bleiben. In dem obigen Pacificohandel (§ 500 Anm. 3.) wurde vornehmlich darüber Klage geführt, daß die angedrohten Repressalien ganz unverhältnißmäßig seien.
503.
Zu Repressalien ist nur der verletzte Stat, nicht aber die von der Verletzung betroffene Privatperson berechtigt.
Im Mittelalter nahm man an Privatrepressalien geringen Anstoß, wie man ja damals auch die Privatfehde für eine erlaubte Rechtshülfe ansah. Das moderne Stats- und Völkerrecht gestattet nur der geordneten Statsmacht öffentliche Rechtsgewalt auszuüben. Nicht verletzte Staten dürfen nur dann zu Repressalien greifen, wenn es eine gemeingefährliche Verletzung des Völker- und Menschenrechts zu rügen gilt.
504.
Die Repressalien dürfen nicht länger dauern, als bis das Unrecht, welches dieselben veranlaßt hat, wieder gutgemacht und gesühnt ist.
Das folgt aus der Natur der Repressalien als einer ausnahmsweisen Selbsthülfe gegen Unrecht. Der befriedete Rechtszustand erträgt daher die Fort- dauer der Repressalien nicht.
505.
Die Retorsion bezweckt nicht, Unrecht zu rügen, sondern ist ein po- litisches Mittel, einer nachtheiligen Rechtsübung eines andern Stats ent- gegen zu wirken.
1. Die Retorsion ist nicht gegen Unrecht, aber gegen eine unbillige Ausübung fremden Rechtes gewendet. Z. B. Der Stat A gibt in seiner Gesetzgebung den einheimischen Gläubigern einen Vorzug vor den Fremden. Oder: In dem State A besteht eine strenge Zunftordnung, welche den Gewerbebetrieb der Ausländer erschwert. Oder das Zollsystem des States A erschwert den Angehörigen des States B den Handel mit den Angehörigen des States A. In allen diesen und ähnlichen Fällen ist der Stat A in seinem formellen Recht. Er kann diese Verhältnisse nach seinem Ermessen ordnen. Aber seine Gesetze wirken ungünstig auf den Nachbarstat B und dessen Angehörige und werden zugleich von diesem als un- billig empfunden. Da hat die Retorsion des States B, welcher ähnliche für den Stat A und dessen Bürger ungünstig wirkende Einwirkungen trifft, den Zweck, den Stat A seine Unbill empfinden zu lassen und ihn dadurch zu einer Besserung zu
Siebentes Buch.
bleiben. In dem obigen Pacificohandel (§ 500 Anm. 3.) wurde vornehmlich darüber Klage geführt, daß die angedrohten Repreſſalien ganz unverhältnißmäßig ſeien.
503.
Zu Repreſſalien iſt nur der verletzte Stat, nicht aber die von der Verletzung betroffene Privatperſon berechtigt.
Im Mittelalter nahm man an Privatrepreſſalien geringen Anſtoß, wie man ja damals auch die Privatfehde für eine erlaubte Rechtshülfe anſah. Das moderne Stats- und Völkerrecht geſtattet nur der geordneten Statsmacht öffentliche Rechtsgewalt auszuüben. Nicht verletzte Staten dürfen nur dann zu Repreſſalien greifen, wenn es eine gemeingefährliche Verletzung des Völker- und Menſchenrechts zu rügen gilt.
504.
Die Repreſſalien dürfen nicht länger dauern, als bis das Unrecht, welches dieſelben veranlaßt hat, wieder gutgemacht und geſühnt iſt.
Das folgt aus der Natur der Repreſſalien als einer ausnahmsweiſen Selbſthülfe gegen Unrecht. Der befriedete Rechtszuſtand erträgt daher die Fort- dauer der Repreſſalien nicht.
505.
Die Retorſion bezweckt nicht, Unrecht zu rügen, ſondern iſt ein po- litiſches Mittel, einer nachtheiligen Rechtsübung eines andern Stats ent- gegen zu wirken.
