Der Krieg wird zwischen den Staten geführt und nicht unter und mit den Privatpersonen.
Die Erkenntniß dieses großen Gesetzes, welches aus der Natur des völker- rechtlichen Rechtsstreites folgt, hat auf die Humanisirung des Kriegs und auf die Sicherung der Privatrechte die wohlthätigsten Wirkungen hervorgebracht. Vergleiche darüber die Einleitung zu diesem Werke. So lange freilich, wie im Alterthum, der Einzelmensch im State aufging, konnte diese Unterscheidung nicht vollwirksam werden. Aber seitdem der Gegensatz des öffentlichen und des Privatrechts klarer ge- worden ist und die neuere Rechtsbildung begriffen hat, daß die Privatperson eine Existenz für sich habe, auch im Gegensatz zum State, hat dieselbe das ganze aus dem Alterthum hergebrachte Kriegsrecht wohlthätig umgebildet.
531.
Die kriegführenden Staten sind Feinde im eigentlichen Sinn, die Privatpersonen dagegen sind als solche nicht Feinde, weder unter einander noch dem feindlichen State gegenüber.
Nur die Statsgewalt tritt mit Heeresmacht den feindlichen Staten ent- gegen und unternimmt es, dieselbe zu zwingen, daß sie das von jener behauptete Recht anerkenne oder auf ihre bestrittenen Forderungen verzichte. Die Privaten als solche sind bei diesem Streite nicht unmittelbar betheiligt, sie sind nicht Kriegs- und nicht Proceßparteien, und eben deßhalb nicht Feinde im eigentlichen und vollen Sinn des Worts. Der von den früheren Publicisten, sogar noch von Kent (Comm. § 6, 7, 8) als allgemein anerkannt behauptete Satz: "Wenn der Stat im Kriege sei, so seien alle Bürger des Stats Feinde" ist offenbar falsch und darf daher nicht mehr gelten. Der Stat ist eine andere Per- son als die Privatpersonen im State. Der Stat hat eine ihm eigenthümliche Rechtssphäre, das große Gebiet des öffentlichen Rechts, und die Privatper- sonen haben ebenso ein ihnen eigenes Rechtsgebiet, ihre persönlichen Familien- und Vermögensrechte, welches von dem Streit der Staten nicht unmittelbar, sondern nur mittelbar betroffen wird, über welches kein Streit zwischen den Sta- ten ist. Daher sind die Privatpersonen nicht im eigentlichen Sinne Feinde. Sie können trotz des Kriegs in den freundlichsten Beziehungen leben, der Verwandtschaft, der Wirthschaft, des Verkehrs. Sehr wahr erklärte der berühmte französische Minister Portalis im Jahre VIII. bei der Installation des Prisengerichtshofs: "Entre deux ou plusieurs nations belligerantes, les particuliers dont ces nations se composent, ne sont ennemis que par accident: ils ne le sont point comme hommes, ils ne le sont meme pas comme citoyens; ils le sont uniquement comme soldats". Vgl. Heffter § 119.
Das Kriegsrecht.
530.
Der Krieg wird zwiſchen den Staten geführt und nicht unter und mit den Privatperſonen.
Die Erkenntniß dieſes großen Geſetzes, welches aus der Natur des völker- rechtlichen Rechtsſtreites folgt, hat auf die Humaniſirung des Kriegs und auf die Sicherung der Privatrechte die wohlthätigſten Wirkungen hervorgebracht. Vergleiche darüber die Einleitung zu dieſem Werke. So lange freilich, wie im Alterthum, der Einzelmenſch im State aufging, konnte dieſe Unterſcheidung nicht vollwirkſam werden. Aber ſeitdem der Gegenſatz des öffentlichen und des Privatrechts klarer ge- worden iſt und die neuere Rechtsbildung begriffen hat, daß die Privatperſon eine Exiſtenz für ſich habe, auch im Gegenſatz zum State, hat dieſelbe das ganze aus dem Alterthum hergebrachte Kriegsrecht wohlthätig umgebildet.
531.
Die kriegführenden Staten ſind Feinde im eigentlichen Sinn, die Privatperſonen dagegen ſind als ſolche nicht Feinde, weder unter einander noch dem feindlichen State gegenüber.
