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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868.

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Einleitung.
Seehandel mit schwarzen Menschen gesetzlich verboten. Die Verurtheilung
dieser besonders gefährlichen und schädlichen Art der Sclavenzüchtung durch
den Spruch der civilisirten Menschheit war nun im Princip entschieden
und damit wenigstens erwiesen, daß das Rechtsgefühl der Welt humaner
und freier geworden war, als es im Alterthum und im Mittelalter gewesen.

Freilich zeigte sich hier sofort wieder die große Schwierigkeit alles
Völkerrechts, dem Urtheil der civilisirten Menschheit Geltung zu verschaffen,
ohne die Freiheit der einzelnen Staten zu gefährden. Zwar ließen sich
die europäischen Staten anfangs herbei, der unablässigen Bestürmung der
englischen Diplomatie das verlangte Visitationsrecht ermächtigter Kriegsschiffe
gegen verdächtige Sclavenschiffe innerhalb gewisser Meere zuzugestehen und
insofern eine Art völkerrechtlicher Seepolicei auch im Friedenszustande ein-
zuführen. In diesem Sinne kam der europäische Vertrag vom 20. De-
cember 1841 zu Stande. Aber dieses Untersuchungsrecht begegnete dem
Widerspruch der Vereinigten Staten, welche besorgten, daß dadurch die
Uebermacht der englischen Kriegmarine über ihre Handelsmarine verstärkt
und der friedliche Seehandel überhaupt belästigt werde. Auch Frankreich
sagte sich nun wieder los von dem Zugeständniß solcher Durchsuchung und
trat auf den Standpunkt der Vereinigten Staten über, welche es vorzogen,
gemeinsam mit England Kreuzer auszurüsten, welche an den afrikanischen
Küsten zunächst die eigenen Sclavenschiffe verfolgen aber sich hüten sollten,
fremde Kauffahrer zu belästigen.

Auf den Vorschlag der nordamerikanischen Bundesregierung kam dann
die weitere Verabredung mit England (9. August 1842) zu Stande, ge-
meinsam die Staten, welche noch öffentliche Sclavenmärkte gestatten, zur
Abstellung dieses Mißbrauchs zu mahnen. Auch diese Maßregel zur Be-
freiung der Welt von der Schmach der Sclaverei ist nicht ohne Wirkung
geblieben. Insbesondere sah sich die Ottomanische Pforte veranlaßt, dem
Andringen der Diplomatie Gehör zu geben.

Neuerdings hat die Aufhebung der Leibeigenschaft in dem russischen
Reich durch das Manifest des Kaisers Alexander II. vom 19. Februar
1861 die große Frage endlich für Europa und für einen großen Theil von
Asien zu Gunsten der persönlichen Freiheit entschieden. Noch wichtiger ist
der Sieg der Freiheit über die Sclaverei in Nordamerika geworden. Seit-
dem die Verwerfung der Sclaverei zu einem Grundgesetz der Vereinigten
Staten erklärt worden ist (1865), ist dieses Institut nirgends mehr auf
dem ganzen Welttheil zu halten.

Einleitung.
Seehandel mit ſchwarzen Menſchen geſetzlich verboten. Die Verurtheilung
dieſer beſonders gefährlichen und ſchädlichen Art der Sclavenzüchtung durch
den Spruch der civiliſirten Menſchheit war nun im Princip entſchieden
und damit wenigſtens erwieſen, daß das Rechtsgefühl der Welt humaner
und freier geworden war, als es im Alterthum und im Mittelalter geweſen.

Freilich zeigte ſich hier ſofort wieder die große Schwierigkeit alles
Völkerrechts, dem Urtheil der civiliſirten Menſchheit Geltung zu verſchaffen,
ohne die Freiheit der einzelnen Staten zu gefährden. Zwar ließen ſich
die europäiſchen Staten anfangs herbei, der unabläſſigen Beſtürmung der
engliſchen Diplomatie das verlangte Viſitationsrecht ermächtigter Kriegsſchiffe
gegen verdächtige Sclavenſchiffe innerhalb gewiſſer Meere zuzugeſtehen und
inſofern eine Art völkerrechtlicher Seepolicei auch im Friedenszuſtande ein-
zuführen. In dieſem Sinne kam der europäiſche Vertrag vom 20. De-
cember 1841 zu Stande. Aber dieſes Unterſuchungsrecht begegnete dem
Widerſpruch der Vereinigten Staten, welche beſorgten, daß dadurch die
Uebermacht der engliſchen Kriegmarine über ihre Handelsmarine verſtärkt
und der friedliche Seehandel überhaupt beläſtigt werde. Auch Frankreich
ſagte ſich nun wieder los von dem Zugeſtändniß ſolcher Durchſuchung und
trat auf den Standpunkt der Vereinigten Staten über, welche es vorzogen,
gemeinſam mit England Kreuzer auszurüſten, welche an den afrikaniſchen
Küſten zunächſt die eigenen Sclavenſchiffe verfolgen aber ſich hüten ſollten,
fremde Kauffahrer zu beläſtigen.

