Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868.Einleitung. über die mächtige Bewegung der Luftströme, welche unbekümmert um alleLandesgränzen ihren Weg nehmen. Auch das Meer und die öffentlichen Gewässer sind von der Natur mit einander verbunden und, wenn sie auch die Länder zuweilen trennen, so dienen sie doch zugleich, den Verkehr der verschiedenen Nationen zu erleichtern. Sie verbinden auch die Küsten und Ufer, welche sie bespülen. Da haben es aber die Staten wirklich lange versucht, ihre Alleinherrschaft möglichst weit auch über die Gewässer auszu- dehnen und die Freigebigkeit der gemeinsamen Natur ausschließlich für sich auszubeuten. Sogar über das offene Meer hin wollte die mittelalterliche Statshoheit ihr Eigenthum ausbreiten. Die Republik Genua nahm über das ligurische, Venedig über das adriatische Meer eine ausschließliche See- herrschaft in Anspruch. Die Könige von Spanien und Portugal behaup- teten, die westindischen Meere gehören ihnen allein zu, weil der Papst Alexander VI., dem diese Meere so wenig als die westindischen Länder jemals gehört hatten, ihnen dieselben geschenkt habe. Als Hugo de Groot zuerst diese sinnlose Anmaßung widerlegte und für die "Freiheit der Meere" seine Fürsprache unternahm, mußte er noch mancherlei hergebrachte Miß- bräuche schonen. Lange nachher noch und bis ins achtzehnte Jahrhundert hinein wollte England über die Meere, welche die Großbritannischen Inseln umschließen, eine ausschließliche Seehoheit behaupten. Dem langsamen aber stätigen Wachsthum der völkerrechtlichen Er- Vor wenig Jahren erst sind einige letzte Reste der älteren selbstsüch- Einleitung. über die mächtige Bewegung der Luftſtröme, welche unbekümmert um alleLandesgränzen ihren Weg nehmen. Auch das Meer und die öffentlichen Gewäſſer ſind von der Natur mit einander verbunden und, wenn ſie auch die Länder zuweilen trennen, ſo dienen ſie doch zugleich, den Verkehr der verſchiedenen Nationen zu erleichtern. Sie verbinden auch die Küſten und Ufer, welche ſie beſpülen. Da haben es aber die Staten wirklich lange verſucht, ihre Alleinherrſchaft möglichſt weit auch über die Gewäſſer auszu- dehnen und die Freigebigkeit der gemeinſamen Natur ausſchließlich für ſich auszubeuten. Sogar über das offene Meer hin wollte die mittelalterliche Statshoheit ihr Eigenthum ausbreiten. Die Republik Genua nahm über das liguriſche, Venedig über das adriatiſche Meer eine ausſchließliche See- herrſchaft in Anſpruch. Die Könige von Spanien und Portugal behaup- teten, die weſtindiſchen Meere gehören ihnen allein zu, weil der Papſt Alexander VI., dem dieſe Meere ſo wenig als die weſtindiſchen Länder jemals gehört hatten, ihnen dieſelben geſchenkt habe. Als Hugo de Groot zuerſt dieſe ſinnloſe Anmaßung widerlegte und für die „Freiheit der Meere“ ſeine Fürſprache unternahm, mußte er noch mancherlei hergebrachte Miß- bräuche ſchonen. Lange nachher noch und bis ins achtzehnte Jahrhundert hinein wollte England über die Meere, welche die Großbritanniſchen Inſeln umſchließen, eine ausſchließliche Seehoheit behaupten. Dem langſamen aber ſtätigen Wachsthum der völkerrechtlichen Er- Vor wenig Jahren erſt ſind einige letzte Reſte der älteren ſelbſtſüch- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0048" n="26"/><fw place="top" type="header">Einleitung.</fw><lb/> über die mächtige Bewegung der Luftſtröme, welche unbekümmert um alle<lb/> Landesgränzen ihren Weg nehmen. Auch das Meer und die öffentlichen<lb/> Gewäſſer ſind von der Natur mit einander verbunden und, wenn ſie auch<lb/> die Länder zuweilen trennen, ſo dienen ſie doch zugleich, den Verkehr der<lb/> verſchiedenen Nationen zu erleichtern. 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Einleitung.
über die mächtige Bewegung der Luftſtröme, welche unbekümmert um alle
Landesgränzen ihren Weg nehmen. Auch das Meer und die öffentlichen
Gewäſſer ſind von der Natur mit einander verbunden und, wenn ſie auch
die Länder zuweilen trennen, ſo dienen ſie doch zugleich, den Verkehr der
verſchiedenen Nationen zu erleichtern. Sie verbinden auch die Küſten und
Ufer, welche ſie beſpülen. Da haben es aber die Staten wirklich lange
verſucht, ihre Alleinherrſchaft möglichſt weit auch über die Gewäſſer auszu-
dehnen und die Freigebigkeit der gemeinſamen Natur ausſchließlich für ſich
auszubeuten. Sogar über das offene Meer hin wollte die mittelalterliche
Statshoheit ihr Eigenthum ausbreiten. Die Republik Genua nahm über
das liguriſche, Venedig über das adriatiſche Meer eine ausſchließliche See-
herrſchaft in Anſpruch. Die Könige von Spanien und Portugal behaup-
teten, die weſtindiſchen Meere gehören ihnen allein zu, weil der Papſt
Alexander VI., dem dieſe Meere ſo wenig als die weſtindiſchen Länder
jemals gehört hatten, ihnen dieſelben geſchenkt habe. Als Hugo de Groot
zuerſt dieſe ſinnloſe Anmaßung widerlegte und für die „Freiheit der Meere“
ſeine Fürſprache unternahm, mußte er noch mancherlei hergebrachte Miß-
bräuche ſchonen. Lange nachher noch und bis ins achtzehnte Jahrhundert
hinein wollte England über die Meere, welche die Großbritanniſchen Inſeln
umſchließen, eine ausſchließliche Seehoheit behaupten.
Dem langſamen aber ſtätigen Wachsthum der völkerrechtlichen Er-
kenntniß haben endlich alle dieſe anmaßenden Uebergriffe weichen müſſen.
In dem heutigen Rechtsbewußtſein der civiliſirten Welt haben die beiden
wichtigen Sätze feſte Wurzeln:
Kein Stat hat eine beſondere Seehoheit über die
offene See. Die unter einander verbundenen Meere
ſind der freien Schiffahrt aller Nationen offen.
Vor wenig Jahren erſt ſind einige letzte Reſte der älteren ſelbſtſüch-
tigen Beſchränkung und Ausbeutung weggeräumt worden. Das Marmor-
meer, obwohl es von den Türkiſchen Küſten umſchloſſen iſt und ſeine enge
Einfahrt leicht von den Dardanellenſchlöſſern beherrſcht werden kann, und
das Schwarze Meer, welches Rußland für ſich in Beſchlag zu nehmen
bemüht war, ſind durch die Friedensſchlüſſe von Adrianopel (1829) und
Paris (1856) der freien Schiffahrt aller Nationen geöffnet worden. Noch
im Jahre 1841 wurde der Sundzoll, den Dänemark von den Seefahrern
zwiſchen der Nordſee und der Oſtſee ſeit Jahrhunderten erhob, als her-
kömmliches und in vielen Statsverträgen beſtätigtes Recht von den meiſten
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