Im Mittelalter war die Acht noch ein Hauptmittel des Strafrechts und man ließ sie daher im Kriege ohne Bedenken ebenfalls zu. Das heutige Kriegs- wie das Friedensrecht erkennt die große Rechtsregel an: "Der Mensch ist nie- mals rechtlos", und kann daher jene Acht nicht mehr zugestehen. In anderem Sinne freilich kann man heute noch von der Aechtung einer feindlichen Person reden, insofern als sie entweder aus dem Lande gewiesen, oder der Verfolgung in der Ab- sicht ausgesetzt wird damit man sich ihrer bemächtige und sie gefangen zur Stelle bringe. Das kann aus politischen und militärischen Gründen als nothwendig er- scheinen und insofern gerechtfertigt werden. In den Napoleonischen Kriegen zu Anfang des Jahrhunderts ist wiederholt gegen politisch bedeutende Männer, die als Feinde erklärt und geächtet wurden, so verfahren worden. Eine solche Aechtung erinnert an den athenischen Ostracismus. Von der Art war auch die berühmte Aechtung des Preußischen Ministers Stein durch Kaiser Napoleon I., aber auch die spätere Aechtung Napoleons selbst durch die alliirten Mächte.
563.
Das Völkerrecht verwirft überhaupt alle Anstiftung zu Verbrechen, auch wenn dieselben der Kriegsführung nützlich wären. Aber es hindert nicht, die Vortheile zu benutzen, welche durch die Verbrechen dritter Per- sonen der Kriegsführung zufällig dargeboten werden.
So wenig der Feldherr Mörder dingen darf, ebenso wenig darf er zu Brandstiftung, Raub, Diebstahl u. s. f. anstiften. Das Völkerrecht achtet auch im Kriege die gemeine Rechtsordnung und verabscheut das Verbrechen. Aber wenn durch den Mord eines feindlichen Heerführers das feindliche Heer in Verwirrung gebracht, oder wenn durch eine Brandstiftung ein Vertheidigungswerk des Feindes zerstört worden ist, so sind das für den Gegner vielleicht glückliche Er- eignisse, die zum Siege zu benutzen ihm nicht verwehrt ist. Die Rücksichten der Ritterlichkeit, der Großmuth und der Ehre können auch in solchen Fällen eine hastige und schonungslose Ausbeutung solcher Vortheile als unanständig oder unedel dar- stellen, aber das weniger empfindliche Recht läßt dieselbe gewähren.
564.
Dagegen gilt die Aufforderung zu Handlungen, welche zwar in dem feindlichen State als politische Verbrechen strafbar, aber von dem Stand- punkte seines politischen Gegners ehrenhaft sind, und die Unterstützung solcher politischer Verbrecher im Feindeslande, als ein erlaubtes Mittel der Kriegsführung.
1. Die Natur der eigentlichen politischen Verbrechen unterscheidet sich darin von dem gemeinen Verbrechen sehr wesentlich, daß diese das allgemeine
Achtes Buch.
Im Mittelalter war die Acht noch ein Hauptmittel des Strafrechts und man ließ ſie daher im Kriege ohne Bedenken ebenfalls zu. Das heutige Kriegs- wie das Friedensrecht erkennt die große Rechtsregel an: „Der Menſch iſt nie- mals rechtlos“, und kann daher jene Acht nicht mehr zugeſtehen. In anderem Sinne freilich kann man heute noch von der Aechtung einer feindlichen Perſon reden, inſofern als ſie entweder aus dem Lande gewieſen, oder der Verfolgung in der Ab- ſicht ausgeſetzt wird damit man ſich ihrer bemächtige und ſie gefangen zur Stelle bringe. Das kann aus politiſchen und militäriſchen Gründen als nothwendig er- ſcheinen und inſofern gerechtfertigt werden. In den Napoleoniſchen Kriegen zu Anfang des Jahrhunderts iſt wiederholt gegen politiſch bedeutende Männer, die als Feinde erklärt und geächtet wurden, ſo verfahren worden. Eine ſolche Aechtung erinnert an den atheniſchen Oſtracismus. Von der Art war auch die berühmte Aechtung des Preußiſchen Miniſters Stein durch Kaiſer Napoleon I., aber auch die ſpätere Aechtung Napoleons ſelbſt durch die alliirten Mächte.
563.
Das Völkerrecht verwirft überhaupt alle Anſtiftung zu Verbrechen, auch wenn dieſelben der Kriegsführung nützlich wären. Aber es hindert nicht, die Vortheile zu benutzen, welche durch die Verbrechen dritter Per- ſonen der Kriegsführung zufällig dargeboten werden.
