Wenn ein Theil des feindlichen Statsgebiets -- ein Platz, eine Stadt, ein Bezirk, ein Land -- von der gegnerischen Kriegsgewalt besetzt wird, so verfällt dieser besetzte Theil sofort dem Kriegsrecht des Heeres, welches Besitz ergriffen hat. Die Gegenwart der kriegführenden Truppen in Feindesland wirkt auch ohne vorherige Erklärung.
Vgl. die Amerikanischen Kriegsartikel. 1. Die militärische Besitznahme von Feindesland im Krieg schließt die militärische Autorität in sich. Man kann es daher den Bewohnern des besetzten Gebietes nicht als Schuld anrechnen, wenn sie sich nun den Befehlen dieser Gewalt fügen. Im Gegentheil, der Widerstand gilt nicht mehr als berechtigt, wenn gleich er durch sittliche Motive der Vaterlandsliebe oder Treue gegen den heimatlichen Fürsten veranlaßt wird, son- dern wird je nach Umständen schwer bestraft. Es ist das eine nothwendige Wirkung des Kriegs, in welchem sich eine geordnete Statsmacht geltend macht, die zugleich genöthigt ist, für ihre Sicherheit zu sorgen, damit sie ihre Zwecke weiter verfolgen und schließlich erreichen könne.
540.
Das Kriegsrecht suspendirt die Autorität der feindlichen Statsgewalt in dem besetzten Gebietstheil und setzt die militärische Autorität der be- setzenden Macht an ihre Stelle.
Amerik. Kriegsartikel 2. Es gilt das sowohl von der Gesetz- gebenden Gewalt als besonders von der obern, im einzelnen Fall anordnenden und befehlenden Regierungsgewalt. Wenn sie weiter befehlen wollte, so würde sie nicht mehr auf Gehorsam rechnen dürfen und die Bewohner nur in einen un- natürlichen Conflict der Neigung und der Pflicht und in eine höchst gefährliche Lage versetzen; denn unmöglich kann die besetzende Kriegsautorität es dulden, daß ihr eine feindliche Gewalt in dem Bereich ihrer errungenen Herrschaft entgegentrete. Die militärische Autorität im Feindesland ist zugleich Statsautorität und zwei entgegengesetzte Statsautoritäten können nicht in demselben Gebiete be- stehen. Mit Nothwendigkeit wird die eine durch die andere aus der Ausübung verdrängt. Vgl. unten § 544. Aber man geht zu weit, wenn man diese Suspen- sion auch auf das ganze bestehende Landesrecht, sowohl das öffentliche als das Privatrecht ausdehnt. Vielmehr dauert die Rechtsordnung so weit fort, als sie mit den Kriegszuständen verträglich ist und nicht von der Kriegsgewalt außer Wirksamkeit gesetzt wird.
541.
Der Befehlshaber über die besetzenden Kriegstruppen kann die bür-
Das Kriegsrecht.
539.
Wenn ein Theil des feindlichen Statsgebiets — ein Platz, eine Stadt, ein Bezirk, ein Land — von der gegneriſchen Kriegsgewalt beſetzt wird, ſo verfällt dieſer beſetzte Theil ſofort dem Kriegsrecht des Heeres, welches Beſitz ergriffen hat. Die Gegenwart der kriegführenden Truppen in Feindesland wirkt auch ohne vorherige Erklärung.
Vgl. die Amerikaniſchen Kriegsartikel. 1. Die militäriſche Beſitznahme von Feindesland im Krieg ſchließt die militäriſche Autorität in ſich. Man kann es daher den Bewohnern des beſetzten Gebietes nicht als Schuld anrechnen, wenn ſie ſich nun den Befehlen dieſer Gewalt fügen. Im Gegentheil, der Widerſtand gilt nicht mehr als berechtigt, wenn gleich er durch ſittliche Motive der Vaterlandsliebe oder Treue gegen den heimatlichen Fürſten veranlaßt wird, ſon- dern wird je nach Umſtänden ſchwer beſtraft. Es iſt das eine nothwendige Wirkung des Kriegs, in welchem ſich eine geordnete Statsmacht geltend macht, die zugleich genöthigt iſt, für ihre Sicherheit zu ſorgen, damit ſie ihre Zwecke weiter verfolgen und ſchließlich erreichen könne.
540.
Das Kriegsrecht ſuspendirt die Autorität der feindlichen Statsgewalt in dem beſetzten Gebietstheil und ſetzt die militäriſche Autorität der be- ſetzenden Macht an ihre Stelle.
