Bevölkerung gestellt oder von der Kriegsgewalt aus dringenden Gründen der Sicherheit genommen werden, sind den Kriegsgefangenen ähnlich in ihrer freien Bewegung gehemmt. Indessen wird der Entzug oder die Be- schränkung ihrer Bewegungsfreiheit durch die Rücksicht auf den Zweck näher bestimmt und begrenzt, um dessen willen die Geiseln gegeben oder genommen sind.
Am. 54. Geiseln (vgl. oben § 426) werden zuweilen während des Kriegs gegeben in der Absicht, für eine übernommene Leistung, z. B. für Bezahlung einer Kriegscontribution, für Ueberlieferung eines festen Platzes Sicherheit zu ge- währen. Sie werden aber auch zuweilen genommen, um Sicherheit zu gewinnen vielleicht für die Ruhe einer eingenommenen Stadt oder Gegend. Vorzugsweise werden dann angesehene Personen als Geiseln verwendet, weil nur diese theils durch ihren Einfluß auf die Bevölkerung, theils um der Rücksicht willen, welche die- selbe auf jene Personen zu nehmen pflegt, eine persönliche Gewähr zu geben im Stande sind. Solche Geiseln sind im wesentlichen nicht anders zu behandeln, als die Friedensgeiseln, nur wird eine größere Sorgfalt darauf zu nehmen sein, daß sie sich nicht der feindlichen Gewalt durch die Flucht entziehen.
601.
Kriegsgefangene sind nicht Strafgefangene, sondern Sicherheits- gefangene. Sie dürfen nicht mißhandelt, noch gequält, noch zu unwürdigen Handlungen gezwungen werden.
1. Am. 56. 75. Die feindlichen Personen haben rechtmäßig gehan- delt, als sie am Kriege Theil genommen hatten, indem sie dazu von Seite ihrer Statsgewalt beauftragt oder ermächtigt waren. Sie dürfen daher von dem Sieger nicht strafrechtlich verfolgt werden. Kriegsgefangene werden sie nur aus potitischen und militärischen, nicht aus strafrechtlichen Gründen. Eben deßhalb ist es nicht bloß barbarisch und grausam, eines civilisirten States nicht würdig, die Kriegs- gefangenen zu mißhandeln, sondern auch widerrechtlich, denn jede ungerecht- fertigte Gewalt, die gegen Andere geübt wird, ist wider das Recht.
2. Schon auf dem Transport sind daher die Kriegsgefangenen vor der Beleidi- gung des vielleicht feindlich aufgeregten Pöbels zu schützen. Dann sind sie -- wo möglich -- in festen Plätzen, aber nicht in eigentlichen Gefängnissen, unterzu- bringen. Als die französischen Gefangenen noch in den Jahren 1812 u. 1813 von Rußland wie Verbrecher nach Sibirien transportirt wurden, war das eine Maß- regel, welche der ältern Kriegspraxis wohl erlaubt scheinen mochte, aber dem heuti- gen Rechtsbewußtsein nicht mehr entspricht. Ebenso war das Verfahren, welches während des nordamerikanischen Bürgerkriegs in einem südstatlichen Gefängniß gegen Kriegsgefangene der Union gehandhabt wurde, indem die Leute an Luft und Nah-
Achtes Buch.
Bevölkerung geſtellt oder von der Kriegsgewalt aus dringenden Gründen der Sicherheit genommen werden, ſind den Kriegsgefangenen ähnlich in ihrer freien Bewegung gehemmt. Indeſſen wird der Entzug oder die Be- ſchränkung ihrer Bewegungsfreiheit durch die Rückſicht auf den Zweck näher beſtimmt und begrenzt, um deſſen willen die Geiſeln gegeben oder genommen ſind.
Am. 54. Geiſeln (vgl. oben § 426) werden zuweilen während des Kriegs gegeben in der Abſicht, für eine übernommene Leiſtung, z. B. für Bezahlung einer Kriegscontribution, für Ueberlieferung eines feſten Platzes Sicherheit zu ge- währen. Sie werden aber auch zuweilen genommen, um Sicherheit zu gewinnen vielleicht für die Ruhe einer eingenommenen Stadt oder Gegend. Vorzugsweiſe werden dann angeſehene Perſonen als Geiſeln verwendet, weil nur dieſe theils durch ihren Einfluß auf die Bevölkerung, theils um der Rückſicht willen, welche die- ſelbe auf jene Perſonen zu nehmen pflegt, eine perſönliche Gewähr zu geben im Stande ſind. Solche Geiſeln ſind im weſentlichen nicht anders zu behandeln, als die Friedensgeiſeln, nur wird eine größere Sorgfalt darauf zu nehmen ſein, daß ſie ſich nicht der feindlichen Gewalt durch die Flucht entziehen.
601.
Kriegsgefangene ſind nicht Strafgefangene, ſondern Sicherheits- gefangene. Sie dürfen nicht mißhandelt, noch gequält, noch zu unwürdigen Handlungen gezwungen werden.
