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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868.

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Einleitung.
sächlich das Verdienst des Preußischen Gesandten, Wilhelms von
Humboldt
, diesen Fortschritt der völkerrechtlichen Verkehrsgemeinschaft
anzutragen. Die Wiener Congreßacte von 1815 (Art. 108 ff.) verkün-
dete sodann die Freiheit der Schiffahrt auf allen schiffbaren Flüssen, welche
zwei oder mehrere Gebiete durchströmen, und wendete diesen Grundsatz
ausdrücklich auch auf die schiffbaren Nebenflüsse des Rheins an, ferner auf
die Schelde, deren Mündungen lange Zeit durch die Holländer für die
Belgischen Schiffe gesperrt waren, die Maas, die Elbe, die Oder, die
Weser, die Weichsel und den Po. Von da an mußten allmählig die
mancherlei aus dem Mittelalter überlieferten Flußzölle der wachsenden
Freiheit weichen und sowohl die Uferstaaten als die Seemächte hatten nun
ein festes Princip gewonnen, von welchem aus sie alle herkömmlichen Be-
schwerden und Gebühren bekämpften, durch welche der Schiffahrtsverkehr
belastet und gehemmt war. Nur solche Gebühren blieben gerechtfertigt,
welche als Gegenleistung erschienen für nothwendige oder nützliche Dienste.
Später erst nahmen die Donaustaten das neue Princip an. Aber endlich
wurde durch den Pariser Frieden von 1856 auch die Donau den Schiffen
aller Nationen geöffnet.

Die Logik des Gedankens nöthigt uns, dieselbe Freiheit der Schiff-
fahrt auch bezüglich der Flüsse zu fordern, welche nur durch Ein Stats-
gebiet fließen, aber, indem sie ins Meer münden, von Natur dem Welt-
verkehr dienen. Diese Forderung ist aber zur Zeit noch nicht allgemein
anerkannt. Mancher Stat verweigert heute noch fremden Schiffen die
Benutzung seiner Eigenflüsse, während er für seine Schiffe die freie Schif-
fahrt auf Flüssen fordert, deren Wasser nirgends seine Ufer bespült, die
durch mehrere fremde Statsgebiete fließen. Das ist ein auffallender und
grober Widerspruch. Weshalb sollte Ein Stat mehr Recht haben an
seinem Eigenflusse, als die sämmtlichen Uferstaaten zusammen an ihrem
Gemeinflusse? Wenn diese genöthigt sind, ihre Flüsse dem Weltverkehr zu
öffnen, warum sollte jener seine Flüsse gegen den Welthandel absperren
dürfen? Wie sollten die fremden Schiffe, welche völkerrechtlich befugt sind,
einen Gemeinfluß zu befahren, diese Befugniß verlieren, wenn in Folge
von Gebietsabtretungen, Ein Stat in den Besitz des ganzen Flusses ge-
langt? Sollte z. B. der Po der Schiffahrt offen stehen, so lange er durch
mehrere Statsgebiete fließt, und abgesperrt werden können, wenn er ganz
und gar in den Besitz des Königreichs Italien kommt? Der Mississippi war
im vorigen Jahrhundert noch ein Gemeinstrom, an dem auch England und

Einleitung.
ſächlich das Verdienſt des Preußiſchen Geſandten, Wilhelms von
Humboldt
, dieſen Fortſchritt der völkerrechtlichen Verkehrsgemeinſchaft
anzutragen. Die Wiener Congreßacte von 1815 (Art. 108 ff.) verkün-
dete ſodann die Freiheit der Schiffahrt auf allen ſchiffbaren Flüſſen, welche
zwei oder mehrere Gebiete durchſtrömen, und wendete dieſen Grundſatz
ausdrücklich auch auf die ſchiffbaren Nebenflüſſe des Rheins an, ferner auf
die Schelde, deren Mündungen lange Zeit durch die Holländer für die
Belgiſchen Schiffe geſperrt waren, die Maas, die Elbe, die Oder, die
Weſer, die Weichſel und den Po. Von da an mußten allmählig die
mancherlei aus dem Mittelalter überlieferten Flußzölle der wachſenden
Freiheit weichen und ſowohl die Uferſtaaten als die Seemächte hatten nun
ein feſtes Princip gewonnen, von welchem aus ſie alle herkömmlichen Be-
ſchwerden und Gebühren bekämpften, durch welche der Schiffahrtsverkehr
belaſtet und gehemmt war. Nur ſolche Gebühren blieben gerechtfertigt,
welche als Gegenleiſtung erſchienen für nothwendige oder nützliche Dienſte.
Später erſt nahmen die Donauſtaten das neue Princip an. Aber endlich
wurde durch den Pariſer Frieden von 1856 auch die Donau den Schiffen
aller Nationen geöffnet.