1. Die Retorſion iſt nicht gegen Unrecht, aber gegen eine unbillige Ausübung fremden Rechtes gewendet. Z. B. Der Stat A gibt in ſeiner Geſetzgebung den einheimiſchen Gläubigern einen Vorzug vor den Fremden. Oder: In dem State A beſteht eine ſtrenge Zunftordnung, welche den Gewerbebetrieb der Ausländer erſchwert. Oder das Zollſyſtem des States A erſchwert den Angehörigen des States B den Handel mit den Angehörigen des States A. In allen dieſen und ähnlichen Fällen iſt der Stat A in ſeinem formellen Recht. Er kann dieſe Verhältniſſe nach ſeinem Ermeſſen ordnen. Aber ſeine Geſetze wirken ungünſtig auf den Nachbarſtat B und deſſen Angehörige und werden zugleich von dieſem als un- billig empfunden. Da hat die Retorſion des States B, welcher ähnliche für den Stat A und deſſen Bürger ungünſtig wirkende Einwirkungen trifft, den Zweck, den Stat A ſeine Unbill empfinden zu laſſen und ihn dadurch zu einer Beſſerung zu
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Siebentes Buch.
bleiben. In dem obigen Pacificohandel (§ 500 Anm. 3.) wurde vornehmlich darüber
Klage geführt, daß die angedrohten Repreſſalien ganz unverhältnißmäßig ſeien.
503.
Zu Repreſſalien iſt nur der verletzte Stat, nicht aber die von der
Verletzung betroffene Privatperſon berechtigt.
Im Mittelalter nahm man an Privatrepreſſalien geringen Anſtoß,
wie man ja damals auch die Privatfehde für eine erlaubte Rechtshülfe anſah. Das
moderne Stats- und Völkerrecht geſtattet nur der geordneten Statsmacht öffentliche
Rechtsgewalt auszuüben. Nicht verletzte Staten dürfen nur dann zu Repreſſalien
greifen, wenn es eine gemeingefährliche Verletzung des Völker- und Menſchenrechts
zu rügen gilt.
504.
Die Repreſſalien dürfen nicht länger dauern, als bis das Unrecht,
welches dieſelben veranlaßt hat, wieder gutgemacht und geſühnt iſt.
Das folgt aus der Natur der Repreſſalien als einer ausnahmsweiſen
Selbſthülfe gegen Unrecht. Der befriedete Rechtszuſtand erträgt daher die Fort-
dauer der Repreſſalien nicht.
505.
Die Retorſion bezweckt nicht, Unrecht zu rügen, ſondern iſt ein po-
litiſches Mittel, einer nachtheiligen Rechtsübung eines andern Stats ent-
gegen zu wirken.
1. Die Retorſion iſt nicht gegen Unrecht, aber gegen eine unbillige
Ausübung fremden Rechtes gewendet. Z. B. Der Stat A gibt in ſeiner
Geſetzgebung den einheimiſchen Gläubigern einen Vorzug vor den Fremden. Oder:
In dem State A beſteht eine ſtrenge Zunftordnung, welche den Gewerbebetrieb der
Ausländer erſchwert. Oder das Zollſyſtem des States A erſchwert den Angehörigen
des States B den Handel mit den Angehörigen des States A. In allen dieſen
und ähnlichen Fällen iſt der Stat A in ſeinem formellen Recht. Er kann dieſe
Verhältniſſe nach ſeinem Ermeſſen ordnen. Aber ſeine Geſetze wirken ungünſtig auf
den Nachbarſtat B und deſſen Angehörige und werden zugleich von dieſem als un-
billig empfunden. Da hat die Retorſion des States B, welcher ähnliche für den
Stat A und deſſen Bürger ungünſtig wirkende Einwirkungen trifft, den Zweck, den
Stat A ſeine Unbill empfinden zu laſſen und ihn dadurch zu einer Beſſerung zu
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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 282. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/304>, abgerufen am 24.11.2024.
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