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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868.

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Achtes Buch.
Flaggen -- zur Täuschung desselben, um dasselbe sorglos zu machen und leichter
in Verwirrung zu bringen. Diese Art der Täuschung darf nicht über die Vorberei-
tungen zum Kampf hinausgetrieben werden. In der Schlacht sollen die Feinde
einander offen entgegenstehn und nicht hinterrücks in der Maske des Freun-
des und Waffenbruders
der Feind den Feind anfallen.

566.

Auch dem Feinde muß man Treue halten. Der Bruch eines dem
Feinde im Kriege gegebenen Versprechens ist völkerrechtswidrig.

"Etiam hosti fides servanda" ist ein uralter Rechtssatz selbst des
antiken Völkerrechts (§ 550). Ohne Vertrauen auf die gegebene Zusage und ohne
Treue ist überhaupt kein gesicherter Rechtszustand unter den Völkern denkbar. Von
jeher hat der natürliche Rechtssinn der Menschen z. B. den Bruch des ertheilten
freien Geleites, oder der zugesicherten Schonung bei Uebergabe eines festen Platzes
oder des versprochenen freien Abzugs als ein schweres Verbrechen an der menschlichen
Rechtsordnung gebrandmarkt.

567.

Wenn der Feind die Schranken der guten Kriegssitte mißachtet oder
völkerrechtswidrige Kriegsmittel anwendet, so sind Repressalien gestattet.
Indessen dürfen bei der Anwendung von Repressalien nicht die Grund-
gebote der Menschlichkeit verletzt werden.

Vgl. oben § 499 f. Am. Kr. 27. 28. Die Barbarei des Feindes recht-
fertigt nicht die eigene Barbarei. Wenn Wilde die gefangenen Feinde zu Tode mar-
tern, so dürfen die civilisirten Truppen die gefangenen Wilden höchstens aus
Repressalie tödten
, aber nicht martern. Die feindliche Leidenschaft des
Hasses und der Rache sucht ihre Missethaten zu beschönigen, indem sie sich auf das
Recht der Repressalien beruft. Die Ausbildung eines humaneren Völkerrechts
fordert daher die Beschränkung dieses Nothrechts auf das wirklich Noth-
wendige. Würdiger ist es, von demselben möglichst wenig Gebrauch zu machen.


Achtes Buch.
Flaggen — zur Täuſchung desſelben, um dasſelbe ſorglos zu machen und leichter
in Verwirrung zu bringen. Dieſe Art der Täuſchung darf nicht über die Vorberei-
tungen zum Kampf hinausgetrieben werden. In der Schlacht ſollen die Feinde
einander offen entgegenſtehn und nicht hinterrücks in der Maske des Freun-
des und Waffenbruders
der Feind den Feind anfallen.

566.

Auch dem Feinde muß man Treue halten. Der Bruch eines dem
Feinde im Kriege gegebenen Verſprechens iſt völkerrechtswidrig.

„Etiam hosti fides servanda“ iſt ein uralter Rechtsſatz ſelbſt des
antiken Völkerrechts (§ 550). Ohne Vertrauen auf die gegebene Zuſage und ohne
Treue iſt überhaupt kein geſicherter Rechtszuſtand unter den Völkern denkbar. Von
jeher hat der natürliche Rechtsſinn der Menſchen z. B. den Bruch des ertheilten
freien Geleites, oder der zugeſicherten Schonung bei Uebergabe eines feſten Platzes
oder des verſprochenen freien Abzugs als ein ſchweres Verbrechen an der menſchlichen
Rechtsordnung gebrandmarkt.

567.

Wenn der Feind die Schranken der guten Kriegsſitte mißachtet oder
völkerrechtswidrige Kriegsmittel anwendet, ſo ſind Repreſſalien geſtattet.
Indeſſen dürfen bei der Anwendung von Repreſſalien nicht die Grund-
gebote der Menſchlichkeit verletzt werden.

Vgl. oben § 499 f. Am. Kr. 27. 28. Die Barbarei des Feindes recht-
fertigt nicht die eigene Barbarei. Wenn Wilde die gefangenen Feinde zu Tode mar-
tern, ſo dürfen die civiliſirten Truppen die gefangenen Wilden höchſtens aus
Repreſſalie tödten
, aber nicht martern. Die feindliche Leidenſchaft des
Haſſes und der Rache ſucht ihre Miſſethaten zu beſchönigen, indem ſie ſich auf das
Recht der Repreſſalien beruft. Die Ausbildung eines humaneren Völkerrechts
fordert daher die Beſchränkung dieſes Nothrechts auf das wirklich Noth-
wendige. Würdiger iſt es, von demſelben möglichſt wenig Gebrauch zu machen.


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[316/0338] Achtes Buch. Flaggen — zur Täuſchung desſelben, um dasſelbe ſorglos zu machen und leichter in Verwirrung zu bringen. Dieſe Art der Täuſchung darf nicht über die Vorberei- tungen zum Kampf hinausgetrieben werden. In der Schlacht ſollen die Feinde einander offen entgegenſtehn und nicht hinterrücks in der Maske des Freun- des und Waffenbruders der Feind den Feind anfallen. 566. Auch dem Feinde muß man Treue halten. Der Bruch eines dem Feinde im Kriege gegebenen Verſprechens iſt völkerrechtswidrig. „Etiam hosti fides servanda“ iſt ein uralter Rechtsſatz ſelbſt des antiken Völkerrechts (§ 550). Ohne Vertrauen auf die gegebene Zuſage und ohne Treue iſt überhaupt kein geſicherter Rechtszuſtand unter den Völkern denkbar. Von jeher hat der natürliche Rechtsſinn der Menſchen z. B. den Bruch des ertheilten freien Geleites, oder der zugeſicherten Schonung bei Uebergabe eines feſten Platzes oder des verſprochenen freien Abzugs als ein ſchweres Verbrechen an der menſchlichen Rechtsordnung gebrandmarkt. 567. Wenn der Feind die Schranken der guten Kriegsſitte mißachtet oder völkerrechtswidrige Kriegsmittel anwendet, ſo ſind Repreſſalien geſtattet. Indeſſen dürfen bei der Anwendung von Repreſſalien nicht die Grund- gebote der Menſchlichkeit verletzt werden. Vgl. oben § 499 f. Am. Kr. 27. 28. Die Barbarei des Feindes recht- fertigt nicht die eigene Barbarei. Wenn Wilde die gefangenen Feinde zu Tode mar- tern, ſo dürfen die civiliſirten Truppen die gefangenen Wilden höchſtens aus Repreſſalie tödten, aber nicht martern. Die feindliche Leidenſchaft des Haſſes und der Rache ſucht ihre Miſſethaten zu beſchönigen, indem ſie ſich auf das Recht der Repreſſalien beruft. Die Ausbildung eines humaneren Völkerrechts fordert daher die Beſchränkung dieſes Nothrechts auf das wirklich Noth- wendige. Würdiger iſt es, von demſelben möglichſt wenig Gebrauch zu machen.

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 316. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/338>, abgerufen am 24.11.2024.