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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868.

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Das Kriegsrecht.

Indessen kann der Gesantenverkehr ausnahmsweise auch während
des Kriegs fortgesetzt oder neu angeknüpft werden.

1. Der Abbruch des Gesantenverkehrs geht oft der Kriegserklärung
voraus und wird dann als Einleitung zu dem drohenden Bruch des Friedenszustands
angesehen. Derselbe kann aber auch mit der Kriegserklärung verbunden werden.
Auf einer Rechtsnothwendigkeit beruht er nicht; denn es ist kein innerer
Widerspruch darin zu finden, daß zwei Staten über ein einzelnes Streitobject mit
einander kämpfen und zugleich in andern Beziehungen mit einander durch Gesante
friedliche Verhandlungen pflegen. Der Krieg kann ja durch Uebereinkunft localisirt
und dadurch auf ein engeres Gebiet begränzt werden, als die beiderseitige Stats-
herrschaft reicht. Die wechselseitige Abberufung der Gesanten erscheint daher
durchweg als ein freier, durch politische Erwägungen bestimmter Act der Politik,
nicht als Rechtspflicht. Eben deßhalb ist die Fortdauer der Gesantschaft nicht unmög-
lich, trotz des Kriegs, und der Erneuerung des Gesantenverkehrs steht
auch während des Kriegs kein rechtliches Hinderniß im Weg. Dieselbe kann ebenso
den Frieden vorbereiten, wie früher die Abberufung den Krieg.

2. Als politischer Grund kommt neben der Abneigung, einen freundlichen
Geschäftsverkehr fortzusetzen, während man einander mit tödtlichen Waffen bekämpft,
hauptsächlich die Rücksicht in Betracht, daß man nicht in dem Centrum der eigenen
Stats- und Kriegsleitung eine Repräsentation des feindlichen Stats haben will,
welche diese Stellung gegen die dießseitigen Statsinteressen benutzen kann und allen
feindlichen Bestrebungen zu einem Stützpunkte dient.

Nicht dieselben Gründe sprechen für die einstweilige Aufhebung der con-
sularen
Vertretung, welche weniger im Statsinteresse als zu Gunsten des inter-
nationalen Privatverkehrs
thätig ist. Es kommt daher eher vor, daß die
Thätigkeit der Consuln sogar des feindlichen Stats auch während des Kriegs unge-
hemmt fortgesetzt wird, selbstverständlich aber nur so lange, als der Stat sein Exe-
quatur nicht zurückzieht. Ueber die Consuln der neutralen Staten vgl. § 555.

538.

Auch die Vertragsverhältnisse zwischen den Staten, welche Krieg
führen, werden nicht nothwendig durch die Kriegseröffnung aufgelöst oder
suspendirt.

Die Wirksamkeit der Verträge wird während des Krieges nur in-
soweit gehemmt, als die Kriegsführung mit derselben unvereinbar ist.

Die eigens für den Kriegszustand geschlossenen Statenverträge gelan-
gen erst im Kriege zu ihrer Wirksamkeit.

1. Von vielen Publicisten ward früher behauptet, daß der Krieg ipso
facto
die Verträge zwischen den kriegführenden Staten aufhebe
.

Das Kriegsrecht.

Indeſſen kann der Geſantenverkehr ausnahmsweiſe auch während
des Kriegs fortgeſetzt oder neu angeknüpft werden.

1. Der Abbruch des Geſantenverkehrs geht oft der Kriegserklärung
voraus und wird dann als Einleitung zu dem drohenden Bruch des Friedenszuſtands
angeſehen. Derſelbe kann aber auch mit der Kriegserklärung verbunden werden.
Auf einer Rechtsnothwendigkeit beruht er nicht; denn es iſt kein innerer
Widerſpruch darin zu finden, daß zwei Staten über ein einzelnes Streitobject mit
einander kämpfen und zugleich in andern Beziehungen mit einander durch Geſante
friedliche Verhandlungen pflegen. Der Krieg kann ja durch Uebereinkunft localiſirt
und dadurch auf ein engeres Gebiet begränzt werden, als die beiderſeitige Stats-
herrſchaft reicht. Die wechſelſeitige Abberufung der Geſanten erſcheint daher
durchweg als ein freier, durch politiſche Erwägungen beſtimmter Act der Politik,
nicht als Rechtspflicht. Eben deßhalb iſt die Fortdauer der Geſantſchaft nicht unmög-
lich, trotz des Kriegs, und der Erneuerung des Geſantenverkehrs ſteht
auch während des Kriegs kein rechtliches Hinderniß im Weg. Dieſelbe kann ebenſo
den Frieden vorbereiten, wie früher die Abberufung den Krieg.