1. Am. 56. 75. Die feindlichen Perſonen haben rechtmäßig gehan- delt, als ſie am Kriege Theil genommen hatten, indem ſie dazu von Seite ihrer Statsgewalt beauftragt oder ermächtigt waren. Sie dürfen daher von dem Sieger nicht ſtrafrechtlich verfolgt werden. Kriegsgefangene werden ſie nur aus potitiſchen und militäriſchen, nicht aus ſtrafrechtlichen Gründen. Eben deßhalb iſt es nicht bloß barbariſch und grauſam, eines civiliſirten States nicht würdig, die Kriegs- gefangenen zu mißhandeln, ſondern auch widerrechtlich, denn jede ungerecht- fertigte Gewalt, die gegen Andere geübt wird, iſt wider das Recht.
2. Schon auf dem Transport ſind daher die Kriegsgefangenen vor der Beleidi- gung des vielleicht feindlich aufgeregten Pöbels zu ſchützen. Dann ſind ſie — wo möglich — in feſten Plätzen, aber nicht in eigentlichen Gefängniſſen, unterzu- bringen. Als die franzöſiſchen Gefangenen noch in den Jahren 1812 u. 1813 von Rußland wie Verbrecher nach Sibirien transportirt wurden, war das eine Maß- regel, welche der ältern Kriegspraxis wohl erlaubt ſcheinen mochte, aber dem heuti- gen Rechtsbewußtſein nicht mehr entſpricht. Ebenſo war das Verfahren, welches während des nordamerikaniſchen Bürgerkriegs in einem ſüdſtatlichen Gefängniß gegen Kriegsgefangene der Union gehandhabt wurde, indem die Leute an Luft und Nah-
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Achtes Buch.
Bevölkerung geſtellt oder von der Kriegsgewalt aus dringenden Gründen
der Sicherheit genommen werden, ſind den Kriegsgefangenen ähnlich in
ihrer freien Bewegung gehemmt. Indeſſen wird der Entzug oder die Be-
ſchränkung ihrer Bewegungsfreiheit durch die Rückſicht auf den Zweck
näher beſtimmt und begrenzt, um deſſen willen die Geiſeln gegeben oder
genommen ſind.
Am. 54. Geiſeln (vgl. oben § 426) werden zuweilen während des Kriegs
gegeben in der Abſicht, für eine übernommene Leiſtung, z. B. für Bezahlung
einer Kriegscontribution, für Ueberlieferung eines feſten Platzes Sicherheit zu ge-
währen. Sie werden aber auch zuweilen genommen, um Sicherheit zu gewinnen
vielleicht für die Ruhe einer eingenommenen Stadt oder Gegend. Vorzugsweiſe
werden dann angeſehene Perſonen als Geiſeln verwendet, weil nur dieſe theils
durch ihren Einfluß auf die Bevölkerung, theils um der Rückſicht willen, welche die-
ſelbe auf jene Perſonen zu nehmen pflegt, eine perſönliche Gewähr zu geben im
Stande ſind. Solche Geiſeln ſind im weſentlichen nicht anders zu behandeln, als
die Friedensgeiſeln, nur wird eine größere Sorgfalt darauf zu nehmen ſein,
daß ſie ſich nicht der feindlichen Gewalt durch die Flucht entziehen.
601.
Kriegsgefangene ſind nicht Strafgefangene, ſondern Sicherheits-
gefangene. Sie dürfen nicht mißhandelt, noch gequält, noch zu unwürdigen
Handlungen gezwungen werden.
1. Am. 56. 75. Die feindlichen Perſonen haben rechtmäßig gehan-
delt, als ſie am Kriege Theil genommen hatten, indem ſie dazu von Seite ihrer
Statsgewalt beauftragt oder ermächtigt waren. Sie dürfen daher von dem Sieger
nicht ſtrafrechtlich verfolgt werden. Kriegsgefangene werden ſie nur aus potitiſchen
und militäriſchen, nicht aus ſtrafrechtlichen Gründen. Eben deßhalb iſt es nicht
bloß barbariſch und grauſam, eines civiliſirten States nicht würdig, die Kriegs-
gefangenen zu mißhandeln, ſondern auch widerrechtlich, denn jede ungerecht-
fertigte Gewalt, die gegen Andere geübt wird, iſt wider das Recht.
2. Schon auf dem Transport ſind daher die Kriegsgefangenen vor der Beleidi-
gung des vielleicht feindlich aufgeregten Pöbels zu ſchützen. Dann ſind ſie — wo
möglich — in feſten Plätzen, aber nicht in eigentlichen Gefängniſſen, unterzu-
bringen. Als die franzöſiſchen Gefangenen noch in den Jahren 1812 u. 1813 von
Rußland wie Verbrecher nach Sibirien transportirt wurden, war das eine Maß-
regel, welche der ältern Kriegspraxis wohl erlaubt ſcheinen mochte, aber dem heuti-
gen Rechtsbewußtſein nicht mehr entſpricht. Ebenſo war das Verfahren, welches
während des nordamerikaniſchen Bürgerkriegs in einem ſüdſtatlichen Gefängniß gegen
Kriegsgefangene der Union gehandhabt wurde, indem die Leute an Luft und Nah-
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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 332. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/354>, abgerufen am 16.07.2024.
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