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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868.

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Die Statshoheit im Verhältniß zu den Personen.

Die Ausschließung bedarf der Motivirung mit Gründen der statlichen Ord-
nung und Sicherheit oder des öffentlichen Wohls. Sonst wäre sie im Widerspruch
mit dem völkerrechtlichen Grundsatz des freien Verkehrs. Die Beurtheilung der
Gründe steht aber bei dem State, der innerhalb seines Gebiets die Statshoheit aus-
zuüben berufen ist.

383.

Ebenso ist der inländische Stat berechtigt, aus öffentlichen Gründen
einzelne Fremde, welche sich nur vorübergehend in seinem Lande aufhalten,
aus seinem Gebiete wegzuweisen. Haben sie aber einen festen Wohnsitz
daselbst erworben, so genießen sie auch den damit verbundenen erhöhten
Rechtsschutz.

Das sogenannte Droit du renvoi darf wieder nicht als ein absolutes
Recht des States betrachtet werden, sonst wäre das Recht des allgemeinen Weltver-
kehrs neuerdings bedroht. Der Stat ist kein absoluter Herr weder über das Land
noch über die Menschen im Lande. Auch in dieser Hinsicht ist die ältere Lehre zu
sehr von der mittelalterlichen Vorstellung des Eigenthums am Land und von
der absolutistischen Idee einer unbeschränkten Souveränetät mißleitet wor-
den. Meistens wird noch der Statsgewalt die Macht zugestanden, nach eigenem Er-
messen durch bloße Verwaltungs- und Regierungsacte über die Wegweisung von
Fremden zu entscheiden, ohne daß die davon Betroffenen einen genügenden Rechts-
schutz bei den Gerichten finden.

384.

Wird ein gehörig legitimirter Fremder ohne Grund verhindert, das
Land zu betreten oder grundlos oder in ungebührlicher Form weggewiesen,
so ist sein Heimatsstat veranlaßt, wegen Verletzung des völkerrechtlichen
Verkehrs Beschwerde zu führen und je nach Umständen Genugthuung zu
fordern.

In seinen Angehörigen kann auch der Stat verletzt werden, der berufen ist,
sie zu schützen. Die bloß willkürliche und gehässige Wegweisung kann daher zu di-
plomatischen Erörterungen führen, und der Fremde, der davon betroffen wird, ist
jedenfalls veranlaßt, die Beihülfe seines Consuls oder die Dazwischenkunft seines
Gesanten anzurufen.

385.

Es ist Sache der Landesgesetzgebung, zu bestimmen, ob und unter

Die Statshoheit im Verhältniß zu den Perſonen.

Die Ausſchließung bedarf der Motivirung mit Gründen der ſtatlichen Ord-
nung und Sicherheit oder des öffentlichen Wohls. Sonſt wäre ſie im Widerſpruch
mit dem völkerrechtlichen Grundſatz des freien Verkehrs. Die Beurtheilung der
Gründe ſteht aber bei dem State, der innerhalb ſeines Gebiets die Statshoheit aus-
zuüben berufen iſt.

383.

Ebenſo iſt der inländiſche Stat berechtigt, aus öffentlichen Gründen
einzelne Fremde, welche ſich nur vorübergehend in ſeinem Lande aufhalten,
aus ſeinem Gebiete wegzuweiſen. Haben ſie aber einen feſten Wohnſitz
daſelbſt erworben, ſo genießen ſie auch den damit verbundenen erhöhten
Rechtsſchutz.

Das ſogenannte Droit du renvoi darf wieder nicht als ein abſolutes
Recht des States betrachtet werden, ſonſt wäre das Recht des allgemeinen Weltver-
kehrs neuerdings bedroht. Der Stat iſt kein abſoluter Herr weder über das Land
noch über die Menſchen im Lande. Auch in dieſer Hinſicht iſt die ältere Lehre zu
ſehr von der mittelalterlichen Vorſtellung des Eigenthums am Land und von
der abſolutiſtiſchen Idee einer unbeſchränkten Souveränetät mißleitet wor-
den. Meiſtens wird noch der Statsgewalt die Macht zugeſtanden, nach eigenem Er-
meſſen durch bloße Verwaltungs- und Regierungsacte über die Wegweiſung von
Fremden zu entſcheiden, ohne daß die davon Betroffenen einen genügenden Rechts-
ſchutz bei den Gerichten finden.