2. Als politiſcher Grund kommt neben der Abneigung, einen freundlichen
Geſchäftsverkehr fortzuſetzen, während man einander mit tödtlichen Waffen bekämpft,
hauptſächlich die Rückſicht in Betracht, daß man nicht in dem Centrum der eigenen
Stats- und Kriegsleitung eine Repräſentation des feindlichen Stats haben will,
welche dieſe Stellung gegen die dießſeitigen Statsintereſſen benutzen kann und allen
feindlichen Beſtrebungen zu einem Stützpunkte dient.

Nicht dieſelben Gründe ſprechen für die einſtweilige Aufhebung der con-
ſularen
Vertretung, welche weniger im Statsintereſſe als zu Gunſten des inter-
nationalen Privatverkehrs
thätig iſt. Es kommt daher eher vor, daß die
Thätigkeit der Conſuln ſogar des feindlichen Stats auch während des Kriegs unge-
hemmt fortgeſetzt wird, ſelbſtverſtändlich aber nur ſo lange, als der Stat ſein Exe-
quatur nicht zurückzieht. Ueber die Conſuln der neutralen Staten vgl. § 555.

538.

Auch die Vertragsverhältniſſe zwiſchen den Staten, welche Krieg
führen, werden nicht nothwendig durch die Kriegseröffnung aufgelöst oder
ſuspendirt.

Die Wirkſamkeit der Verträge wird während des Krieges nur in-
ſoweit gehemmt, als die Kriegsführung mit derſelben unvereinbar iſt.

Die eigens für den Kriegszuſtand geſchloſſenen Statenverträge gelan-
gen erſt im Kriege zu ihrer Wirkſamkeit.

1. Von vielen Publiciſten ward früher behauptet, daß der Krieg ipso
facto
die Verträge zwiſchen den kriegführenden Staten aufhebe
.

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[301/0323] Das Kriegsrecht. Indeſſen kann der Geſantenverkehr ausnahmsweiſe auch während des Kriegs fortgeſetzt oder neu angeknüpft werden. 1. Der Abbruch des Geſantenverkehrs geht oft der Kriegserklärung voraus und wird dann als Einleitung zu dem drohenden Bruch des Friedenszuſtands angeſehen. Derſelbe kann aber auch mit der Kriegserklärung verbunden werden. Auf einer Rechtsnothwendigkeit beruht er nicht; denn es iſt kein innerer Widerſpruch darin zu finden, daß zwei Staten über ein einzelnes Streitobject mit einander kämpfen und zugleich in andern Beziehungen mit einander durch Geſante friedliche Verhandlungen pflegen. Der Krieg kann ja durch Uebereinkunft localiſirt und dadurch auf ein engeres Gebiet begränzt werden, als die beiderſeitige Stats- herrſchaft reicht. Die wechſelſeitige Abberufung der Geſanten erſcheint daher durchweg als ein freier, durch politiſche Erwägungen beſtimmter Act der Politik, nicht als Rechtspflicht. Eben deßhalb iſt die Fortdauer der Geſantſchaft nicht unmög- lich, trotz des Kriegs, und der Erneuerung des Geſantenverkehrs ſteht auch während des Kriegs kein rechtliches Hinderniß im Weg. Dieſelbe kann ebenſo den Frieden vorbereiten, wie früher die Abberufung den Krieg. 2. Als politiſcher Grund kommt neben der Abneigung, einen freundlichen Geſchäftsverkehr fortzuſetzen, während man einander mit tödtlichen Waffen bekämpft, hauptſächlich die Rückſicht in Betracht, daß man nicht in dem Centrum der eigenen Stats- und Kriegsleitung eine Repräſentation des feindlichen Stats haben will, welche dieſe Stellung gegen die dießſeitigen Statsintereſſen benutzen kann und allen feindlichen Beſtrebungen zu einem Stützpunkte dient. Nicht dieſelben Gründe ſprechen für die einſtweilige Aufhebung der con- ſularen Vertretung, welche weniger im Statsintereſſe als zu Gunſten des inter- nationalen Privatverkehrs thätig iſt. Es kommt daher eher vor, daß die Thätigkeit der Conſuln ſogar des feindlichen Stats auch während des Kriegs unge- hemmt fortgeſetzt wird, ſelbſtverſtändlich aber nur ſo lange, als der Stat ſein Exe- quatur nicht zurückzieht. Ueber die Conſuln der neutralen Staten vgl. § 555. 538. Auch die Vertragsverhältniſſe zwiſchen den Staten, welche Krieg führen, werden nicht nothwendig durch die Kriegseröffnung aufgelöst oder ſuspendirt. Die Wirkſamkeit der Verträge wird während des Krieges nur in- ſoweit gehemmt, als die Kriegsführung mit derſelben unvereinbar iſt. Die eigens für den Kriegszuſtand geſchloſſenen Statenverträge gelan- gen erſt im Kriege zu ihrer Wirkſamkeit. 1. Von vielen Publiciſten ward früher behauptet, daß der Krieg ipso facto die Verträge zwiſchen den kriegführenden Staten aufhebe.

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 301. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/323>, abgerufen am 24.11.2024.