Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868.

Bild:
<< vorherige Seite

Das Kriegsrecht.
nicht als eigentliche Kriegsführung zu betrachten sein. Aber sie kann sich unter Um-
ständen zum Kriege steigern, wenn die verfolgten Piraten Schutz bei einer statlichen
Macht finden.

522.

Die Ankündigung des bevorstehenden Kriegs kann durch Gesante
oder Herolde dem Gegner gegenüber förmlich erkärt oder sie kann durch
ein allgemeines Kriegsmanifest aller Welt gegenüber eröffnet werden.

1. Die antike Rechtsübung der Römer betrachtete die feierliche Krie gs-
androhung
und sodann die nachfolgende Kriegserklärung als eine Be-
dingung des gerechten Kriegs (bellum justum). Auch im Mittelalter mußte die
rechtmäßige Fehde drei Tage vor Beginn der Gewalt feierlich angesagt werden.
Mit Rücksicht darauf erklären manche Publicisten die vorherige Kriegserklä-
rung an den Feind
für ein Erforderniß eines civilisirten Kriegsrechts.

2. Es läßt sich nicht verkennen, daß ein solches formelles Verfahren, wenn
es allseitig beachtet wird, für die Rechtssicherheit nützlich ist. Es wird dadurch der
Zeitpunkt genau constatirt, in dem der Friede aufhört und ein ausnahms-
weiser Nothstand des Kriegs eintritt. Das genau zu erfahren und sicher zu wissen,
ist aber für eine Menge von Rechtsverhältnissen und Rechtsfragen von größter Wich-
tigkeit. Aber man darf ebenso wenig übersehn, daß der neuere Kriegsgebrauch seit
mehr als einem Jahrhundert diese Form nicht mehr als nothwendige Bedingung
einer rechtmäßigen Kriegsführung beachtet. In der That kommt es denn auch nicht
auf diese besondere Form der Kriegserklärung an, um den Entschluß zum Krieg zu
verkünden und die Thatsache des Kriegs zu constatiren. Ganz dasselbe kann durch
ein Kriegsmanifest erreicht werden, welches beides aller Welt und also auch dem
Feind gegenüber verkündet.

Das heutige Völkerrecht legt daher einem solchen Kriegsmanifest ganz dieselbe
Bedeutung bei, wie der gegenseitigen Kriegserklärung. Ueberhaupt ist es geneigt,
die ganze Frage weniger formell zu betrachten, als die frühere Völkersitte. Die
Rechtsklarheit hat dabei gelitten, aber die Interessen der Politik und der Kriegs-
führung haben sich dabei besser befunden. Vgl. besonders Phillimore III.
Cap. 5.

523.

In der Androhung, daß eine besagte Handlung eines States als
Kriegsfall betrachtet und sofortige kriegerische Maßregeln nach sich ziehen
werde, liegt unter Umständen eine eventuelle Kriegserklärung.

Fälle der eventuellen Kriegserklärung sind in der neueren Kriegs-
geschichte nicht selten, so daß dann eine nochmalige Kriegserklärung oder selbst ein

Das Kriegsrecht.
nicht als eigentliche Kriegsführung zu betrachten ſein. Aber ſie kann ſich unter Um-
ſtänden zum Kriege ſteigern, wenn die verfolgten Piraten Schutz bei einer ſtatlichen
Macht finden.

522.

Die Ankündigung des bevorſtehenden Kriegs kann durch Geſante
oder Herolde dem Gegner gegenüber förmlich erkärt oder ſie kann durch
ein allgemeines Kriegsmanifeſt aller Welt gegenüber eröffnet werden.

1. Die antike Rechtsübung der Römer betrachtete die feierliche Krie gs-
androhung
und ſodann die nachfolgende Kriegserklärung als eine Be-
dingung des gerechten Kriegs (bellum justum). Auch im Mittelalter mußte die
rechtmäßige Fehde drei Tage vor Beginn der Gewalt feierlich angeſagt werden.
Mit Rückſicht darauf erklären manche Publiciſten die vorherige Kriegserklä-
rung an den Feind
für ein Erforderniß eines civiliſirten Kriegsrechts.

2. Es läßt ſich nicht verkennen, daß ein ſolches formelles Verfahren, wenn
es allſeitig beachtet wird, für die Rechtsſicherheit nützlich iſt. Es wird dadurch der
Zeitpunkt genau conſtatirt, in dem der Friede aufhört und ein ausnahms-
weiſer Nothſtand des Kriegs eintritt. Das genau zu erfahren und ſicher zu wiſſen,
iſt aber für eine Menge von Rechtsverhältniſſen und Rechtsfragen von größter Wich-
tigkeit. Aber man darf ebenſo wenig überſehn, daß der neuere Kriegsgebrauch ſeit
mehr als einem Jahrhundert dieſe Form nicht mehr als nothwendige Bedingung
einer rechtmäßigen Kriegsführung beachtet. In der That kommt es denn auch nicht
auf dieſe beſondere Form der Kriegserklärung an, um den Entſchluß zum Krieg zu
verkünden und die Thatſache des Kriegs zu conſtatiren. Ganz dasſelbe kann durch
ein Kriegsmanifeſt erreicht werden, welches beides aller Welt und alſo auch dem
Feind gegenüber verkündet.