Amerik. Kriegsartikel 2. Es gilt das ſowohl von der Geſetz- gebenden Gewalt als beſonders von der obern, im einzelnen Fall anordnenden und befehlenden Regierungsgewalt. Wenn ſie weiter befehlen wollte, ſo würde ſie nicht mehr auf Gehorſam rechnen dürfen und die Bewohner nur in einen un- natürlichen Conflict der Neigung und der Pflicht und in eine höchſt gefährliche Lage verſetzen; denn unmöglich kann die beſetzende Kriegsautorität es dulden, daß ihr eine feindliche Gewalt in dem Bereich ihrer errungenen Herrſchaft entgegentrete. Die militäriſche Autorität im Feindesland iſt zugleich Statsautorität und zwei entgegengeſetzte Statsautoritäten können nicht in demſelben Gebiete be- ſtehen. Mit Nothwendigkeit wird die eine durch die andere aus der Ausübung verdrängt. Vgl. unten § 544. Aber man geht zu weit, wenn man dieſe Suspen- ſion auch auf das ganze beſtehende Landesrecht, ſowohl das öffentliche als das Privatrecht ausdehnt. Vielmehr dauert die Rechtsordnung ſo weit fort, als ſie mit den Kriegszuſtänden verträglich iſt und nicht von der Kriegsgewalt außer Wirkſamkeit geſetzt wird.
541.
Der Befehlshaber über die beſetzenden Kriegstruppen kann die bür-
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Das Kriegsrecht.
539.
Wenn ein Theil des feindlichen Statsgebiets — ein Platz, eine
Stadt, ein Bezirk, ein Land — von der gegneriſchen Kriegsgewalt beſetzt
wird, ſo verfällt dieſer beſetzte Theil ſofort dem Kriegsrecht des Heeres,
welches Beſitz ergriffen hat. Die Gegenwart der kriegführenden Truppen
in Feindesland wirkt auch ohne vorherige Erklärung.
Vgl. die Amerikaniſchen Kriegsartikel. 1. Die militäriſche
Beſitznahme von Feindesland im Krieg ſchließt die militäriſche Autorität
in ſich. Man kann es daher den Bewohnern des beſetzten Gebietes nicht als Schuld
anrechnen, wenn ſie ſich nun den Befehlen dieſer Gewalt fügen. Im Gegentheil,
der Widerſtand gilt nicht mehr als berechtigt, wenn gleich er durch ſittliche Motive
der Vaterlandsliebe oder Treue gegen den heimatlichen Fürſten veranlaßt wird, ſon-
dern wird je nach Umſtänden ſchwer beſtraft. Es iſt das eine nothwendige
Wirkung des Kriegs, in welchem ſich eine geordnete Statsmacht geltend macht,
die zugleich genöthigt iſt, für ihre Sicherheit zu ſorgen, damit ſie ihre Zwecke weiter
verfolgen und ſchließlich erreichen könne.
540.
Das Kriegsrecht ſuspendirt die Autorität der feindlichen Statsgewalt
in dem beſetzten Gebietstheil und ſetzt die militäriſche Autorität der be-
ſetzenden Macht an ihre Stelle.
Amerik. Kriegsartikel 2. Es gilt das ſowohl von der Geſetz-
gebenden Gewalt als beſonders von der obern, im einzelnen Fall anordnenden
und befehlenden Regierungsgewalt. Wenn ſie weiter befehlen wollte, ſo würde
ſie nicht mehr auf Gehorſam rechnen dürfen und die Bewohner nur in einen un-
natürlichen Conflict der Neigung und der Pflicht und in eine höchſt gefährliche Lage
verſetzen; denn unmöglich kann die beſetzende Kriegsautorität es dulden, daß ihr
eine feindliche Gewalt in dem Bereich ihrer errungenen Herrſchaft entgegentrete. Die
militäriſche Autorität im Feindesland iſt zugleich Statsautorität und zwei
entgegengeſetzte Statsautoritäten können nicht in demſelben Gebiete be-
ſtehen. Mit Nothwendigkeit wird die eine durch die andere aus der Ausübung
verdrängt. Vgl. unten § 544. Aber man geht zu weit, wenn man dieſe Suspen-
ſion auch auf das ganze beſtehende Landesrecht, ſowohl das öffentliche
als das Privatrecht ausdehnt. Vielmehr dauert die Rechtsordnung ſo weit fort,
als ſie mit den Kriegszuſtänden verträglich iſt und nicht von der Kriegsgewalt außer
Wirkſamkeit geſetzt wird.
541.
Der Befehlshaber über die beſetzenden Kriegstruppen kann die bür-
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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 303. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/325>, abgerufen am 24.11.2024.
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