Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868.

Bild:
<< vorherige Seite

Achtes Buch.
jene Bewohner nicht wegziehen läßt. Greift der Belagerer zu dieser zwar
extremen aber nicht völkerrechtswidrigen Maßregel, so ist der Belagerte
genöthigt, den Aufenthalt der Bewohner wieder im Platze zu gestatten.

Am. Kr. 18. Die Ausweisung wird vorzüglich durch den Mangel an
Lebensmitteln
in dem befestigten Platz motivirt und die Zurückweisung ebenso
durch die Hoffnung begründet sein, den Platz durch Aushungerung zur Ueber-
gabe zu nöthigen. Beide Maßregeln sind gegenüber den friedlichen Bewohnern sehr
hart, aber die letztere ist noch härter, weil sie dieselben auch den größten persönlichen
Gefahren aussetzt. Nur die strengste militärische Nothwendigkeit vermag
dieselbe zu rechtfertigen. Ohne diese muß es den Bewohnern frei stehen nach ihrer
eigenen Wahl, sei es in dem Platze fort zu wohnen, sei es denselben zu verlassen.
Es liegt aber in der Natur der Dinge, daß die Ausweisung unter Umständen von
den Belagerungstruppen verhindert werden kann. Wenn sie verhindert wird, so
bleibt für den Commandanten des festen Platzes nichts anderes übrig, als die Be-
wohner, die nicht wegkommen können, wieder aufzunehmen. Keine militärische Noth-
wendigkeit könnte es jemals rechtfertigen, daß dieselben zwischen den beiden streitenden
Kriegsgewalten wie zwischen zwei harten Mühlsteinen zerrieben werden.

554.

Die gute Kriegssitte verlangt, daß der Belagerer, wenn es thunlich
erscheint, vor dem Bombardement eines Platzes die Absicht dazu ankündige,
damit die Nichtstreiter, insbesondere Weiber und Kinder entfernt oder sonst
in Sicherheit gebracht werden. Indessen kann Ueberraschung mit einem
Bombardement nöthig sein, um den Platz bald zu gewinnen und dann ist
die Unterlassung jener Anzeige gerechtfertigt.

Am. Kr. 19. Es entspricht diese Sitte dem Wesen des Kriegs als eines
Streites zwischen Stat und Stat, und nicht mit den Privaten. Möglichste Schonung
dieser ist das Kennzeichen der civilisirten Kriegsführung. Um die Bewohner großer
Städte möglichst vor den Gefahren des Kriegs zu bewahren, werden daher diese
Städte meistens als offene Plätze dem Sieger überlassen und nicht als feste
Plätze
gegen eine Belagerung vertheidigt. Aber auch im letztern Fall erfordert es
die Menschlichkeit, daß die friedlichen Bewohner gewarnt werden, bevor die Stadt
beschossen wird, wenn irgend der Gang des Krieges es gestattet. Nur in den drin-
gendsten Fällen wird ein plötzlicher Ueberfall, verbunden mit einer raschen Beschießung
sich als militärische Nothwendigkeit vertheidigen lassen.

555.

Die Thätigkeit der fremden Gesanten und diplomatischen Personen,

Achtes Buch.
jene Bewohner nicht wegziehen läßt. Greift der Belagerer zu dieſer zwar
extremen aber nicht völkerrechtswidrigen Maßregel, ſo iſt der Belagerte
genöthigt, den Aufenthalt der Bewohner wieder im Platze zu geſtatten.

Am. Kr. 18. Die Ausweiſung wird vorzüglich durch den Mangel an
Lebensmitteln
in dem befeſtigten Platz motivirt und die Zurückweiſung ebenſo
durch die Hoffnung begründet ſein, den Platz durch Aushungerung zur Ueber-
gabe zu nöthigen. Beide Maßregeln ſind gegenüber den friedlichen Bewohnern ſehr
hart, aber die letztere iſt noch härter, weil ſie dieſelben auch den größten perſönlichen
Gefahren ausſetzt. Nur die ſtrengſte militäriſche Nothwendigkeit vermag
dieſelbe zu rechtfertigen. Ohne dieſe muß es den Bewohnern frei ſtehen nach ihrer
eigenen Wahl, ſei es in dem Platze fort zu wohnen, ſei es denſelben zu verlaſſen.
Es liegt aber in der Natur der Dinge, daß die Ausweiſung unter Umſtänden von
den Belagerungstruppen verhindert werden kann. Wenn ſie verhindert wird, ſo
bleibt für den Commandanten des feſten Platzes nichts anderes übrig, als die Be-
wohner, die nicht wegkommen können, wieder aufzunehmen. Keine militäriſche Noth-
wendigkeit könnte es jemals rechtfertigen, daß dieſelben zwiſchen den beiden ſtreitenden
Kriegsgewalten wie zwiſchen zwei harten Mühlſteinen zerrieben werden.

554.

