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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868.

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dem Zweifel und Streit ausgesetzt. Soweit die Verträge Näheres bestimmen,
sind dieselben anzuwenden. Abgesehen aber von Vertragsbestimmungen bleibt nur
übrig, die Frage aus der Natur der Sache zu entscheiden. Da gehen nun meines Er-
achtens die beiden extremen Meinungen zu weit. Die eine betrachtet solche für
die Kriegsführung
je nach Umständen brauchbare Gegenstände in der Regel
als Contrebande, sobald sie dem Feinde zugeführt werden. Die Neu-
tralen können solche Gegenstände, welche sowohl im Frieden als im Krieg
brauchbar
sind (res anticipis usus) zu Friedens- oder zu Kriegszwecken dem
feindlichen Lande zuführen. Ersteres ist ein reines Friedensgeschäft, letzteres
ist Kriegshülfe. Jenes muß erlaubt sein, dieses wird von der Kriegspartei mit
Recht untersagt. Es ist aber kein Grund für die letztere Auslegung zu vermuthen.
Im Gegentheil, der friedliche Handel der Neutralen ist die Regel, die Kriegshülfe
die Ausnahme. Oefter wird die entgegengesetzte Meinung verfochten, daß diese
Gegenstände niemals als Kriegscontrebande behandelt werden dürfen, sondern
immer als erlaubter Handel gelten. Diese Meinung wird von manchen Pu-
blicisten insbesondere auch damit vertheidigt, daß die Unterscheidung im einzelnen
Fall allzu schwierig und daß es gefährlich sei, das Urtheil darüber der Kriegspartei
zu überlassen. Dieser Einwand ist richtig, aber er bezieht sich nur auf die Organi-
sation der Rechtspflege und das Rechtsverfahren und kann nicht die sachliche Rechts-
frage entscheiden, ob das Contrebande sei oder nicht.

2. Wenn die Bestimmung dieser Waaren für die Kriegszwecke aus
den Umständen klar wird, und zugleich die Absicht der Kriegshülfe, dann
kann man der Kriegsmacht unmöglich zumuthen, daß sie ruhig zusehe, wie die
militärischen Kräfte des Feindes verstärkt werden, und der Neutrale
darf sich nicht beklagen, wenn nun seine beabsichtigte Unterstützung der
feindlichen Kriegsmacht nicht als ein Friedensgeschäft, sondern als unerlaubte
Kriegshülfe
behandelt wird, was sie ist. Wenn z. B. dem Feind Panzerplatten
zugeführt werden, so wirkt das ganz ähnlich, wie wenn ihm Panzerschiffe geliefert
werden. Es ist wesentlich einerlei, ob demselben Säbel, oder ob ihm Klingen und
Handgriffe besonders zugeführt werden. Kriegssubsidien wirken in vielen Fällen
stärkender für das Heer, das sie empfängt, als Pulver und Blei. Es kommt also
nur auf den Beweis an, einerseits der Kriegsbestimmung, andererseits der
Absicht der Kriegshülfe. Beides muß aus der Erwägung aller Umstände
bona fide geschlossen werden. Der neutrale und freie Handel wird hinreichend ge-
achtet, wenn man eher für als gegen denselben vermuthet und zur Verurtheilung
den Schuldbeweis fordert.

806.

Es genügt keineswegs, daß derartige Gegenstände nach den Um-
ständen für die Kriegsführung nützlich verwendet werden könnten und ver-
muthlich, wenn sie an ihre Adresse gelangten, auch verwendet würden, um
dieselben als Kriegscontrebande wegzunehmen. Es darf höchstens in diesem

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dem Zweifel und Streit ausgeſetzt. Soweit die Verträge Näheres beſtimmen,
ſind dieſelben anzuwenden. Abgeſehen aber von Vertragsbeſtimmungen bleibt nur
übrig, die Frage aus der Natur der Sache zu entſcheiden. Da gehen nun meines Er-
achtens die beiden extremen Meinungen zu weit. Die eine betrachtet ſolche für
die Kriegsführung
je nach Umſtänden brauchbare Gegenſtände in der Regel
als Contrebande, ſobald ſie dem Feinde zugeführt werden. Die Neu-
tralen können ſolche Gegenſtände, welche ſowohl im Frieden als im Krieg
brauchbar
ſind (res anticipis usus) zu Friedens- oder zu Kriegszwecken dem
feindlichen Lande zuführen. Erſteres iſt ein reines Friedensgeſchäft, letzteres
iſt Kriegshülfe. Jenes muß erlaubt ſein, dieſes wird von der Kriegspartei mit
Recht unterſagt. Es iſt aber kein Grund für die letztere Auslegung zu vermuthen.
Im Gegentheil, der friedliche Handel der Neutralen iſt die Regel, die Kriegshülfe
die Ausnahme. Oefter wird die entgegengeſetzte Meinung verfochten, daß dieſe
Gegenſtände niemals als Kriegscontrebande behandelt werden dürfen, ſondern
immer als erlaubter Handel gelten. Dieſe Meinung wird von manchen Pu-
bliciſten insbeſondere auch damit vertheidigt, daß die Unterſcheidung im einzelnen
Fall allzu ſchwierig und daß es gefährlich ſei, das Urtheil darüber der Kriegspartei
zu überlaſſen. Dieſer Einwand iſt richtig, aber er bezieht ſich nur auf die Organi-
ſation der Rechtspflege und das Rechtsverfahren und kann nicht die ſachliche Rechts-
frage entſcheiden, ob das Contrebande ſei oder nicht.

