Auch in einem ungerechten Krieg gelten dennoch die Vorschriften des Völkerrechts über die Art der Kriegsführung und die Rechte und Pflichten der Kriegsparteien.
Ueber den Begriff des ungerechten, d. h. des nicht durch eine rechtmäßige Kriegsursache gerechtfertigten Kriegs vgl. oben zu § 516 bis 518. Die Vorschriften des Kriegsrechts sind aber auch für den ungerechten Krieg bindend. Würde man das nicht zugeben, und etwa gegen die Kriegspartei, welcher man vorwirft, sie habe keinen Rechtsgrund für sich, strengere und grausamere Maßregeln ergreifen oder ihr nicht dieselben Rechte zugestehen, so würde der Krieg überhaupt wieder barbarischer werden; denn wie jede Partei gewöhnlich behauptet, nur ihr Recht zu verfechten, so bestreitet sie gewöhnlich den Rechtsgrund der Gegenpartei. Das Kriegsrecht civilisirt den gerechten und den ungerechten Krieg ganz gleichmäßig. Nur weil es diese Unterscheidung nicht wirken läßt, sichert es seine allgemeine Anwendung.
520.
Die rechtmäßige Kriegsursache rechtfertigt den Krieg nur dann, wenn die Herstellung des Rechts und die entsprechende Genugthuung und Sühne nicht auf friedlichem Wege sicher und ohne Zögerung zu erreichen sind.
Daß man die Verhandlung über das streitige Recht nicht mit dem Krieg be- ginnen darf, war schon den antiken Völkern klar. Der Krieg ist nicht das erste, sondern das letzte Mittel, sich Recht zu verschaffen, im Grunde doch nur ein un- sicheres, mit den schwersten Uebeln verbundenes Nothmittel.
521.
Wenn ein Stat einen Angriffskrieg beginnt, so ist er schuldig, vorerst den Versuch zu machen, ob nicht seine Forderungen ohne Krieg anerkannt und erfüllt werden und ebenso verbunden, vorher seinen Entschluß zum Krieg vor Eröffnung der Feindseligkeiten anzukündigen.
Wird ein Angriffskrieg ohne Kriegsdrohung oder ohne vorherige Kriegs- erklärung lediglich durch thatsächliche Ueberraschung mit Feindseligkeiten begonnen, so wird diese Handlung von dem civilisirten Völkerrecht gemißbilligt, es wäre denn, daß ausnahmsweise das Völkerrecht die sofortige Anwendung der Kriegsgewalt, wie z. B. gegen Seeräuber gestattet. In der Regel wird freilich die Verfolgung der Seeräuber als Anwendung der völkerrechtlichen Strafgerichtsbarkeit,
Achtes Buch.
519.
Auch in einem ungerechten Krieg gelten dennoch die Vorſchriften des Völkerrechts über die Art der Kriegsführung und die Rechte und Pflichten der Kriegsparteien.
Ueber den Begriff des ungerechten, d. h. des nicht durch eine rechtmäßige Kriegsurſache gerechtfertigten Kriegs vgl. oben zu § 516 bis 518. Die Vorſchriften des Kriegsrechts ſind aber auch für den ungerechten Krieg bindend. Würde man das nicht zugeben, und etwa gegen die Kriegspartei, welcher man vorwirft, ſie habe keinen Rechtsgrund für ſich, ſtrengere und grauſamere Maßregeln ergreifen oder ihr nicht dieſelben Rechte zugeſtehen, ſo würde der Krieg überhaupt wieder barbariſcher werden; denn wie jede Partei gewöhnlich behauptet, nur ihr Recht zu verfechten, ſo beſtreitet ſie gewöhnlich den Rechtsgrund der Gegenpartei. Das Kriegsrecht civiliſirt den gerechten und den ungerechten Krieg ganz gleichmäßig. Nur weil es dieſe Unterſcheidung nicht wirken läßt, ſichert es ſeine allgemeine Anwendung.
520.
Die rechtmäßige Kriegsurſache rechtfertigt den Krieg nur dann, wenn die Herſtellung des Rechts und die entſprechende Genugthuung und Sühne nicht auf friedlichem Wege ſicher und ohne Zögerung zu erreichen ſind.
