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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868.

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Recht der Neutralität.
Gebiet gewaltsam einbrechen, zu entwaffnen und gefangen zu nehmen.
Haben dieselben im Auftrag des Befehlshabers gehandelt, so ist der Stat,
dem sie dienen, zur Genugthuung und Entschädigung verpflichtet, haben
sie eigenmächtig den Frieden gebrochen, so ist der neutrale Stat berechtigt,
die einzelnen Schuldigen strafrechtlich zu verfolgen.

Inwiefern die Führer der feindlichen Truppen im Auftrag ihres States han-
delten, muß der strafrechtliche Standpunkt hinter dem entscheidenden völker-
rechtlichen
zurücktreten. Dann liegt ein Friedensbruch von Stat gegen
Stat
vor. Wenn dagegen die Soldaten auf eigene Faust die Grenze gewaltsam
überschreiten und den Frieden brechen, dann kann die gewohnte Strafgerichts-
barkeit
des neutralen Stats begründet sein, indem jeder Stat berechtigt ist, alle in
seinem Gebiete verübten Verbrechen und Vergehen zu bestrafen. Zuweilen freilich
wird es der neutrale Stat auch in solchen Fällen vorziehn, die Schuldigen dem
kriegführenden State zur Bestrafung zu überliefern, als selber die Strafgerichtsbarkeit
zu üben, besonders dann, wenn die Schuldigen einem geordneten Heereskörper an-
gehören. Wenn sie aber Räuber oder vereinzelte Abenteurer sind, dann ist die An-
wendung der Strafgerichtsbarkeit am Platz.

789.

Ist die Verletzung des neutralen States lediglich aus Unkenntniß
der Grenze, nicht aus böswilliger Absicht geschehen, so ist derselbe nur ver-
anlaßt, die sofortige Beseitigung des Unrechts, Entschädigung und die er-
forderlichen Maßregeln von dem verletzenden State dafür zu verlangen,
daß in Zukunft sich nicht eine ähnliche Mißachtung der Neutralität wieder-
hole.

In manchen Grenzgebieten, zumal in Gebirgsgegenden und Wäldern, ist die
Grenze schwer zu erkennen und daher ein Ueberschreiten derselben aus Irrthum
leicht möglich und zu entschuldigen. Die Verletzung der Neutralität ist dann nicht
beabsichtigt, vielleicht nicht einmal fahrlässig, sondern zufällig; und es bedarf nur
der einfachen Wiederherstellung und Sicherung für die Zukunft.

790.

Ist die Verletzung des neutralen Gebiets oder des neutralen Rechts
als ein verschuldeter Rechts- oder Friedensbruch anzusehen, so treten die-
selben Folgen ein, wie bei andern Rechts- und Friedensbrüchen (§ 464 f.).
Nur in den schwersten Fällen ist der neutrale Stat berechtigt, sofort aus

Recht der Neutralität.
Gebiet gewaltſam einbrechen, zu entwaffnen und gefangen zu nehmen.
Haben dieſelben im Auftrag des Befehlshabers gehandelt, ſo iſt der Stat,
dem ſie dienen, zur Genugthuung und Entſchädigung verpflichtet, haben
ſie eigenmächtig den Frieden gebrochen, ſo iſt der neutrale Stat berechtigt,
die einzelnen Schuldigen ſtrafrechtlich zu verfolgen.

Inwiefern die Führer der feindlichen Truppen im Auftrag ihres States han-
delten, muß der ſtrafrechtliche Standpunkt hinter dem entſcheidenden völker-
rechtlichen
zurücktreten. Dann liegt ein Friedensbruch von Stat gegen
Stat
vor. Wenn dagegen die Soldaten auf eigene Fauſt die Grenze gewaltſam
überſchreiten und den Frieden brechen, dann kann die gewohnte Strafgerichts-
barkeit
des neutralen Stats begründet ſein, indem jeder Stat berechtigt iſt, alle in
ſeinem Gebiete verübten Verbrechen und Vergehen zu beſtrafen. Zuweilen freilich
wird es der neutrale Stat auch in ſolchen Fällen vorziehn, die Schuldigen dem
kriegführenden State zur Beſtrafung zu überliefern, als ſelber die Strafgerichtsbarkeit
zu üben, beſonders dann, wenn die Schuldigen einem geordneten Heereskörper an-
gehören. Wenn ſie aber Räuber oder vereinzelte Abenteurer ſind, dann iſt die An-
wendung der Strafgerichtsbarkeit am Platz.