Auf den Vorſchlag der nordamerikaniſchen Bundesregierung kam dann
die weitere Verabredung mit England (9. Auguſt 1842) zu Stande, ge-
meinſam die Staten, welche noch öffentliche Sclavenmärkte geſtatten, zur
Abſtellung dieſes Mißbrauchs zu mahnen. Auch dieſe Maßregel zur Be-
freiung der Welt von der Schmach der Sclaverei iſt nicht ohne Wirkung
geblieben. Insbeſondere ſah ſich die Ottomaniſche Pforte veranlaßt, dem
Andringen der Diplomatie Gehör zu geben.

Neuerdings hat die Aufhebung der Leibeigenſchaft in dem ruſſiſchen
Reich durch das Manifeſt des Kaiſers Alexander II. vom 19. Februar
1861 die große Frage endlich für Europa und für einen großen Theil von
Aſien zu Gunſten der perſönlichen Freiheit entſchieden. Noch wichtiger iſt
der Sieg der Freiheit über die Sclaverei in Nordamerika geworden. Seit-
dem die Verwerfung der Sclaverei zu einem Grundgeſetz der Vereinigten
Staten erklärt worden iſt (1865), iſt dieſes Inſtitut nirgends mehr auf
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[20/0042] Einleitung. Seehandel mit ſchwarzen Menſchen geſetzlich verboten. Die Verurtheilung dieſer beſonders gefährlichen und ſchädlichen Art der Sclavenzüchtung durch den Spruch der civiliſirten Menſchheit war nun im Princip entſchieden und damit wenigſtens erwieſen, daß das Rechtsgefühl der Welt humaner und freier geworden war, als es im Alterthum und im Mittelalter geweſen. Freilich zeigte ſich hier ſofort wieder die große Schwierigkeit alles Völkerrechts, dem Urtheil der civiliſirten Menſchheit Geltung zu verſchaffen, ohne die Freiheit der einzelnen Staten zu gefährden. Zwar ließen ſich die europäiſchen Staten anfangs herbei, der unabläſſigen Beſtürmung der engliſchen Diplomatie das verlangte Viſitationsrecht ermächtigter Kriegsſchiffe gegen verdächtige Sclavenſchiffe innerhalb gewiſſer Meere zuzugeſtehen und inſofern eine Art völkerrechtlicher Seepolicei auch im Friedenszuſtande ein- zuführen. In dieſem Sinne kam der europäiſche Vertrag vom 20. De- cember 1841 zu Stande. Aber dieſes Unterſuchungsrecht begegnete dem Widerſpruch der Vereinigten Staten, welche beſorgten, daß dadurch die Uebermacht der engliſchen Kriegmarine über ihre Handelsmarine verſtärkt und der friedliche Seehandel überhaupt beläſtigt werde. Auch Frankreich ſagte ſich nun wieder los von dem Zugeſtändniß ſolcher Durchſuchung und trat auf den Standpunkt der Vereinigten Staten über, welche es vorzogen, gemeinſam mit England Kreuzer auszurüſten, welche an den afrikaniſchen Küſten zunächſt die eigenen Sclavenſchiffe verfolgen aber ſich hüten ſollten, fremde Kauffahrer zu beläſtigen. Auf den Vorſchlag der nordamerikaniſchen Bundesregierung kam dann die weitere Verabredung mit England (9. Auguſt 1842) zu Stande, ge- meinſam die Staten, welche noch öffentliche Sclavenmärkte geſtatten, zur Abſtellung dieſes Mißbrauchs zu mahnen. Auch dieſe Maßregel zur Be- freiung der Welt von der Schmach der Sclaverei iſt nicht ohne Wirkung geblieben. Insbeſondere ſah ſich die Ottomaniſche Pforte veranlaßt, dem Andringen der Diplomatie Gehör zu geben. Neuerdings hat die Aufhebung der Leibeigenſchaft in dem ruſſiſchen Reich durch das Manifeſt des Kaiſers Alexander II. vom 19. Februar 1861 die große Frage endlich für Europa und für einen großen Theil von Aſien zu Gunſten der perſönlichen Freiheit entſchieden. Noch wichtiger iſt der Sieg der Freiheit über die Sclaverei in Nordamerika geworden. Seit- dem die Verwerfung der Sclaverei zu einem Grundgeſetz der Vereinigten Staten erklärt worden iſt (1865), iſt dieſes Inſtitut nirgends mehr auf dem ganzen Welttheil zu halten.

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/42>, abgerufen am 27.04.2024.