Nur die Statsgewalt tritt mit Heeresmacht den feindlichen Staten ent- gegen und unternimmt es, dieſelbe zu zwingen, daß ſie das von jener behauptete Recht anerkenne oder auf ihre beſtrittenen Forderungen verzichte. Die Privaten als ſolche ſind bei dieſem Streite nicht unmittelbar betheiligt, ſie ſind nicht Kriegs- und nicht Proceßparteien, und eben deßhalb nicht Feinde im eigentlichen und vollen Sinn des Worts. Der von den früheren Publiciſten, ſogar noch von Kent (Comm. § 6, 7, 8) als allgemein anerkannt behauptete Satz: „Wenn der Stat im Kriege ſei, ſo ſeien alle Bürger des Stats Feinde“ iſt offenbar falſch und darf daher nicht mehr gelten. Der Stat iſt eine andere Per- ſon als die Privatperſonen im State. Der Stat hat eine ihm eigenthümliche Rechtsſphäre, das große Gebiet des öffentlichen Rechts, und die Privatper- ſonen haben ebenſo ein ihnen eigenes Rechtsgebiet, ihre perſönlichen Familien- und Vermögensrechte, welches von dem Streit der Staten nicht unmittelbar, ſondern nur mittelbar betroffen wird, über welches kein Streit zwiſchen den Sta- ten iſt. Daher ſind die Privatperſonen nicht im eigentlichen Sinne Feinde. Sie können trotz des Kriegs in den freundlichſten Beziehungen leben, der Verwandtſchaft, der Wirthſchaft, des Verkehrs. Sehr wahr erklärte der berühmte franzöſiſche Miniſter Portalis im Jahre VIII. bei der Inſtallation des Priſengerichtshofs: „Entre deux ou plusieurs nations belligérantes, les particuliers dont ces nations se composent, ne sont ennemis que par accident: ils ne le sont point comme hommes, ils ne le sont même pas comme citoyens; ils le sont uniquement comme soldats“. Vgl. Heffter § 119.
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Das Kriegsrecht.
530.
Der Krieg wird zwiſchen den Staten geführt und nicht unter und
mit den Privatperſonen.
Die Erkenntniß dieſes großen Geſetzes, welches aus der Natur des völker-
rechtlichen Rechtsſtreites folgt, hat auf die Humaniſirung des Kriegs und auf die
Sicherung der Privatrechte die wohlthätigſten Wirkungen hervorgebracht. Vergleiche
darüber die Einleitung zu dieſem Werke. So lange freilich, wie im Alterthum, der
Einzelmenſch im State aufging, konnte dieſe Unterſcheidung nicht vollwirkſam werden.
Aber ſeitdem der Gegenſatz des öffentlichen und des Privatrechts klarer ge-
worden iſt und die neuere Rechtsbildung begriffen hat, daß die Privatperſon eine
Exiſtenz für ſich habe, auch im Gegenſatz zum State, hat dieſelbe das ganze
aus dem Alterthum hergebrachte Kriegsrecht wohlthätig umgebildet.
531.
Die kriegführenden Staten ſind Feinde im eigentlichen Sinn, die
Privatperſonen dagegen ſind als ſolche nicht Feinde, weder unter einander
noch dem feindlichen State gegenüber.
Nur die Statsgewalt tritt mit Heeresmacht den feindlichen Staten ent-
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Recht anerkenne oder auf ihre beſtrittenen Forderungen verzichte. Die Privaten als
ſolche ſind bei dieſem Streite nicht unmittelbar betheiligt, ſie ſind nicht Kriegs-
und nicht Proceßparteien, und eben deßhalb nicht Feinde im eigentlichen
und vollen Sinn des Worts. Der von den früheren Publiciſten, ſogar noch von
Kent (Comm. § 6, 7, 8) als allgemein anerkannt behauptete Satz: „Wenn der
Stat im Kriege ſei, ſo ſeien alle Bürger des Stats Feinde“ iſt
offenbar falſch und darf daher nicht mehr gelten. Der Stat iſt eine andere Per-
ſon als die Privatperſonen im State. Der Stat hat eine ihm eigenthümliche
Rechtsſphäre, das große Gebiet des öffentlichen Rechts, und die Privatper-
ſonen haben ebenſo ein ihnen eigenes Rechtsgebiet, ihre perſönlichen
Familien- und Vermögensrechte, welches von dem Streit der Staten nicht unmittelbar,
ſondern nur mittelbar betroffen wird, über welches kein Streit zwiſchen den Sta-
ten iſt. Daher ſind die Privatperſonen nicht im eigentlichen Sinne Feinde. Sie
können trotz des Kriegs in den freundlichſten Beziehungen leben, der Verwandtſchaft,
der Wirthſchaft, des Verkehrs. Sehr wahr erklärte der berühmte franzöſiſche Miniſter
Portalis im Jahre VIII. bei der Inſtallation des Priſengerichtshofs: „Entre
deux ou plusieurs nations belligérantes, les particuliers dont ces nations se
composent, ne sont ennemis que par accident: ils ne le sont point comme
hommes, ils ne le sont même pas comme citoyens; ils le sont uniquement
comme soldats“. Vgl. Heffter § 119.
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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 297. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/319>, abgerufen am 24.11.2024.
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