Gebiet in ihrem Besitz, auch wenn sie keinen Soldaten mehr dort stehen hat, und zwar so lange, bis sie entweder den Besitz absichtlich aufgibt, oder bis sie wieder mit Gewalt aus dem Besitze verdrängt wird. Vgl. unten § 551.
545.
Die Kriegsgewalt kann allgemeine Verordnungen erlassen, Einrich- tungen treffen, Policeigewalt und Steuerhoheit ausüben, soweit solches durch das Bedürfniß der Kriegsführung geboten ist, oder durch die Bedürf- nisse des besetzten Gebietes und seiner Bewohner erfordert wird.
Sie hat sich aber bis zu definitiver Regelung der Statsverhältnisse solcher gesetzgeberischer Acte möglichst zu enthalten, durch welche die Verfas- sung geändert wird und darf die hergebrachte Rechtsordnung nur aus dringenden Gründen außer Wirksamkeit setzen.
1. Die Kriegsgewalt ist wesentlich Nothgewalt und provisorische Ge- walt. Daher sind ihre Anordnungen durch die Nothwendigkeit bedingt und be- schränkt, und nicht berufen, die dauernden Grundlagen des öffentlichen Rechts zu verändern. Schon deßhalb soll sie die bestehende Verfassung und Gesetzgebung mög- lichst wenig antasten und ihre Wirksamkeit nur hindern, wo das militärische Be- dürfniß es erfordert. Diese Beschränkung kann freilich durch die Umstände geboten werden. Wenn z. B. das Vereins- und Versammlungsrecht der Bewohner durch die Verfassung gewährleistet ist, so wird dennoch die feindliche Kriegsgewalt die freie Ausübung desselben nicht dulden können, ohne ihren Besitz und ihre Sicherheit zu gefährden. Auch die Preßfreiheit erleidet im Krieg nothwendige Beschränkung. Ist durch die Verfassung eine jährliche Versammlung der Volksvertretung angeordnet, so werden auch diese Wahlen und wird die Versammlung in dem besetz- ten Gebiete gewöhnlich gehemmt werden müssen.
2. Wenn Befreiungskriege geführt werden, dann freilich liegt es oft im Interesse der Kriegführung, so weit die Macht der Kriegsgewalt reicht, auch neue Ordnungen vorläufig einzuführen, durch welche den bisher gedrückten Bewohnern des besetzten Landes bessere Rechte verliehen und die Sympathien derselben gewonnen werden. Derartige Veränderungen haben die französischen Revolutionskriege zu An- fang dieses Jahrhunderts mit sich gebracht, aber auch der neueste Bürgerkrieg in den Vereinigten Staten von Amerika.
546.
Da der Kriegszustand ein Nothstand und das Kriegsrecht ein Noth- recht ist, so können die militärisch gerechtfertigten Anordnungen der Kriegs- gewalt nicht aus dem Grunde als ungültig angefochten werden, daß sie der Verfassung oder dem Landesrecht widersprechen.
Achtes Buch.
Gebiet in ihrem Beſitz, auch wenn ſie keinen Soldaten mehr dort ſtehen hat, und zwar ſo lange, bis ſie entweder den Beſitz abſichtlich aufgibt, oder bis ſie wieder mit Gewalt aus dem Beſitze verdrängt wird. Vgl. unten § 551.
545.
Die Kriegsgewalt kann allgemeine Verordnungen erlaſſen, Einrich- tungen treffen, Policeigewalt und Steuerhoheit ausüben, ſoweit ſolches durch das Bedürfniß der Kriegsführung geboten iſt, oder durch die Bedürf- niſſe des beſetzten Gebietes und ſeiner Bewohner erfordert wird.
Sie hat ſich aber bis zu definitiver Regelung der Statsverhältniſſe ſolcher geſetzgeberiſcher Acte möglichſt zu enthalten, durch welche die Verfaſ- ſung geändert wird und darf die hergebrachte Rechtsordnung nur aus dringenden Gründen außer Wirkſamkeit ſetzen.
1. Die Kriegsgewalt iſt weſentlich Nothgewalt und proviſoriſche Ge- walt. Daher ſind ihre Anordnungen durch die Nothwendigkeit bedingt und be- ſchränkt, und nicht berufen, die dauernden Grundlagen des öffentlichen Rechts zu verändern. Schon deßhalb ſoll ſie die beſtehende Verfaſſung und Geſetzgebung mög- lichſt wenig antaſten und ihre Wirkſamkeit nur hindern, wo das militäriſche Be- dürfniß es erfordert. Dieſe Beſchränkung kann freilich durch die Umſtände geboten werden. Wenn z. B. das Vereins- und Verſammlungsrecht der Bewohner durch die Verfaſſung gewährleiſtet iſt, ſo wird dennoch die feindliche Kriegsgewalt die freie Ausübung desſelben nicht dulden können, ohne ihren Beſitz und ihre Sicherheit zu gefährden. Auch die Preßfreiheit erleidet im Krieg nothwendige Beſchränkung. Iſt durch die Verfaſſung eine jährliche Verſammlung der Volksvertretung angeordnet, ſo werden auch dieſe Wahlen und wird die Verſammlung in dem beſetz- ten Gebiete gewöhnlich gehemmt werden müſſen.