2. Wenn die Beſtimmung dieſer Waaren für die Kriegszwecke aus
den Umſtänden klar wird, und zugleich die Abſicht der Kriegshülfe, dann
kann man der Kriegsmacht unmöglich zumuthen, daß ſie ruhig zuſehe, wie die
militäriſchen Kräfte des Feindes verſtärkt werden, und der Neutrale
darf ſich nicht beklagen, wenn nun ſeine beabſichtigte Unterſtützung der
feindlichen Kriegsmacht nicht als ein Friedensgeſchäft, ſondern als unerlaubte
Kriegshülfe
behandelt wird, was ſie iſt. Wenn z. B. dem Feind Panzerplatten
zugeführt werden, ſo wirkt das ganz ähnlich, wie wenn ihm Panzerſchiffe geliefert
werden. Es iſt weſentlich einerlei, ob demſelben Säbel, oder ob ihm Klingen und
Handgriffe beſonders zugeführt werden. Kriegsſubſidien wirken in vielen Fällen
ſtärkender für das Heer, das ſie empfängt, als Pulver und Blei. Es kommt alſo
nur auf den Beweis an, einerſeits der Kriegsbeſtimmung, andererſeits der
Abſicht der Kriegshülfe. Beides muß aus der Erwägung aller Umſtände
bona fide geſchloſſen werden. Der neutrale und freie Handel wird hinreichend ge-
achtet, wenn man eher für als gegen denſelben vermuthet und zur Verurtheilung
den Schuldbeweis fordert.

806.

Es genügt keineswegs, daß derartige Gegenſtände nach den Um-
ſtänden für die Kriegsführung nützlich verwendet werden könnten und ver-
muthlich, wenn ſie an ihre Adreſſe gelangten, auch verwendet würden, um
dieſelben als Kriegscontrebande wegzunehmen. Es darf höchſtens in dieſem

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[436/0458] Neuntes Buch. dem Zweifel und Streit ausgeſetzt. Soweit die Verträge Näheres beſtimmen, ſind dieſelben anzuwenden. Abgeſehen aber von Vertragsbeſtimmungen bleibt nur übrig, die Frage aus der Natur der Sache zu entſcheiden. Da gehen nun meines Er- achtens die beiden extremen Meinungen zu weit. Die eine betrachtet ſolche für die Kriegsführung je nach Umſtänden brauchbare Gegenſtände in der Regel als Contrebande, ſobald ſie dem Feinde zugeführt werden. Die Neu- tralen können ſolche Gegenſtände, welche ſowohl im Frieden als im Krieg brauchbar ſind (res anticipis usus) zu Friedens- oder zu Kriegszwecken dem feindlichen Lande zuführen. Erſteres iſt ein reines Friedensgeſchäft, letzteres iſt Kriegshülfe. Jenes muß erlaubt ſein, dieſes wird von der Kriegspartei mit Recht unterſagt. Es iſt aber kein Grund für die letztere Auslegung zu vermuthen. Im Gegentheil, der friedliche Handel der Neutralen iſt die Regel, die Kriegshülfe die Ausnahme. Oefter wird die entgegengeſetzte Meinung verfochten, daß dieſe Gegenſtände niemals als Kriegscontrebande behandelt werden dürfen, ſondern immer als erlaubter Handel gelten. Dieſe Meinung wird von manchen Pu- bliciſten insbeſondere auch damit vertheidigt, daß die Unterſcheidung im einzelnen Fall allzu ſchwierig und daß es gefährlich ſei, das Urtheil darüber der Kriegspartei zu überlaſſen. Dieſer Einwand iſt richtig, aber er bezieht ſich nur auf die Organi- ſation der Rechtspflege und das Rechtsverfahren und kann nicht die ſachliche Rechts- frage entſcheiden, ob das Contrebande ſei oder nicht. 2. Wenn die Beſtimmung dieſer Waaren für die Kriegszwecke aus den Umſtänden klar wird, und zugleich die Abſicht der Kriegshülfe, dann kann man der Kriegsmacht unmöglich zumuthen, daß ſie ruhig zuſehe, wie die militäriſchen Kräfte des Feindes verſtärkt werden, und der Neutrale darf ſich nicht beklagen, wenn nun ſeine beabſichtigte Unterſtützung der feindlichen Kriegsmacht nicht als ein Friedensgeſchäft, ſondern als unerlaubte Kriegshülfe behandelt wird, was ſie iſt. Wenn z. B. dem Feind Panzerplatten zugeführt werden, ſo wirkt das ganz ähnlich, wie wenn ihm Panzerſchiffe geliefert werden. Es iſt weſentlich einerlei, ob demſelben Säbel, oder ob ihm Klingen und Handgriffe beſonders zugeführt werden. Kriegsſubſidien wirken in vielen Fällen ſtärkender für das Heer, das ſie empfängt, als Pulver und Blei. Es kommt alſo nur auf den Beweis an, einerſeits der Kriegsbeſtimmung, andererſeits der Abſicht der Kriegshülfe. Beides muß aus der Erwägung aller Umſtände bona fide geſchloſſen werden. Der neutrale und freie Handel wird hinreichend ge- achtet, wenn man eher für als gegen denſelben vermuthet und zur Verurtheilung den Schuldbeweis fordert. 806. Es genügt keineswegs, daß derartige Gegenſtände nach den Um- ſtänden für die Kriegsführung nützlich verwendet werden könnten und ver- muthlich, wenn ſie an ihre Adreſſe gelangten, auch verwendet würden, um dieſelben als Kriegscontrebande wegzunehmen. Es darf höchſtens in dieſem

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 436. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/458>, abgerufen am 22.11.2024.