Die Autorität der feindlichen Kriegsgewalt beruht nur auf dem thatsäch- lichen Besitz und dem Nothrecht des Kriegs (vgl. oben § 540 f.). Wenn daher jene den Besitz wieder verliert, so hört damit auch die Fortwirkung ihrer Kriegshoheit auf. Wurde inzwischen die Landesverfassung suspendirt, so tritt sie nun wieder in volle Kraft. Das Hemmniß, welches der ursprünglichen Statsgewalt ent- gegenstand, ist damit wieder entfernt.
729.
Geschieht die Verdrängung des Feindes durch eine dritte Kriegsmacht, welche weder die rechtmäßige Statsgewalt des befreiten Landes noch ein Bundesgenosse desselben, wohl aber im Kriege mit dem Landesfeinde ist, so versteht sich die Wiederbelebung der frühern Regierung und Verfassung des Landes nicht von selber. Vielmehr ist die befreiende Macht, welche inzwischen die Kriegsgewalt handhabt, berechtigt, bei der neuen Regulirung der öffentlichen Zustände mitzuwirken. Der Befreier darf aber nicht ohne Rücksicht auf den Willen der Bevölkerung dauernd und willkürlich über das fremde Gebiet einseitig verfügen.
Würde man lediglich die Analogie des Privatrechts anwenden, so müßte ein- fach das von einer dritten Macht befreite Gebiet an den Träger der legitimen Stats- gewalt überlassen werden, wie der Dritte, welcher einem Räuber meine geraubte Sache abjagt, dieselbe mir herauszugeben hat. Aber die Analogie paßt nicht, weil es sich hier um öffentliche (politische) Verhältnisse handelt. Die Statsgewalt, welche die Macht nicht mehr besitzt, ihr Gebiet zu schützen oder zu befreien, hat auch kein sicheres Recht mehr über das Gebiet; denn ein Volk und Land regieren kann man nur mit Macht und Autorität, nicht ohne dieselben. Ferner die fremde Statsgewalt, welche durch ihre Anstrengungen und Opfer die Befreiung voll- zogen und zugleich ihre Macht bewährt hat, den Feind aus dem Lande zu verdrängen, hat ein natürliches Anrecht darauf, daß die neuen öffentlichen Verhältnisse in dem befreiten Lande mit Berücksichtigung auch ihrer politischen Interessen neu geordnet werden. Auch wenn sie das Land nicht für sich erobern wollte, so wäre es doch völlig unnatürlich, ihr anzusinnen, daß sie lediglich für fremde In- teressen ihre Volkskräfte verwende. Es bedarf also hier einer billigen Ausglei- chung der verschiedenen Rechte und Interessen, sowohl des Befreiers als des be- freiten Landes. Ein Beispiel der Art bieten die Verhandlungen Preußens mit dem Herzog Friedrich von Augustenburg über die Herzogthümer Schleswig und Holstein (1865 und 1866) nach der Befreiung derselben von der Dänischen Herrschaft. Vgl. Heffter § 188.
730.
Hat ein Volk, ohne Zuthun der vom Feinde vertriebenen Regierung
Das Kriegsrecht.
Die Autorität der feindlichen Kriegsgewalt beruht nur auf dem thatſäch- lichen Beſitz und dem Nothrecht des Kriegs (vgl. oben § 540 f.). Wenn daher jene den Beſitz wieder verliert, ſo hört damit auch die Fortwirkung ihrer Kriegshoheit auf. Wurde inzwiſchen die Landesverfaſſung ſuspendirt, ſo tritt ſie nun wieder in volle Kraft. Das Hemmniß, welches der urſprünglichen Statsgewalt ent- gegenſtand, iſt damit wieder entfernt.
729.
Geſchieht die Verdrängung des Feindes durch eine dritte Kriegsmacht, welche weder die rechtmäßige Statsgewalt des befreiten Landes noch ein Bundesgenoſſe desſelben, wohl aber im Kriege mit dem Landesfeinde iſt, ſo verſteht ſich die Wiederbelebung der frühern Regierung und Verfaſſung des Landes nicht von ſelber. Vielmehr iſt die befreiende Macht, welche inzwiſchen die Kriegsgewalt handhabt, berechtigt, bei der neuen Regulirung der öffentlichen Zuſtände mitzuwirken. Der Befreier darf aber nicht ohne Rückſicht auf den Willen der Bevölkerung dauernd und willkürlich über das fremde Gebiet einſeitig verfügen.
