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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868.

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Achtes Buch.
unwichtige Nebensache. Im Civilproceß werden aber auch die Proceßmittel, die
Streitschriften und die Streitreden der Parteien in den bemessenen Schranken fest-
gehalten, welche der Natur der Streitsache entsprechen. Sie greifen nicht über das
Klagbegehren und nicht über den Umfang der Einreden hinaus. Im Krieg der
Völker ist das Alles anders. Der Krieg ist ein so furchtbares Streitmittel, daß der-
selbe eine Menge von Wirkungen und Folgen nach sich zieht, welche mit dem ursprüng-
lichen Streitobject nichts zu schaffen haben. Er macht Opfer an Gut und Blut
nöthig, die nicht selten viel größer sind, als der Werth des streitigen Rechts. Er
regt mit den Volkskräften auch die Volksleidenschaften aus der Tiefe auf und stellt
das ganze künftige Verhältniß der streitenden Staten in Frage. Nicht bloß über das
Recht, auch um die Interessen der Politik wird nun gestritten. Es offenbaren sich
im Krieg die lange gebundenen und verborgenen Kräfte, und verlangen nun ebenfalls
Beachtung. So wird der Krieg zu einem Entwicklungsmoment der Völker-
geschichte
und in veränderter Gestalt gehen aus ihm die Staten hervor.

2. Deßhalb ist das Kriegsziel nicht so enge begrenzt, wie die Kriegs-
ursache
. Es erweitert sich durch andere Momente, welche der Krieg selbst dem
ursprünglichem Streitgegenstand hinzufügt. Es handelt sich meistens nicht mehr
allein um die Gewährung des anfangs streitigen Anspruchs oder die Anerkennung
des bestrittenen Rechts, selbst nicht bloß um die Entschädigung für die erlittene Un-
bill und um die Genugthuung für die erfahrene Beleidigung. Man will auch
Sicherheit für die Zukunft und sogar einen neuen Friedenszustand gewinnen,
welcher dem im Krieg bewährten Machtverhältniß entspricht und der neuen Rechts-
bildung des Statenlebens zu zeitgemäßem Ausdruck dient.

3. Insofern erscheint der Krieg nicht als bloße Abwehr der Rechtsver-
letzung
und als ein Mittel der Wiederherstellung des verletzten Rechts,
sondern zugleich als eine treibende Kraft zu neuer Rechtsgestaltung.
Die Neugestaltung des Statslebens geht nun einmal nach dem Zeugniß der Ge-
schichte meistens unter Donner und Blitz, im Gewittersturm vor sich.


3. Kriegsrecht gegen den feindlichen Stat und in dem feindlichen
Statsgebiete.
537.

Der ständige diplomatische Verkehr zwischen den feindlichen Staten
wird, wenn er nicht schon vor der Kriegseröffnung abgebrochen worden
ist, nun in Folge derselben regelmäßig aufgehoben und die Gesanten wer-
den wechselseitig zurückgerufen oder zurückgeschickt.

Achtes Buch.
unwichtige Nebenſache. Im Civilproceß werden aber auch die Proceßmittel, die
Streitſchriften und die Streitreden der Parteien in den bemeſſenen Schranken feſt-
gehalten, welche der Natur der Streitſache entſprechen. Sie greifen nicht über das
Klagbegehren und nicht über den Umfang der Einreden hinaus. Im Krieg der
Völker iſt das Alles anders. Der Krieg iſt ein ſo furchtbares Streitmittel, daß der-
ſelbe eine Menge von Wirkungen und Folgen nach ſich zieht, welche mit dem urſprüng-
lichen Streitobject nichts zu ſchaffen haben. Er macht Opfer an Gut und Blut
nöthig, die nicht ſelten viel größer ſind, als der Werth des ſtreitigen Rechts. Er
regt mit den Volkskräften auch die Volksleidenſchaften aus der Tiefe auf und ſtellt
das ganze künftige Verhältniß der ſtreitenden Staten in Frage. Nicht bloß über das
Recht, auch um die Intereſſen der Politik wird nun geſtritten. Es offenbaren ſich
im Krieg die lange gebundenen und verborgenen Kräfte, und verlangen nun ebenfalls
Beachtung. So wird der Krieg zu einem Entwicklungsmoment der Völker-
geſchichte
und in veränderter Geſtalt gehen aus ihm die Staten hervor.