Das heutige Völkerrecht legt daher einem ſolchen Kriegsmanifeſt ganz dieſelbe
Bedeutung bei, wie der gegenſeitigen Kriegserklärung. Ueberhaupt iſt es geneigt,
die ganze Frage weniger formell zu betrachten, als die frühere Völkerſitte. Die
Rechtsklarheit hat dabei gelitten, aber die Intereſſen der Politik und der Kriegs-
führung haben ſich dabei beſſer befunden. Vgl. beſonders Phillimore III.
Cap. 5.

523.

In der Androhung, daß eine beſagte Handlung eines States als
Kriegsfall betrachtet und ſofortige kriegeriſche Maßregeln nach ſich ziehen
werde, liegt unter Umſtänden eine eventuelle Kriegserklärung.

Fälle der eventuellen Kriegserklärung ſind in der neueren Kriegs-
geſchichte nicht ſelten, ſo daß dann eine nochmalige Kriegserklärung oder ſelbſt ein

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0315" n="293"/><fw place="top" type="header">Das Kriegsrecht.</fw><lb/>
nicht als eigentliche Kriegsführung zu betrachten &#x017F;ein. Aber &#x017F;ie kann &#x017F;ich unter Um-<lb/>
&#x017F;tänden zum Kriege &#x017F;teigern, wenn die verfolgten Piraten Schutz bei einer &#x017F;tatlichen<lb/>
Macht finden.</p>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head>522.</head><lb/>
              <p>Die Ankündigung des bevor&#x017F;tehenden Kriegs kann durch Ge&#x017F;ante<lb/>
oder Herolde dem Gegner gegenüber förmlich erkärt oder &#x017F;ie kann durch<lb/>
ein allgemeines Kriegsmanife&#x017F;t aller Welt gegenüber eröffnet werden.</p><lb/>
              <p>1. Die antike Rechtsübung der Römer betrachtete die <hi rendition="#g">feierliche Krie gs-<lb/>
androhung</hi> und &#x017F;odann die <hi rendition="#g">nachfolgende Kriegserklärung</hi> als eine Be-<lb/>
dingung des gerechten Kriegs (<hi rendition="#aq">bellum justum</hi>). Auch im Mittelalter mußte die<lb/><hi rendition="#g">rechtmäßige Fehde</hi> drei Tage vor Beginn der Gewalt feierlich ange&#x017F;agt werden.<lb/>
Mit Rück&#x017F;icht darauf erklären manche Publici&#x017F;ten die <hi rendition="#g">vorherige Kriegserklä-<lb/>
rung an den Feind</hi> für ein Erforderniß eines civili&#x017F;irten Kriegsrechts.</p><lb/>
              <p>2. Es läßt &#x017F;ich nicht verkennen, daß ein &#x017F;olches formelles Verfahren, wenn<lb/>
es all&#x017F;eitig beachtet wird, für die Rechts&#x017F;icherheit nützlich i&#x017F;t. Es wird dadurch der<lb/><hi rendition="#g">Zeitpunkt genau con&#x017F;tatirt</hi>, in dem der Friede aufhört und ein ausnahms-<lb/>
wei&#x017F;er Noth&#x017F;tand des Kriegs eintritt. Das genau zu erfahren und &#x017F;icher zu wi&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
i&#x017F;t aber für eine Menge von Rechtsverhältni&#x017F;&#x017F;en und Rechtsfragen von größter Wich-<lb/>
tigkeit. Aber man darf eben&#x017F;o wenig über&#x017F;ehn, daß der neuere Kriegsgebrauch &#x017F;eit<lb/>
mehr als einem Jahrhundert die&#x017F;e Form nicht mehr als nothwendige Bedingung<lb/>
einer rechtmäßigen Kriegsführung beachtet. In der That kommt es denn auch nicht<lb/>
auf die&#x017F;e be&#x017F;ondere Form der Kriegserklärung an, um den Ent&#x017F;chluß zum Krieg zu<lb/>
verkünden und die That&#x017F;ache des Kriegs zu con&#x017F;tatiren. Ganz das&#x017F;elbe kann durch<lb/>
ein <hi rendition="#g">Kriegsmanife&#x017F;t</hi> erreicht werden, welches beides aller Welt und al&#x017F;o auch dem<lb/>
Feind gegenüber verkündet.</p><lb/>
              <p>Das heutige Völkerrecht legt daher einem &#x017F;olchen Kriegsmanife&#x017F;t ganz die&#x017F;elbe<lb/>
Bedeutung bei, wie der gegen&#x017F;eitigen Kriegserklärung. Ueberhaupt i&#x017F;t es geneigt,<lb/>
die ganze Frage <hi rendition="#g">weniger formell</hi> zu betrachten, als die frühere Völker&#x017F;itte. Die<lb/>