Würde man lediglich die Analogie des Privatrechts anwenden, ſo müßte ein- fach das von einer dritten Macht befreite Gebiet an den Träger der legitimen Stats- gewalt überlaſſen werden, wie der Dritte, welcher einem Räuber meine geraubte Sache abjagt, dieſelbe mir herauszugeben hat. Aber die Analogie paßt nicht, weil es ſich hier um öffentliche (politiſche) Verhältniſſe handelt. Die Statsgewalt, welche die Macht nicht mehr beſitzt, ihr Gebiet zu ſchützen oder zu befreien, hat auch kein ſicheres Recht mehr über das Gebiet; denn ein Volk und Land regieren kann man nur mit Macht und Autorität, nicht ohne dieſelben. Ferner die fremde Statsgewalt, welche durch ihre Anſtrengungen und Opfer die Befreiung voll- zogen und zugleich ihre Macht bewährt hat, den Feind aus dem Lande zu verdrängen, hat ein natürliches Anrecht darauf, daß die neuen öffentlichen Verhältniſſe in dem befreiten Lande mit Berückſichtigung auch ihrer politiſchen Intereſſen neu geordnet werden. Auch wenn ſie das Land nicht für ſich erobern wollte, ſo wäre es doch völlig unnatürlich, ihr anzuſinnen, daß ſie lediglich für fremde In- tereſſen ihre Volkskräfte verwende. Es bedarf alſo hier einer billigen Ausglei- chung der verſchiedenen Rechte und Intereſſen, ſowohl des Befreiers als des be- freiten Landes. Ein Beiſpiel der Art bieten die Verhandlungen Preußens mit dem Herzog Friedrich von Auguſtenburg über die Herzogthümer Schleswig und Holſtein (1865 und 1866) nach der Befreiung derſelben von der Däniſchen Herrſchaft. Vgl. Heffter § 188.
730.
Hat ein Volk, ohne Zuthun der vom Feinde vertriebenen Regierung
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Das Kriegsrecht.
Die Autorität der feindlichen Kriegsgewalt beruht nur auf dem thatſäch-
lichen Beſitz und dem Nothrecht des Kriegs (vgl. oben § 540 f.). Wenn
daher jene den Beſitz wieder verliert, ſo hört damit auch die Fortwirkung ihrer
Kriegshoheit auf. Wurde inzwiſchen die Landesverfaſſung ſuspendirt, ſo tritt ſie nun
wieder in volle Kraft. Das Hemmniß, welches der urſprünglichen Statsgewalt ent-
gegenſtand, iſt damit wieder entfernt.
729.
Geſchieht die Verdrängung des Feindes durch eine dritte Kriegsmacht,
welche weder die rechtmäßige Statsgewalt des befreiten Landes noch ein
Bundesgenoſſe desſelben, wohl aber im Kriege mit dem Landesfeinde iſt,
ſo verſteht ſich die Wiederbelebung der frühern Regierung und Verfaſſung
des Landes nicht von ſelber. Vielmehr iſt die befreiende Macht, welche
inzwiſchen die Kriegsgewalt handhabt, berechtigt, bei der neuen Regulirung
der öffentlichen Zuſtände mitzuwirken. Der Befreier darf aber nicht ohne
Rückſicht auf den Willen der Bevölkerung dauernd und willkürlich über
das fremde Gebiet einſeitig verfügen.
Würde man lediglich die Analogie des Privatrechts anwenden, ſo müßte ein-
fach das von einer dritten Macht befreite Gebiet an den Träger der legitimen Stats-
gewalt überlaſſen werden, wie der Dritte, welcher einem Räuber meine geraubte
Sache abjagt, dieſelbe mir herauszugeben hat. Aber die Analogie paßt nicht, weil
es ſich hier um öffentliche (politiſche) Verhältniſſe handelt. Die Statsgewalt,
welche die Macht nicht mehr beſitzt, ihr Gebiet zu ſchützen oder zu befreien, hat auch
kein ſicheres Recht mehr über das Gebiet; denn ein Volk und Land regieren
kann man nur mit Macht und Autorität, nicht ohne dieſelben. Ferner die fremde
Statsgewalt, welche durch ihre Anſtrengungen und Opfer die Befreiung voll-
zogen und zugleich ihre Macht bewährt hat, den Feind aus dem Lande zu verdrängen,
hat ein natürliches Anrecht darauf, daß die neuen öffentlichen Verhältniſſe in dem
befreiten Lande mit Berückſichtigung auch ihrer politiſchen Intereſſen
neu geordnet werden. Auch wenn ſie das Land nicht für ſich erobern wollte, ſo
wäre es doch völlig unnatürlich, ihr anzuſinnen, daß ſie lediglich für fremde In-
tereſſen ihre Volkskräfte verwende. Es bedarf alſo hier einer billigen Ausglei-
chung der verſchiedenen Rechte und Intereſſen, ſowohl des Befreiers als des be-
freiten Landes. Ein Beiſpiel der Art bieten die Verhandlungen Preußens mit
dem Herzog Friedrich von Auguſtenburg über die Herzogthümer Schleswig und
Holſtein (1865 und 1866) nach der Befreiung derſelben von der Däniſchen
Herrſchaft. Vgl. Heffter § 188.
730.
Hat ein Volk, ohne Zuthun der vom Feinde vertriebenen Regierung
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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 395. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/417>, abgerufen am 22.11.2024.
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