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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868.

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Recht der Neutralität.
oder eine Flottenstation zu kriegerischen Zwecken. Dagegen Friedensdepeschen,
wohin auch die diplomatische Correspondenz durchweg zu rechnen ist, dür-
fen unbedenklich auf neutralen Schiffen sicher versendet werden. So z. B. wurde
das Bremer Schiff Atalante von dem englischen Richter Scott im Jahr 1808 ver-
urtheilt, weil es Kriegsdepeschen von dem französischen Gouverneur von Isle
de France an den französischen Marineminister zu befördern übernommen hatte; da-
gegen die nordamerikanische Carolina in demselben Jahr freigesprochen, weil sie
nur diplomatische Depeschen des französischen Gesanten in den Vereinigten Staten
an die französische Regierung an Bord hatte. Siehe die Fälle bei Wheaton
Int. Law. § 504. Anm. von Dana. Auch in dem Krimmkriege von 1854 wur-
den von England und Frankreich die Neutralen davor gewarnt, daß sie nicht
Kriegsdepeschen befördern, indem derartige Versuche von den Kriegsmächten nicht
geduldet würden.

804.

Was das neutrale Schiff zu eigenem Bedarf an Waffen und
Munition mit sich führt, ist nicht Contrebande.

Auch friedliche Handelsschiffe führen gewöhnlich Schiffskanonen mit, und be-
dürfen, wenn sie durch Seeräuber gefährdete Meere befahren, je nach Umständen einer
ausgiebigeren Selbstbewaffnung. Das ist unbestreitbares Recht der Neutralen und
darf daher nicht als verbotene Contrebande behandelt werden.

805.

Die Zufuhr von Gegenständen, welche auch dem friedlichen Gebrauche
zudienen, wie insbesondere von Kleidungsstücken, Geldsummen, Pferden,
Schiffsbauholz, Segeltüchern, Eisenplatten, Dampfmaschinen, Brennkohlen,
Privatschiffen u. s. f. ist in der Regel als erlaubt zu betrachten, und darf
nur ausnahmsweise als Kriegscontrebande behandelt werden, wenn ent-
weder die besonderen Verträge sie als solche bezeichnen oder wenn im ein-
zelnen Fall erweisbar ist, daß die Zufuhr einen unmittelbaren Bezug auf
die Kriegsführung hatte und zugleich die Unterstützung derselben beabsichtigt
war, wie z. B. zur Uniformirung der feindlichen Truppen, zur Lieferung
von Kriegssubsidien, zur Ausrüstung der feindlichen Cavallerie mit Pferden,
zur Erbauung von Panzerschiffen und Kriegsfahrzeugen, zum Transport
feindlicher Truppen. Die Vermuthung ist jederzeit für den friedlichen
Gebrauch und gegen die Annahme von Kriegscontrebande.

Dieses Gebiet der sogenannten relativen Kriegscontrebande ist vorzüglich

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Recht der Neutralität.
oder eine Flottenſtation zu kriegeriſchen Zwecken. Dagegen Friedensdepeſchen,
wohin auch die diplomatiſche Correſpondenz durchweg zu rechnen iſt, dür-
fen unbedenklich auf neutralen Schiffen ſicher verſendet werden. So z. B. wurde
das Bremer Schiff Atalante von dem engliſchen Richter Scott im Jahr 1808 ver-
urtheilt, weil es Kriegsdepeſchen von dem franzöſiſchen Gouverneur von Isle
de France an den franzöſiſchen Marineminiſter zu befördern übernommen hatte; da-
gegen die nordamerikaniſche Carolina in demſelben Jahr freigeſprochen, weil ſie
nur diplomatiſche Depeſchen des franzöſiſchen Geſanten in den Vereinigten Staten
an die franzöſiſche Regierung an Bord hatte. Siehe die Fälle bei Wheaton
Int. Law. § 504. Anm. von Dana. Auch in dem Krimmkriege von 1854 wur-
den von England und Frankreich die Neutralen davor gewarnt, daß ſie nicht
Kriegsdepeſchen befördern, indem derartige Verſuche von den Kriegsmächten nicht
geduldet würden.

804.

Was das neutrale Schiff zu eigenem Bedarf an Waffen und
Munition mit ſich führt, iſt nicht Contrebande.

Auch friedliche Handelsſchiffe führen gewöhnlich Schiffskanonen mit, und be-
dürfen, wenn ſie durch Seeräuber gefährdete Meere befahren, je nach Umſtänden einer
ausgiebigeren Selbſtbewaffnung. Das iſt unbeſtreitbares Recht der Neutralen und
darf daher nicht als verbotene Contrebande behandelt werden.