2. Wenn Befreiungskriege geführt werden, dann freilich liegt es oft im Intereſſe der Kriegführung, ſo weit die Macht der Kriegsgewalt reicht, auch neue Ordnungen vorläufig einzuführen, durch welche den bisher gedrückten Bewohnern des beſetzten Landes beſſere Rechte verliehen und die Sympathien derſelben gewonnen werden. Derartige Veränderungen haben die franzöſiſchen Revolutionskriege zu An- fang dieſes Jahrhunderts mit ſich gebracht, aber auch der neueſte Bürgerkrieg in den Vereinigten Staten von Amerika.
546.
Da der Kriegszuſtand ein Nothſtand und das Kriegsrecht ein Noth- recht iſt, ſo können die militäriſch gerechtfertigten Anordnungen der Kriegs- gewalt nicht aus dem Grunde als ungültig angefochten werden, daß ſie der Verfaſſung oder dem Landesrecht widerſprechen.
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Achtes Buch.
Gebiet in ihrem Beſitz, auch wenn ſie keinen Soldaten mehr dort ſtehen hat, und
zwar ſo lange, bis ſie entweder den Beſitz abſichtlich aufgibt, oder bis ſie wieder mit
Gewalt aus dem Beſitze verdrängt wird. Vgl. unten § 551.
545.
Die Kriegsgewalt kann allgemeine Verordnungen erlaſſen, Einrich-
tungen treffen, Policeigewalt und Steuerhoheit ausüben, ſoweit ſolches
durch das Bedürfniß der Kriegsführung geboten iſt, oder durch die Bedürf-
niſſe des beſetzten Gebietes und ſeiner Bewohner erfordert wird.
Sie hat ſich aber bis zu definitiver Regelung der Statsverhältniſſe
ſolcher geſetzgeberiſcher Acte möglichſt zu enthalten, durch welche die Verfaſ-
ſung geändert wird und darf die hergebrachte Rechtsordnung nur aus
dringenden Gründen außer Wirkſamkeit ſetzen.
1. Die Kriegsgewalt iſt weſentlich Nothgewalt und proviſoriſche Ge-
walt. Daher ſind ihre Anordnungen durch die Nothwendigkeit bedingt und be-
ſchränkt, und nicht berufen, die dauernden Grundlagen des öffentlichen Rechts zu
verändern. Schon deßhalb ſoll ſie die beſtehende Verfaſſung und Geſetzgebung mög-
lichſt wenig antaſten und ihre Wirkſamkeit nur hindern, wo das militäriſche Be-
dürfniß es erfordert. Dieſe Beſchränkung kann freilich durch die Umſtände geboten
werden. Wenn z. B. das Vereins- und Verſammlungsrecht der Bewohner
durch die Verfaſſung gewährleiſtet iſt, ſo wird dennoch die feindliche Kriegsgewalt die
freie Ausübung desſelben nicht dulden können, ohne ihren Beſitz und ihre Sicherheit
zu gefährden. Auch die Preßfreiheit erleidet im Krieg nothwendige Beſchränkung.
Iſt durch die Verfaſſung eine jährliche Verſammlung der Volksvertretung
angeordnet, ſo werden auch dieſe Wahlen und wird die Verſammlung in dem beſetz-
ten Gebiete gewöhnlich gehemmt werden müſſen.
2. Wenn Befreiungskriege geführt werden, dann freilich liegt es oft im
Intereſſe der Kriegführung, ſo weit die Macht der Kriegsgewalt reicht, auch neue
Ordnungen vorläufig einzuführen, durch welche den bisher gedrückten Bewohnern des
beſetzten Landes beſſere Rechte verliehen und die Sympathien derſelben gewonnen
werden. Derartige Veränderungen haben die franzöſiſchen Revolutionskriege zu An-
fang dieſes Jahrhunderts mit ſich gebracht, aber auch der neueſte Bürgerkrieg in den
Vereinigten Staten von Amerika.
546.
Da der Kriegszuſtand ein Nothſtand und das Kriegsrecht ein Noth-
recht iſt, ſo können die militäriſch gerechtfertigten Anordnungen der Kriegs-
gewalt nicht aus dem Grunde als ungültig angefochten werden, daß ſie
der Verfaſſung oder dem Landesrecht widerſprechen.
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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 306. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/328>, abgerufen am 24.11.2024.
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