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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868.

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Einleitung.
es den Geist der Bruderliebe auch unter Herren und Sclaven weckte, ließ
doch die bestehende Sclaverei als Rechtsinstitut unangefochten.

Während des Mittelalters wurde in dem germanisirten Europa die
antike Sclaverei in die weniger harte Eigenschaft umgestaltet und all-
mählich in die bäuerliche Hörigkeit gemildert, aber es erhielt sich doch noch
bis tief ins achtzehnte, in einzelnen, auch deutschen Ländern bis ins neun-
zehnte Jahrhundert hinein eine erbliche Knechtschaft der eigenen Leute. In
Osteuropa nahm diese bäuerliche Eigenschaft sogar in den letzten Jahr-
hunderten massenhaft überhand und in den europäischen Colonien von
Amerika erhielt sogar die strengste Sclaverei eine neue Gestalt und An-
wendung in der absoluten Herrschaft, welche die weißen Eigenthümer über
die schwarze Arbeiterbevölkerung erkauften, die aus Afrika dahin verpflanzt
ward.

In allen diesen Zeitaltern kümmerte sich das Völkerrecht niemals
darum. Im achtzehnten Jahrhundert noch schützte und begünstigte das
freie England die Sclavenzufuhr aus Afrika. Noch im Jahre 1713
schämten sich die englischen Statsmänner nicht, in dem Frieden mit
Spanien zu Utrecht ausdrücklich auszubedingen, daß es den englischen
Schiffen gestattet werde, binnen der nächsten Jahre einige tausend Neger-
sclaven jährlich in die spanischen Colonien einzuführen. Sie betrachteten
den Menschenhandel noch als ein vortheilhaftes Speculationsgeschäft, wofür
England sich Privilegien einräumen lassen müsse.

Seit ungefähr einem Jahrhundert finden wir eine entschiedene
Wendung in den Ansichten der civilisirten Welt. Die Philosophie und
die schöne Literatur brachten menschlichere Grundsätze in Umlauf. Von da
an beginnt in allen Ländern ein offener Kampf für die persönliche Frei-
heit wider die Knechtschaft, und die Gesetzgebung verzeichnet und sichert die
Siege der Freiheit. Die Leibeigenschaft und Hörigkeit werden theilweise
vor, theilweise nach der französischen Verkündung der Menschenrechte in den
westeuropäischen Ländern abgeschafft.

Jetzt erst beginnt auch das Völkerrecht die Frage in Betracht zu
ziehen; und nun geht England voran in der Bekämpfung der Neger-
sclaverei, welche es selber früher großgezogen hatte. Der Wiener Congreß
mißbilligt in einer förmlichen Erklärung vom 8. Februar 1815 den von
Afrika nach Amerika betriebenen Negerhandel, "durch welchen Afrika ent-
völkert, Europa geschändet und die Humanität verletzt" werde. Früher
schon hatten auch die Vereinigten Staten von Amerika diesen schmählichen

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Einleitung.
es den Geiſt der Bruderliebe auch unter Herren und Sclaven weckte, ließ
doch die beſtehende Sclaverei als Rechtsinſtitut unangefochten.

Während des Mittelalters wurde in dem germaniſirten Europa die
antike Sclaverei in die weniger harte Eigenſchaft umgeſtaltet und all-
mählich in die bäuerliche Hörigkeit gemildert, aber es erhielt ſich doch noch
bis tief ins achtzehnte, in einzelnen, auch deutſchen Ländern bis ins neun-
zehnte Jahrhundert hinein eine erbliche Knechtſchaft der eigenen Leute. In
Oſteuropa nahm dieſe bäuerliche Eigenſchaft ſogar in den letzten Jahr-
hunderten maſſenhaft überhand und in den europäiſchen Colonien von
Amerika erhielt ſogar die ſtrengſte Sclaverei eine neue Geſtalt und An-
wendung in der abſoluten Herrſchaft, welche die weißen Eigenthümer über
die ſchwarze Arbeiterbevölkerung erkauften, die aus Afrika dahin verpflanzt
ward.

In allen dieſen Zeitaltern kümmerte ſich das Völkerrecht niemals
darum. Im achtzehnten Jahrhundert noch ſchützte und begünſtigte das
freie England die Sclavenzufuhr aus Afrika. Noch im Jahre 1713
ſchämten ſich die engliſchen Statsmänner nicht, in dem Frieden mit
Spanien zu Utrecht ausdrücklich auszubedingen, daß es den engliſchen
Schiffen geſtattet werde, binnen der nächſten Jahre einige tauſend Neger-
ſclaven jährlich in die ſpaniſchen Colonien einzuführen. Sie betrachteten
den Menſchenhandel noch als ein vortheilhaftes Speculationsgeſchäft, wofür
England ſich Privilegien einräumen laſſen müſſe.