Daß man die Verhandlung über das ſtreitige Recht nicht mit dem Krieg be- ginnen darf, war ſchon den antiken Völkern klar. Der Krieg iſt nicht das erſte, ſondern das letzte Mittel, ſich Recht zu verſchaffen, im Grunde doch nur ein un- ſicheres, mit den ſchwerſten Uebeln verbundenes Nothmittel.
521.
Wenn ein Stat einen Angriffskrieg beginnt, ſo iſt er ſchuldig, vorerſt den Verſuch zu machen, ob nicht ſeine Forderungen ohne Krieg anerkannt und erfüllt werden und ebenſo verbunden, vorher ſeinen Entſchluß zum Krieg vor Eröffnung der Feindſeligkeiten anzukündigen.
Wird ein Angriffskrieg ohne Kriegsdrohung oder ohne vorherige Kriegs- erklärung lediglich durch thatſächliche Ueberraſchung mit Feindſeligkeiten begonnen, ſo wird dieſe Handlung von dem civiliſirten Völkerrecht gemißbilligt, es wäre denn, daß ausnahmsweiſe das Völkerrecht die ſofortige Anwendung der Kriegsgewalt, wie z. B. gegen Seeräuber geſtattet. In der Regel wird freilich die Verfolgung der Seeräuber als Anwendung der völkerrechtlichen Strafgerichtsbarkeit,
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Achtes Buch.
519.
Auch in einem ungerechten Krieg gelten dennoch die Vorſchriften
des Völkerrechts über die Art der Kriegsführung und die Rechte und
Pflichten der Kriegsparteien.
Ueber den Begriff des ungerechten, d. h. des nicht durch eine rechtmäßige
Kriegsurſache gerechtfertigten Kriegs vgl. oben zu § 516 bis 518. Die Vorſchriften
des Kriegsrechts ſind aber auch für den ungerechten Krieg bindend. Würde man
das nicht zugeben, und etwa gegen die Kriegspartei, welcher man vorwirft, ſie habe
keinen Rechtsgrund für ſich, ſtrengere und grauſamere Maßregeln ergreifen oder ihr
nicht dieſelben Rechte zugeſtehen, ſo würde der Krieg überhaupt wieder barbariſcher
werden; denn wie jede Partei gewöhnlich behauptet, nur ihr Recht zu verfechten, ſo
beſtreitet ſie gewöhnlich den Rechtsgrund der Gegenpartei. Das Kriegsrecht civiliſirt
den gerechten und den ungerechten Krieg ganz gleichmäßig. Nur weil es dieſe
Unterſcheidung nicht wirken läßt, ſichert es ſeine allgemeine Anwendung.
520.
Die rechtmäßige Kriegsurſache rechtfertigt den Krieg nur dann,
wenn die Herſtellung des Rechts und die entſprechende Genugthuung und
Sühne nicht auf friedlichem Wege ſicher und ohne Zögerung zu erreichen
ſind.
Daß man die Verhandlung über das ſtreitige Recht nicht mit dem Krieg be-
ginnen darf, war ſchon den antiken Völkern klar. Der Krieg iſt nicht das erſte,
ſondern das letzte Mittel, ſich Recht zu verſchaffen, im Grunde doch nur ein un-
ſicheres, mit den ſchwerſten Uebeln verbundenes Nothmittel.
521.
Wenn ein Stat einen Angriffskrieg beginnt, ſo iſt er ſchuldig, vorerſt
den Verſuch zu machen, ob nicht ſeine Forderungen ohne Krieg anerkannt
und erfüllt werden und ebenſo verbunden, vorher ſeinen Entſchluß zum
Krieg vor Eröffnung der Feindſeligkeiten anzukündigen.
Wird ein Angriffskrieg ohne Kriegsdrohung oder ohne vorherige Kriegs-
erklärung lediglich durch thatſächliche Ueberraſchung mit Feindſeligkeiten begonnen, ſo
wird dieſe Handlung von dem civiliſirten Völkerrecht gemißbilligt, es wäre denn,
daß ausnahmsweiſe das Völkerrecht die ſofortige Anwendung der Kriegsgewalt,
wie z. B. gegen Seeräuber geſtattet. In der Regel wird freilich die Verfolgung
der Seeräuber als Anwendung der völkerrechtlichen Strafgerichtsbarkeit,
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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 292. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/314>, abgerufen am 24.11.2024.
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