließen. Aber die Staten ſind Glieder der Menſchheit und deßhalb ver- pflichtet, die Verbindung der Menſchen zu achten, und ihre Souveränetät iſt kein abſolutes Recht, ſondern ein durch das Völkerrecht beſchränktes Recht. Die allgemeine Abſchließung von jedem Fremdenverkehr iſt in den verſchiedenen Zeitaltern von ein- zelnen Staten verſucht worden, und nicht bloß von barbariſchen Stämmen, welche alle Fremde als Feinde haſſen, ſondern von Culturvölkern, wie im Alterthum von Aegypten, und in neuerer Zeit von Paraguay und Japan. Das heutige Völkerrecht duldet aber dieſe Abſchließung nicht mehr. Vgl. oben § 163.
382.
Jeder Stat iſt berechtigt, einzelnen Fremden aus Gründen ſowohl des Rechts als der Politik den Eintritt in ſein Land zu unterſagen.
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Fünftes Buch.
der Privatperſonen im Ausland gefährdet, im zweiten die Rechtsgleichheit
der Staten und die Selbſtändigkeit der Rechtspflege bedroht.
In allen dieſen Verhältniſſen wird übrigens bona fides vorausgeſetzt. Wenn
unter dem Schein der geordneten Rechtspflege die fremden Landesgerichte unſern
Statsangehörigen offenbar als rechtlos behandeln oder ſeiner Nationalität wegen be-
drücken, wenn ſie ihm nur ſcheinbar Rechtsſchutz gewähren, in Wahrheit aber ihn
der Verfolgung Preis geben, ſo iſt auch in ſolchen Fällen der Heimatsſtat berechtigt,
ſich ſeines Statsgenoſſen diplomatiſch anzunehmen. Nicht weil er einen Proceß ver-
liert, den er gewinnen zu müſſen meinte, auch nicht, weil vielleicht nach der Meinung
der einheimiſchen Juriſten das fremde Urtheil unrichtig iſt, hat er Anſpruch auf
Schutz des Heimatsſtats, ſondern nur, weil der fremde Stat in ihm das Völ-
kerrecht mißachtet.
4. Hoheitsrecht und Rechtsſchutz gegenüber den Ausländern im
Inland.
381.
Kein Stat iſt berechtigt, den Fremden überhaupt die Betretung ſei-
nes Gebiets zu unterſagen und ſein Land von dem allgemeinen Verkehr
abzuſperren.
Der Schutz des friedlichen Verkehrs innerhalb der Menſchheit iſt
eine Pflicht des civiliſirten Völkerrechts. Die ältere Lehre, von der Souveränetät
des States ausgehend, folgerte daraus die Berechtigung der Statsgewalt, alle Frem-
den auszuſchließen. Aber die Staten ſind Glieder der Menſchheit und deßhalb ver-
pflichtet, die Verbindung der Menſchen zu achten, und ihre Souveränetät iſt kein
abſolutes Recht, ſondern ein durch das Völkerrecht beſchränktes Recht. Die allgemeine
Abſchließung von jedem Fremdenverkehr iſt in den verſchiedenen Zeitaltern von ein-
zelnen Staten verſucht worden, und nicht bloß von barbariſchen Stämmen, welche
alle Fremde als Feinde haſſen, ſondern von Culturvölkern, wie im Alterthum von
Aegypten, und in neuerer Zeit von Paraguay und Japan. Das heutige Völkerrecht
duldet aber dieſe Abſchließung nicht mehr. Vgl. oben § 163.
382.
Jeder Stat iſt berechtigt, einzelnen Fremden aus Gründen ſowohl
des Rechts als der Politik den Eintritt in ſein Land zu unterſagen.
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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 220. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/242>, abgerufen am 28.11.2024.
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