384.

Wird ein gehörig legitimirter Fremder ohne Grund verhindert, das
Land zu betreten oder grundlos oder in ungebührlicher Form weggewieſen,
ſo iſt ſein Heimatsſtat veranlaßt, wegen Verletzung des völkerrechtlichen
Verkehrs Beſchwerde zu führen und je nach Umſtänden Genugthuung zu
fordern.

In ſeinen Angehörigen kann auch der Stat verletzt werden, der berufen iſt,
ſie zu ſchützen. Die bloß willkürliche und gehäſſige Wegweiſung kann daher zu di-
plomatiſchen Erörterungen führen, und der Fremde, der davon betroffen wird, iſt
jedenfalls veranlaßt, die Beihülfe ſeines Conſuls oder die Dazwiſchenkunft ſeines
Geſanten anzurufen.

385.

Es iſt Sache der Landesgeſetzgebung, zu beſtimmen, ob und unter

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[221/0243] Die Statshoheit im Verhältniß zu den Perſonen. Die Ausſchließung bedarf der Motivirung mit Gründen der ſtatlichen Ord- nung und Sicherheit oder des öffentlichen Wohls. Sonſt wäre ſie im Widerſpruch mit dem völkerrechtlichen Grundſatz des freien Verkehrs. Die Beurtheilung der Gründe ſteht aber bei dem State, der innerhalb ſeines Gebiets die Statshoheit aus- zuüben berufen iſt. 383. Ebenſo iſt der inländiſche Stat berechtigt, aus öffentlichen Gründen einzelne Fremde, welche ſich nur vorübergehend in ſeinem Lande aufhalten, aus ſeinem Gebiete wegzuweiſen. Haben ſie aber einen feſten Wohnſitz daſelbſt erworben, ſo genießen ſie auch den damit verbundenen erhöhten Rechtsſchutz. Das ſogenannte Droit du renvoi darf wieder nicht als ein abſolutes Recht des States betrachtet werden, ſonſt wäre das Recht des allgemeinen Weltver- kehrs neuerdings bedroht. Der Stat iſt kein abſoluter Herr weder über das Land noch über die Menſchen im Lande. Auch in dieſer Hinſicht iſt die ältere Lehre zu ſehr von der mittelalterlichen Vorſtellung des Eigenthums am Land und von der abſolutiſtiſchen Idee einer unbeſchränkten Souveränetät mißleitet wor- den. Meiſtens wird noch der Statsgewalt die Macht zugeſtanden, nach eigenem Er- meſſen durch bloße Verwaltungs- und Regierungsacte über die Wegweiſung von Fremden zu entſcheiden, ohne daß die davon Betroffenen einen genügenden Rechts- ſchutz bei den Gerichten finden. 384. Wird ein gehörig legitimirter Fremder ohne Grund verhindert, das Land zu betreten oder grundlos oder in ungebührlicher Form weggewieſen, ſo iſt ſein Heimatsſtat veranlaßt, wegen Verletzung des völkerrechtlichen Verkehrs Beſchwerde zu führen und je nach Umſtänden Genugthuung zu fordern. In ſeinen Angehörigen kann auch der Stat verletzt werden, der berufen iſt, ſie zu ſchützen. Die bloß willkürliche und gehäſſige Wegweiſung kann daher zu di- plomatiſchen Erörterungen führen, und der Fremde, der davon betroffen wird, iſt jedenfalls veranlaßt, die Beihülfe ſeines Conſuls oder die Dazwiſchenkunft ſeines Geſanten anzurufen. 385. Es iſt Sache der Landesgeſetzgebung, zu beſtimmen, ob und unter

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 221. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/243>, abgerufen am 28.11.2024.