805.

Die Zufuhr von Gegenſtänden, welche auch dem friedlichen Gebrauche
zudienen, wie insbeſondere von Kleidungsſtücken, Geldſummen, Pferden,
Schiffsbauholz, Segeltüchern, Eiſenplatten, Dampfmaſchinen, Brennkohlen,
Privatſchiffen u. ſ. f. iſt in der Regel als erlaubt zu betrachten, und darf
nur ausnahmsweiſe als Kriegscontrebande behandelt werden, wenn ent-
weder die beſonderen Verträge ſie als ſolche bezeichnen oder wenn im ein-
zelnen Fall erweisbar iſt, daß die Zufuhr einen unmittelbaren Bezug auf
die Kriegsführung hatte und zugleich die Unterſtützung derſelben beabſichtigt
war, wie z. B. zur Uniformirung der feindlichen Truppen, zur Lieferung
von Kriegsſubſidien, zur Ausrüſtung der feindlichen Cavallerie mit Pferden,
zur Erbauung von Panzerſchiffen und Kriegsfahrzeugen, zum Transport
feindlicher Truppen. Die Vermuthung iſt jederzeit für den friedlichen
Gebrauch und gegen die Annahme von Kriegscontrebande.

Dieſes Gebiet der ſogenannten relativen Kriegscontrebande iſt vorzüglich

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[435/0457] Recht der Neutralität. oder eine Flottenſtation zu kriegeriſchen Zwecken. Dagegen Friedensdepeſchen, wohin auch die diplomatiſche Correſpondenz durchweg zu rechnen iſt, dür- fen unbedenklich auf neutralen Schiffen ſicher verſendet werden. So z. B. wurde das Bremer Schiff Atalante von dem engliſchen Richter Scott im Jahr 1808 ver- urtheilt, weil es Kriegsdepeſchen von dem franzöſiſchen Gouverneur von Isle de France an den franzöſiſchen Marineminiſter zu befördern übernommen hatte; da- gegen die nordamerikaniſche Carolina in demſelben Jahr freigeſprochen, weil ſie nur diplomatiſche Depeſchen des franzöſiſchen Geſanten in den Vereinigten Staten an die franzöſiſche Regierung an Bord hatte. Siehe die Fälle bei Wheaton Int. Law. § 504. Anm. von Dana. Auch in dem Krimmkriege von 1854 wur- den von England und Frankreich die Neutralen davor gewarnt, daß ſie nicht Kriegsdepeſchen befördern, indem derartige Verſuche von den Kriegsmächten nicht geduldet würden. 804. Was das neutrale Schiff zu eigenem Bedarf an Waffen und Munition mit ſich führt, iſt nicht Contrebande. Auch friedliche Handelsſchiffe führen gewöhnlich Schiffskanonen mit, und be- dürfen, wenn ſie durch Seeräuber gefährdete Meere befahren, je nach Umſtänden einer ausgiebigeren Selbſtbewaffnung. Das iſt unbeſtreitbares Recht der Neutralen und darf daher nicht als verbotene Contrebande behandelt werden. 805. Die Zufuhr von Gegenſtänden, welche auch dem friedlichen Gebrauche zudienen, wie insbeſondere von Kleidungsſtücken, Geldſummen, Pferden, Schiffsbauholz, Segeltüchern, Eiſenplatten, Dampfmaſchinen, Brennkohlen, Privatſchiffen u. ſ. f. iſt in der Regel als erlaubt zu betrachten, und darf nur ausnahmsweiſe als Kriegscontrebande behandelt werden, wenn ent- weder die beſonderen Verträge ſie als ſolche bezeichnen oder wenn im ein- zelnen Fall erweisbar iſt, daß die Zufuhr einen unmittelbaren Bezug auf die Kriegsführung hatte und zugleich die Unterſtützung derſelben beabſichtigt war, wie z. B. zur Uniformirung der feindlichen Truppen, zur Lieferung von Kriegsſubſidien, zur Ausrüſtung der feindlichen Cavallerie mit Pferden, zur Erbauung von Panzerſchiffen und Kriegsfahrzeugen, zum Transport feindlicher Truppen. Die Vermuthung iſt jederzeit für den friedlichen Gebrauch und gegen die Annahme von Kriegscontrebande. Dieſes Gebiet der ſogenannten relativen Kriegscontrebande iſt vorzüglich 28*

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 435. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/457>, abgerufen am 22.11.2024.