Die gute Kriegsſitte verlangt, daß der Belagerer, wenn es thunlich
erſcheint, vor dem Bombardement eines Platzes die Abſicht dazu ankündige,
damit die Nichtſtreiter, insbeſondere Weiber und Kinder entfernt oder ſonſt
in Sicherheit gebracht werden. Indeſſen kann Ueberraſchung mit einem
Bombardement nöthig ſein, um den Platz bald zu gewinnen und dann iſt
die Unterlaſſung jener Anzeige gerechtfertigt.

Am. Kr. 19. Es entſpricht dieſe Sitte dem Weſen des Kriegs als eines
Streites zwiſchen Stat und Stat, und nicht mit den Privaten. Möglichſte Schonung
dieſer iſt das Kennzeichen der civiliſirten Kriegsführung. Um die Bewohner großer
Städte möglichſt vor den Gefahren des Kriegs zu bewahren, werden daher dieſe
Städte meiſtens als offene Plätze dem Sieger überlaſſen und nicht als feſte
Plätze
gegen eine Belagerung vertheidigt. Aber auch im letztern Fall erfordert es
die Menſchlichkeit, daß die friedlichen Bewohner gewarnt werden, bevor die Stadt
beſchoſſen wird, wenn irgend der Gang des Krieges es geſtattet. Nur in den drin-
gendſten Fällen wird ein plötzlicher Ueberfall, verbunden mit einer raſchen Beſchießung
ſich als militäriſche Nothwendigkeit vertheidigen laſſen.

555.