Rechtsklarheit hat dabei gelitten, aber die Intere&#x017F;&#x017F;en der Politik und der Kriegs-<lb/>
führung haben &#x017F;ich dabei be&#x017F;&#x017F;er befunden. Vgl. be&#x017F;onders <hi rendition="#g">Phillimore</hi> <hi rendition="#aq">III.</hi><lb/>
Cap. 5.</p>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head>523.</head><lb/>
              <p>In der Androhung, daß eine be&#x017F;agte Handlung eines States als<lb/>
Kriegsfall betrachtet und &#x017F;ofortige kriegeri&#x017F;che Maßregeln nach &#x017F;ich ziehen<lb/>
werde, liegt unter Um&#x017F;tänden eine eventuelle Kriegserklärung.</p><lb/>
              <p>Fälle der <hi rendition="#g">eventuellen Kriegserklärung</hi> &#x017F;ind in der neueren Kriegs-<lb/>
ge&#x017F;chichte nicht &#x017F;elten, &#x017F;o daß dann eine nochmalige Kriegserklärung oder &#x017F;elb&#x017F;t ein<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[293/0315] Das Kriegsrecht. nicht als eigentliche Kriegsführung zu betrachten ſein. Aber ſie kann ſich unter Um- ſtänden zum Kriege ſteigern, wenn die verfolgten Piraten Schutz bei einer ſtatlichen Macht finden. 522. Die Ankündigung des bevorſtehenden Kriegs kann durch Geſante oder Herolde dem Gegner gegenüber förmlich erkärt oder ſie kann durch ein allgemeines Kriegsmanifeſt aller Welt gegenüber eröffnet werden. 1. Die antike Rechtsübung der Römer betrachtete die feierliche Krie gs- androhung und ſodann die nachfolgende Kriegserklärung als eine Be- dingung des gerechten Kriegs (bellum justum). Auch im Mittelalter mußte die rechtmäßige Fehde drei Tage vor Beginn der Gewalt feierlich angeſagt werden. Mit Rückſicht darauf erklären manche Publiciſten die vorherige Kriegserklä- rung an den Feind für ein Erforderniß eines civiliſirten Kriegsrechts. 2. Es läßt ſich nicht verkennen, daß ein ſolches formelles Verfahren, wenn es allſeitig beachtet wird, für die Rechtsſicherheit nützlich iſt. Es wird dadurch der Zeitpunkt genau conſtatirt, in dem der Friede aufhört und ein ausnahms- weiſer Nothſtand des Kriegs eintritt. Das genau zu erfahren und ſicher zu wiſſen, iſt aber für eine Menge von Rechtsverhältniſſen und Rechtsfragen von größter Wich- tigkeit. Aber man darf ebenſo wenig überſehn, daß der neuere Kriegsgebrauch ſeit mehr als einem Jahrhundert dieſe Form nicht mehr als nothwendige Bedingung einer rechtmäßigen Kriegsführung beachtet. In der That kommt es denn auch nicht auf dieſe beſondere Form der Kriegserklärung an, um den Entſchluß zum Krieg zu verkünden und die Thatſache des Kriegs zu conſtatiren. Ganz dasſelbe kann durch ein Kriegsmanifeſt erreicht werden, welches beides aller Welt und alſo auch dem Feind gegenüber verkündet. Das heutige Völkerrecht legt daher einem ſolchen Kriegsmanifeſt ganz dieſelbe Bedeutung bei, wie der gegenſeitigen Kriegserklärung. Ueberhaupt iſt es geneigt, die ganze Frage weniger formell zu betrachten, als die frühere Völkerſitte. Die Rechtsklarheit hat dabei gelitten, aber die Intereſſen der Politik und der Kriegs- führung haben ſich dabei beſſer befunden. Vgl. beſonders Phillimore III. Cap. 5. 523. In der Androhung, daß eine beſagte Handlung eines States als Kriegsfall betrachtet und ſofortige kriegeriſche Maßregeln nach ſich ziehen werde, liegt unter Umſtänden eine eventuelle Kriegserklärung. Fälle der eventuellen Kriegserklärung ſind in der neueren Kriegs- geſchichte nicht ſelten, ſo daß dann eine nochmalige Kriegserklärung oder ſelbſt ein

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/315
Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 293. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/315>, abgerufen am 24.11.2024.