Die Logik des Gedankens nöthigt uns, dieſelbe Freiheit der Schiff-
fahrt auch bezüglich der Flüſſe zu fordern, welche nur durch Ein Stats-
gebiet fließen, aber, indem ſie ins Meer münden, von Natur dem Welt-
verkehr dienen. Dieſe Forderung iſt aber zur Zeit noch nicht allgemein
anerkannt. Mancher Stat verweigert heute noch fremden Schiffen die
Benutzung ſeiner Eigenflüſſe, während er für ſeine Schiffe die freie Schif-
fahrt auf Flüſſen fordert, deren Waſſer nirgends ſeine Ufer beſpült, die
durch mehrere fremde Statsgebiete fließen. Das iſt ein auffallender und
grober Widerſpruch. Weshalb ſollte Ein Stat mehr Recht haben an
ſeinem Eigenfluſſe, als die ſämmtlichen Uferſtaaten zuſammen an ihrem
Gemeinfluſſe? Wenn dieſe genöthigt ſind, ihre Flüſſe dem Weltverkehr zu
öffnen, warum ſollte jener ſeine Flüſſe gegen den Welthandel abſperren
dürfen? Wie ſollten die fremden Schiffe, welche völkerrechtlich befugt ſind,
einen Gemeinfluß zu befahren, dieſe Befugniß verlieren, wenn in Folge
von Gebietsabtretungen, Ein Stat in den Beſitz des ganzen Fluſſes ge-
langt? Sollte z. B. der Po der Schiffahrt offen ſtehen, ſo lange er durch
mehrere Statsgebiete fließt, und abgeſperrt werden können, wenn er ganz
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im vorigen Jahrhundert noch ein Gemeinſtrom, an dem auch England und

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[28/0050] Einleitung. ſächlich das Verdienſt des Preußiſchen Geſandten, Wilhelms von Humboldt, dieſen Fortſchritt der völkerrechtlichen Verkehrsgemeinſchaft anzutragen. Die Wiener Congreßacte von 1815 (Art. 108 ff.) verkün- dete ſodann die Freiheit der Schiffahrt auf allen ſchiffbaren Flüſſen, welche zwei oder mehrere Gebiete durchſtrömen, und wendete dieſen Grundſatz ausdrücklich auch auf die ſchiffbaren Nebenflüſſe des Rheins an, ferner auf die Schelde, deren Mündungen lange Zeit durch die Holländer für die Belgiſchen Schiffe geſperrt waren, die Maas, die Elbe, die Oder, die Weſer, die Weichſel und den Po. Von da an mußten allmählig die mancherlei aus dem Mittelalter überlieferten Flußzölle der wachſenden Freiheit weichen und ſowohl die Uferſtaaten als die Seemächte hatten nun ein feſtes Princip gewonnen, von welchem aus ſie alle herkömmlichen Be- ſchwerden und Gebühren bekämpften, durch welche der Schiffahrtsverkehr belaſtet und gehemmt war. Nur ſolche Gebühren blieben gerechtfertigt, welche als Gegenleiſtung erſchienen für nothwendige oder nützliche Dienſte. Später erſt nahmen die Donauſtaten das neue Princip an. Aber endlich wurde durch den Pariſer Frieden von 1856 auch die Donau den Schiffen aller Nationen geöffnet. Die Logik des Gedankens nöthigt uns, dieſelbe Freiheit der Schiff- fahrt auch bezüglich der Flüſſe zu fordern, welche nur durch Ein Stats- gebiet fließen, aber, indem ſie ins Meer münden, von Natur dem Welt- verkehr dienen. Dieſe Forderung iſt aber zur Zeit noch nicht allgemein anerkannt. Mancher Stat verweigert heute noch fremden Schiffen die Benutzung ſeiner Eigenflüſſe, während er für ſeine Schiffe die freie Schif- fahrt auf Flüſſen fordert, deren Waſſer nirgends ſeine Ufer beſpült, die durch mehrere fremde Statsgebiete fließen. Das iſt ein auffallender und grober Widerſpruch. Weshalb ſollte Ein Stat mehr Recht haben an ſeinem Eigenfluſſe, als die ſämmtlichen Uferſtaaten zuſammen an ihrem Gemeinfluſſe? Wenn dieſe genöthigt ſind, ihre Flüſſe dem Weltverkehr zu öffnen, warum ſollte jener ſeine Flüſſe gegen den Welthandel abſperren dürfen? Wie ſollten die fremden Schiffe, welche völkerrechtlich befugt ſind, einen Gemeinfluß zu befahren, dieſe Befugniß verlieren, wenn in Folge von Gebietsabtretungen, Ein Stat in den Beſitz des ganzen Fluſſes ge- langt? Sollte z. B. der Po der Schiffahrt offen ſtehen, ſo lange er durch mehrere Statsgebiete fließt, und abgeſperrt werden können, wenn er ganz und gar in den Beſitz des Königreichs Italien kommt? Der Miſſiſſippi war im vorigen Jahrhundert noch ein Gemeinſtrom, an dem auch England und

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/50>, abgerufen am 27.04.2024.