Die Thätigkeit der fremden Geſanten und diplomatiſchen Perſonen,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0332" n="310"/><fw place="top" type="header">Achtes Buch.</fw><lb/>
jene Bewohner nicht wegziehen läßt. Greift der Belagerer zu die&#x017F;er zwar<lb/>
extremen aber nicht völkerrechtswidrigen Maßregel, &#x017F;o i&#x017F;t der Belagerte<lb/>
genöthigt, den Aufenthalt der Bewohner wieder im Platze zu ge&#x017F;tatten.</p><lb/>
              <p><hi rendition="#g">Am. Kr</hi>. 18. Die Auswei&#x017F;ung wird vorzüglich durch den <hi rendition="#g">Mangel an<lb/>
Lebensmitteln</hi> in dem befe&#x017F;tigten Platz motivirt und die Zurückwei&#x017F;ung eben&#x017F;o<lb/>
durch die Hoffnung begründet &#x017F;ein, den Platz durch <hi rendition="#g">Aushungerung</hi> zur Ueber-<lb/>
gabe zu nöthigen. Beide Maßregeln &#x017F;ind gegenüber den friedlichen Bewohnern &#x017F;ehr<lb/>
hart, aber die letztere i&#x017F;t noch härter, weil &#x017F;ie die&#x017F;elben auch den größten per&#x017F;önlichen<lb/>
Gefahren aus&#x017F;etzt. Nur die <hi rendition="#g">&#x017F;treng&#x017F;te militäri&#x017F;che Nothwendigkeit</hi> vermag<lb/>
die&#x017F;elbe zu rechtfertigen. Ohne die&#x017F;e muß es den Bewohnern frei &#x017F;tehen nach ihrer<lb/>
eigenen Wahl, &#x017F;ei es in dem Platze fort zu wohnen, &#x017F;ei es den&#x017F;elben zu verla&#x017F;&#x017F;en.<lb/>
Es liegt aber in der Natur der Dinge, daß die Auswei&#x017F;ung unter Um&#x017F;tänden von<lb/>
den Belagerungstruppen verhindert werden kann. Wenn &#x017F;ie verhindert wird, &#x017F;o<lb/>
bleibt für den Commandanten des fe&#x017F;ten Platzes nichts anderes übrig, als die Be-<lb/>
wohner, die nicht wegkommen können, wieder aufzunehmen. Keine militäri&#x017F;che Noth-<lb/>
wendigkeit könnte es jemals rechtfertigen, daß die&#x017F;elben zwi&#x017F;chen den beiden &#x017F;treitenden<lb/>
Kriegsgewalten wie zwi&#x017F;chen zwei harten Mühl&#x017F;teinen zerrieben werden.</p>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head>554.</head><lb/>
              <p>Die gute Kriegs&#x017F;itte verlangt, daß der Belagerer, wenn es thunlich<lb/>
er&#x017F;cheint, vor dem Bombardement eines Platzes die Ab&#x017F;icht dazu ankündige,<lb/>
damit die Nicht&#x017F;treiter, insbe&#x017F;ondere Weiber und Kinder entfernt oder &#x017F;on&#x017F;t<lb/>
in Sicherheit gebracht werden. Inde&#x017F;&#x017F;en kann Ueberra&#x017F;chung mit einem<lb/>
Bombardement nöthig &#x017F;ein, um den Platz bald zu gewinnen und dann i&#x017F;t<lb/>
die Unterla&#x017F;&#x017F;ung jener Anzeige gerechtfertigt.</p><lb/>
              <p><hi rendition="#g">Am. Kr</hi>. 19. Es ent&#x017F;pricht die&#x017F;e Sitte dem We&#x017F;en des Kriegs als eines<lb/>
Streites zwi&#x017F;chen Stat und Stat, und nicht mit den Privaten. Möglich&#x017F;te Schonung<lb/>
die&#x017F;er i&#x017F;t das Kennzeichen der civili&#x017F;irten Kriegsführung. Um die Bewohner großer<lb/>
Städte möglich&#x017F;t vor den Gefahren des Kriegs zu bewahren, werden daher die&#x017F;e<lb/>
Städte mei&#x017F;tens als <hi rendition="#g">offene Plätze</hi> dem Sieger überla&#x017F;&#x017F;en und nicht als <hi rendition="#g">fe&#x017F;te<lb/>
Plätze</hi> gegen eine Belagerung vertheidigt. Aber auch im letztern Fall erfordert es<lb/>
die Men&#x017F;chlichkeit, daß die friedlichen Bewohner gewarnt werden, bevor die Stadt<lb/>
be&#x017F;cho&#x017F;&#x017F;en wird, wenn irgend der Gang des Krieges es ge&#x017F;tattet. Nur in den drin-<lb/>
gend&#x017F;ten Fällen wird ein plötzlicher Ueberfall, verbunden mit einer ra&#x017F;chen Be&#x017F;chießung<lb/>
&#x017F;ich als militäri&#x017F;che Nothwendigkeit vertheidigen la&#x017F;&#x017F;en.</p>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head>555.</head><lb/>
              <p>Die Thätigkeit der fremden Ge&#x017F;anten und diplomati&#x017F;chen Per&#x017F;onen,<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[310/0332] Achtes Buch. jene Bewohner nicht wegziehen läßt. Greift der Belagerer zu dieſer zwar extremen aber nicht völkerrechtswidrigen Maßregel, ſo iſt der Belagerte genöthigt, den Aufenthalt der Bewohner wieder im Platze zu geſtatten. Am. Kr. 18. Die Ausweiſung wird vorzüglich durch den Mangel an Lebensmitteln in dem befeſtigten Platz motivirt und die Zurückweiſung ebenſo durch die Hoffnung begründet ſein, den Platz durch Aushungerung zur Ueber- gabe zu nöthigen. Beide Maßregeln ſind gegenüber den friedlichen Bewohnern ſehr hart, aber die letztere iſt noch härter, weil ſie dieſelben auch den größten perſönlichen Gefahren ausſetzt. Nur die ſtrengſte militäriſche Nothwendigkeit vermag dieſelbe zu rechtfertigen. Ohne dieſe muß es den Bewohnern frei ſtehen nach ihrer eigenen Wahl, ſei es in dem Platze fort zu wohnen, ſei es denſelben zu verlaſſen. Es liegt aber in der Natur der Dinge, daß die Ausweiſung unter Umſtänden von den Belagerungstruppen verhindert werden kann. Wenn ſie verhindert wird, ſo bleibt für den Commandanten des feſten Platzes nichts anderes übrig, als die Be- wohner, die nicht wegkommen können, wieder aufzunehmen. Keine militäriſche Noth- wendigkeit könnte es jemals rechtfertigen, daß dieſelben zwiſchen den beiden ſtreitenden Kriegsgewalten wie zwiſchen zwei harten Mühlſteinen zerrieben werden. 554. Die gute Kriegsſitte verlangt, daß der Belagerer, wenn es thunlich erſcheint, vor dem Bombardement eines Platzes die Abſicht dazu ankündige, damit die Nichtſtreiter, insbeſondere Weiber und Kinder entfernt oder ſonſt in Sicherheit gebracht werden. Indeſſen kann Ueberraſchung mit einem Bombardement nöthig ſein, um den Platz bald zu gewinnen und dann iſt die Unterlaſſung jener Anzeige gerechtfertigt. Am. Kr. 19. Es entſpricht dieſe Sitte dem Weſen des Kriegs als eines Streites zwiſchen Stat und Stat, und nicht mit den Privaten. Möglichſte Schonung dieſer iſt das Kennzeichen der civiliſirten Kriegsführung. Um die Bewohner großer Städte möglichſt vor den Gefahren des Kriegs zu bewahren, werden daher dieſe Städte meiſtens als offene Plätze dem Sieger überlaſſen und nicht als feſte Plätze gegen eine Belagerung vertheidigt. Aber auch im letztern Fall erfordert es die Menſchlichkeit, daß die friedlichen Bewohner gewarnt werden, bevor die Stadt beſchoſſen wird, wenn irgend der Gang des Krieges es geſtattet. Nur in den drin- gendſten Fällen wird ein plötzlicher Ueberfall, verbunden mit einer raſchen Beſchießung ſich als militäriſche Nothwendigkeit vertheidigen laſſen. 555. Die Thätigkeit der fremden Geſanten und diplomatiſchen Perſonen,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/332
Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 310. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/332>, abgerufen am 24.11.2024.