2. Deßhalb iſt das Kriegsziel nicht ſo enge begrenzt, wie die Kriegs-
urſache
. Es erweitert ſich durch andere Momente, welche der Krieg ſelbſt dem
urſprünglichem Streitgegenſtand hinzufügt. Es handelt ſich meiſtens nicht mehr
allein um die Gewährung des anfangs ſtreitigen Anſpruchs oder die Anerkennung
des beſtrittenen Rechts, ſelbſt nicht bloß um die Entſchädigung für die erlittene Un-
bill und um die Genugthuung für die erfahrene Beleidigung. Man will auch
Sicherheit für die Zukunft und ſogar einen neuen Friedenszuſtand gewinnen,
welcher dem im Krieg bewährten Machtverhältniß entſpricht und der neuen Rechts-
bildung des Statenlebens zu zeitgemäßem Ausdruck dient.

3. Inſofern erſcheint der Krieg nicht als bloße Abwehr der Rechtsver-
letzung
und als ein Mittel der Wiederherſtellung des verletzten Rechts,
ſondern zugleich als eine treibende Kraft zu neuer Rechtsgeſtaltung.
Die Neugeſtaltung des Statslebens geht nun einmal nach dem Zeugniß der Ge-
ſchichte meiſtens unter Donner und Blitz, im Gewitterſturm vor ſich.


3. Kriegsrecht gegen den feindlichen Stat und in dem feindlichen
Statsgebiete.
537.

Der ſtändige diplomatiſche Verkehr zwiſchen den feindlichen Staten
wird, wenn er nicht ſchon vor der Kriegseröffnung abgebrochen worden
iſt, nun in Folge derſelben regelmäßig aufgehoben und die Geſanten wer-
den wechſelſeitig zurückgerufen oder zurückgeſchickt.

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[300/0322] Achtes Buch. unwichtige Nebenſache. Im Civilproceß werden aber auch die Proceßmittel, die Streitſchriften und die Streitreden der Parteien in den bemeſſenen Schranken feſt- gehalten, welche der Natur der Streitſache entſprechen. Sie greifen nicht über das Klagbegehren und nicht über den Umfang der Einreden hinaus. Im Krieg der Völker iſt das Alles anders. Der Krieg iſt ein ſo furchtbares Streitmittel, daß der- ſelbe eine Menge von Wirkungen und Folgen nach ſich zieht, welche mit dem urſprüng- lichen Streitobject nichts zu ſchaffen haben. Er macht Opfer an Gut und Blut nöthig, die nicht ſelten viel größer ſind, als der Werth des ſtreitigen Rechts. Er regt mit den Volkskräften auch die Volksleidenſchaften aus der Tiefe auf und ſtellt das ganze künftige Verhältniß der ſtreitenden Staten in Frage. Nicht bloß über das Recht, auch um die Intereſſen der Politik wird nun geſtritten. Es offenbaren ſich im Krieg die lange gebundenen und verborgenen Kräfte, und verlangen nun ebenfalls Beachtung. So wird der Krieg zu einem Entwicklungsmoment der Völker- geſchichte und in veränderter Geſtalt gehen aus ihm die Staten hervor. 2. Deßhalb iſt das Kriegsziel nicht ſo enge begrenzt, wie die Kriegs- urſache. Es erweitert ſich durch andere Momente, welche der Krieg ſelbſt dem urſprünglichem Streitgegenſtand hinzufügt. Es handelt ſich meiſtens nicht mehr allein um die Gewährung des anfangs ſtreitigen Anſpruchs oder die Anerkennung des beſtrittenen Rechts, ſelbſt nicht bloß um die Entſchädigung für die erlittene Un- bill und um die Genugthuung für die erfahrene Beleidigung. Man will auch Sicherheit für die Zukunft und ſogar einen neuen Friedenszuſtand gewinnen, welcher dem im Krieg bewährten Machtverhältniß entſpricht und der neuen Rechts- bildung des Statenlebens zu zeitgemäßem Ausdruck dient. 3. Inſofern erſcheint der Krieg nicht als bloße Abwehr der Rechtsver- letzung und als ein Mittel der Wiederherſtellung des verletzten Rechts, ſondern zugleich als eine treibende Kraft zu neuer Rechtsgeſtaltung. Die Neugeſtaltung des Statslebens geht nun einmal nach dem Zeugniß der Ge- ſchichte meiſtens unter Donner und Blitz, im Gewitterſturm vor ſich. 3. Kriegsrecht gegen den feindlichen Stat und in dem feindlichen Statsgebiete. 537. Der ſtändige diplomatiſche Verkehr zwiſchen den feindlichen Staten wird, wenn er nicht ſchon vor der Kriegseröffnung abgebrochen worden iſt, nun in Folge derſelben regelmäßig aufgehoben und die Geſanten wer- den wechſelſeitig zurückgerufen oder zurückgeſchickt.

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 300. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/322>, abgerufen am 24.11.2024.