789.

Iſt die Verletzung des neutralen States lediglich aus Unkenntniß
der Grenze, nicht aus böswilliger Abſicht geſchehen, ſo iſt derſelbe nur ver-
anlaßt, die ſofortige Beſeitigung des Unrechts, Entſchädigung und die er-
forderlichen Maßregeln von dem verletzenden State dafür zu verlangen,
daß in Zukunft ſich nicht eine ähnliche Mißachtung der Neutralität wieder-
hole.

In manchen Grenzgebieten, zumal in Gebirgsgegenden und Wäldern, iſt die
Grenze ſchwer zu erkennen und daher ein Ueberſchreiten derſelben aus Irrthum
leicht möglich und zu entſchuldigen. Die Verletzung der Neutralität iſt dann nicht
beabſichtigt, vielleicht nicht einmal fahrläſſig, ſondern zufällig; und es bedarf nur
der einfachen Wiederherſtellung und Sicherung für die Zukunft.

790.

Iſt die Verletzung des neutralen Gebiets oder des neutralen Rechts
als ein verſchuldeter Rechts- oder Friedensbruch anzuſehen, ſo treten die-
ſelben Folgen ein, wie bei andern Rechts- und Friedensbrüchen (§ 464 f.).
Nur in den ſchwerſten Fällen iſt der neutrale Stat berechtigt, ſofort aus

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[425/0447] Recht der Neutralität. Gebiet gewaltſam einbrechen, zu entwaffnen und gefangen zu nehmen. Haben dieſelben im Auftrag des Befehlshabers gehandelt, ſo iſt der Stat, dem ſie dienen, zur Genugthuung und Entſchädigung verpflichtet, haben ſie eigenmächtig den Frieden gebrochen, ſo iſt der neutrale Stat berechtigt, die einzelnen Schuldigen ſtrafrechtlich zu verfolgen. Inwiefern die Führer der feindlichen Truppen im Auftrag ihres States han- delten, muß der ſtrafrechtliche Standpunkt hinter dem entſcheidenden völker- rechtlichen zurücktreten. Dann liegt ein Friedensbruch von Stat gegen Stat vor. Wenn dagegen die Soldaten auf eigene Fauſt die Grenze gewaltſam überſchreiten und den Frieden brechen, dann kann die gewohnte Strafgerichts- barkeit des neutralen Stats begründet ſein, indem jeder Stat berechtigt iſt, alle in ſeinem Gebiete verübten Verbrechen und Vergehen zu beſtrafen. Zuweilen freilich wird es der neutrale Stat auch in ſolchen Fällen vorziehn, die Schuldigen dem kriegführenden State zur Beſtrafung zu überliefern, als ſelber die Strafgerichtsbarkeit zu üben, beſonders dann, wenn die Schuldigen einem geordneten Heereskörper an- gehören. Wenn ſie aber Räuber oder vereinzelte Abenteurer ſind, dann iſt die An- wendung der Strafgerichtsbarkeit am Platz. 789. Iſt die Verletzung des neutralen States lediglich aus Unkenntniß der Grenze, nicht aus böswilliger Abſicht geſchehen, ſo iſt derſelbe nur ver- anlaßt, die ſofortige Beſeitigung des Unrechts, Entſchädigung und die er- forderlichen Maßregeln von dem verletzenden State dafür zu verlangen, daß in Zukunft ſich nicht eine ähnliche Mißachtung der Neutralität wieder- hole. In manchen Grenzgebieten, zumal in Gebirgsgegenden und Wäldern, iſt die Grenze ſchwer zu erkennen und daher ein Ueberſchreiten derſelben aus Irrthum leicht möglich und zu entſchuldigen. Die Verletzung der Neutralität iſt dann nicht beabſichtigt, vielleicht nicht einmal fahrläſſig, ſondern zufällig; und es bedarf nur der einfachen Wiederherſtellung und Sicherung für die Zukunft. 790. Iſt die Verletzung des neutralen Gebiets oder des neutralen Rechts als ein verſchuldeter Rechts- oder Friedensbruch anzuſehen, ſo treten die- ſelben Folgen ein, wie bei andern Rechts- und Friedensbrüchen (§ 464 f.). Nur in den ſchwerſten Fällen iſt der neutrale Stat berechtigt, ſofort aus

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 425. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/447>, abgerufen am 22.11.2024.