So wenig der Feldherr Mörder dingen darf, ebenſo wenig darf er zu Brandſtiftung, Raub, Diebſtahl u. ſ. f. anſtiften. Das Völkerrecht achtet auch im Kriege die gemeine Rechtsordnung und verabſcheut das Verbrechen. Aber wenn durch den Mord eines feindlichen Heerführers das feindliche Heer in Verwirrung gebracht, oder wenn durch eine Brandſtiftung ein Vertheidigungswerk des Feindes zerſtört worden iſt, ſo ſind das für den Gegner vielleicht glückliche Er- eigniſſe, die zum Siege zu benutzen ihm nicht verwehrt iſt. Die Rückſichten der Ritterlichkeit, der Großmuth und der Ehre können auch in ſolchen Fällen eine haſtige und ſchonungsloſe Ausbeutung ſolcher Vortheile als unanſtändig oder unedel dar- ſtellen, aber das weniger empfindliche Recht läßt dieſelbe gewähren.
564.
Dagegen gilt die Aufforderung zu Handlungen, welche zwar in dem feindlichen State als politiſche Verbrechen ſtrafbar, aber von dem Stand- punkte ſeines politiſchen Gegners ehrenhaft ſind, und die Unterſtützung ſolcher politiſcher Verbrecher im Feindeslande, als ein erlaubtes Mittel der Kriegsführung.
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Achtes Buch.
Im Mittelalter war die Acht noch ein Hauptmittel des Strafrechts und
man ließ ſie daher im Kriege ohne Bedenken ebenfalls zu. Das heutige Kriegs-
wie das Friedensrecht erkennt die große Rechtsregel an: „Der Menſch iſt nie-
mals rechtlos“, und kann daher jene Acht nicht mehr zugeſtehen. In anderem
Sinne freilich kann man heute noch von der Aechtung einer feindlichen Perſon reden,
inſofern als ſie entweder aus dem Lande gewieſen, oder der Verfolgung in der Ab-
ſicht ausgeſetzt wird damit man ſich ihrer bemächtige und ſie gefangen zur Stelle
bringe. Das kann aus politiſchen und militäriſchen Gründen als nothwendig er-
ſcheinen und inſofern gerechtfertigt werden. In den Napoleoniſchen Kriegen zu Anfang
des Jahrhunderts iſt wiederholt gegen politiſch bedeutende Männer, die als Feinde
erklärt und geächtet wurden, ſo verfahren worden. Eine ſolche Aechtung erinnert
an den atheniſchen Oſtracismus. Von der Art war auch die berühmte Aechtung
des Preußiſchen Miniſters Stein durch Kaiſer Napoleon I., aber auch die ſpätere
Aechtung Napoleons ſelbſt durch die alliirten Mächte.
563.
Das Völkerrecht verwirft überhaupt alle Anſtiftung zu Verbrechen,
auch wenn dieſelben der Kriegsführung nützlich wären. Aber es hindert
nicht, die Vortheile zu benutzen, welche durch die Verbrechen dritter Per-
ſonen der Kriegsführung zufällig dargeboten werden.
So wenig der Feldherr Mörder dingen darf, ebenſo wenig darf er zu
Brandſtiftung, Raub, Diebſtahl u. ſ. f. anſtiften. Das Völkerrecht achtet
auch im Kriege die gemeine Rechtsordnung und verabſcheut das Verbrechen.
Aber wenn durch den Mord eines feindlichen Heerführers das feindliche Heer in
Verwirrung gebracht, oder wenn durch eine Brandſtiftung ein Vertheidigungswerk
des Feindes zerſtört worden iſt, ſo ſind das für den Gegner vielleicht glückliche Er-
eigniſſe, die zum Siege zu benutzen ihm nicht verwehrt iſt. Die Rückſichten der
Ritterlichkeit, der Großmuth und der Ehre können auch in ſolchen Fällen eine haſtige
und ſchonungsloſe Ausbeutung ſolcher Vortheile als unanſtändig oder unedel dar-
ſtellen, aber das weniger empfindliche Recht läßt dieſelbe gewähren.
564.
Dagegen gilt die Aufforderung zu Handlungen, welche zwar in dem
feindlichen State als politiſche Verbrechen ſtrafbar, aber von dem Stand-
punkte ſeines politiſchen Gegners ehrenhaft ſind, und die Unterſtützung
ſolcher politiſcher Verbrecher im Feindeslande, als ein erlaubtes Mittel der
Kriegsführung.
1. Die Natur der eigentlichen politiſchen Verbrechen unterſcheidet ſich
darin von dem gemeinen Verbrechen ſehr weſentlich, daß dieſe das allgemeine
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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 314. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/336>, abgerufen am 24.11.2024.
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