Seit ungefähr einem Jahrhundert finden wir eine entſchiedene
Wendung in den Anſichten der civiliſirten Welt. Die Philoſophie und
die ſchöne Literatur brachten menſchlichere Grundſätze in Umlauf. Von da
an beginnt in allen Ländern ein offener Kampf für die perſönliche Frei-
heit wider die Knechtſchaft, und die Geſetzgebung verzeichnet und ſichert die
Siege der Freiheit. Die Leibeigenſchaft und Hörigkeit werden theilweiſe
vor, theilweiſe nach der franzöſiſchen Verkündung der Menſchenrechte in den
weſteuropäiſchen Ländern abgeſchafft.

Jetzt erſt beginnt auch das Völkerrecht die Frage in Betracht zu
ziehen; und nun geht England voran in der Bekämpfung der Neger-
ſclaverei, welche es ſelber früher großgezogen hatte. Der Wiener Congreß
mißbilligt in einer förmlichen Erklärung vom 8. Februar 1815 den von
Afrika nach Amerika betriebenen Negerhandel, „durch welchen Afrika ent-
völkert, Europa geſchändet und die Humanität verletzt“ werde. Früher
ſchon hatten auch die Vereinigten Staten von Amerika dieſen ſchmählichen

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[19/0041] Einleitung. es den Geiſt der Bruderliebe auch unter Herren und Sclaven weckte, ließ doch die beſtehende Sclaverei als Rechtsinſtitut unangefochten. Während des Mittelalters wurde in dem germaniſirten Europa die antike Sclaverei in die weniger harte Eigenſchaft umgeſtaltet und all- mählich in die bäuerliche Hörigkeit gemildert, aber es erhielt ſich doch noch bis tief ins achtzehnte, in einzelnen, auch deutſchen Ländern bis ins neun- zehnte Jahrhundert hinein eine erbliche Knechtſchaft der eigenen Leute. In Oſteuropa nahm dieſe bäuerliche Eigenſchaft ſogar in den letzten Jahr- hunderten maſſenhaft überhand und in den europäiſchen Colonien von Amerika erhielt ſogar die ſtrengſte Sclaverei eine neue Geſtalt und An- wendung in der abſoluten Herrſchaft, welche die weißen Eigenthümer über die ſchwarze Arbeiterbevölkerung erkauften, die aus Afrika dahin verpflanzt ward. In allen dieſen Zeitaltern kümmerte ſich das Völkerrecht niemals darum. Im achtzehnten Jahrhundert noch ſchützte und begünſtigte das freie England die Sclavenzufuhr aus Afrika. Noch im Jahre 1713 ſchämten ſich die engliſchen Statsmänner nicht, in dem Frieden mit Spanien zu Utrecht ausdrücklich auszubedingen, daß es den engliſchen Schiffen geſtattet werde, binnen der nächſten Jahre einige tauſend Neger- ſclaven jährlich in die ſpaniſchen Colonien einzuführen. Sie betrachteten den Menſchenhandel noch als ein vortheilhaftes Speculationsgeſchäft, wofür England ſich Privilegien einräumen laſſen müſſe. Seit ungefähr einem Jahrhundert finden wir eine entſchiedene Wendung in den Anſichten der civiliſirten Welt. Die Philoſophie und die ſchöne Literatur brachten menſchlichere Grundſätze in Umlauf. Von da an beginnt in allen Ländern ein offener Kampf für die perſönliche Frei- heit wider die Knechtſchaft, und die Geſetzgebung verzeichnet und ſichert die Siege der Freiheit. Die Leibeigenſchaft und Hörigkeit werden theilweiſe vor, theilweiſe nach der franzöſiſchen Verkündung der Menſchenrechte in den weſteuropäiſchen Ländern abgeſchafft. Jetzt erſt beginnt auch das Völkerrecht die Frage in Betracht zu ziehen; und nun geht England voran in der Bekämpfung der Neger- ſclaverei, welche es ſelber früher großgezogen hatte. Der Wiener Congreß mißbilligt in einer förmlichen Erklärung vom 8. Februar 1815 den von Afrika nach Amerika betriebenen Negerhandel, „durch welchen Afrika ent- völkert, Europa geſchändet und die Humanität verletzt“ werde. Früher ſchon hatten auch die Vereinigten Staten von Amerika dieſen ſchmählichen 2*

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/41>, abgerufen am 28.04.2024.