lichen Congresse gelingen, wenigstens für gewisse Streitfragen die Pflicht des schiedsrichterlichen Verfahrens auszusprechen und dieses zugleich in seinen Grundzügen zu ordnen.
Es giebt Streitigkeiten, für welche die letzte Rechtshülfe der Krieg vernünftiger Weise unmöglich ist. Dahin gehören durchweg alle Ent- schädigungs- und alle Etikette- und Rangfragen. Der Werth des Streites steht in solchen Fällen in einem allzu großen Mißverhältnisse zu den noth- wendigen Kriegskosten und zu den unvermeidlichen Kriegsübeln, als daß ein Stat, der bei gesunden Sinnen ist, sich entschließen möchte, zu diesem Mittel zu greifen. Für derartige Fälle sollte immer ein friedliches Schieds- gericht angerufen werden können; sonst bleiben sie unerledigt und verbittern die Stimmung auf die Dauer. Freilich ist es nicht leicht, geeignete Richter zu finden. Wählt man eine neutrale große Macht, so ist man doch nicht sicher, daß dieselbe auch ihre eigenen politischen Interessen und Neigungen bei dem Schiedsspruch in die Wage lege. Man ist auch nicht sicher, daß der gewählte Fürst, auch wenn er kein eigenes Interesse hat, geeignete Berather beiziehe; die zugezogenen aber bleiben oft verborgen und daher unverantwortlich. Den ordentlichen Gerichtshöfen, an die man sich wenden könnte, fehlt meistens die völkerrechtliche Bildung und die freie statsmännische Praxis. Professor Lieber hat neulich in dem englisch-nordamerikanischen Streit über die Frage, ob England für Schaden einzustehen habe, welcher von südstatlichen in England ausgerüsteten Kreuzern verübt worden, den Vorschlag gemacht, das Urtheil einer der angesehensten Juristenfacultäten anzuvertrauen, deren Mitglieder doch ihre wissenschaftliche Ehre einzusetzen haben. Vielleicht könnte zum voraus auf Vorschläge von Justizministern und Juristenfacultäten eine Geschwornenliste von völkerrechtlich gebildeten Männern gebildet werden, aus der im einzelnen Fall -- etwa unter der formellen Leitung eines neutralen Statshaupts (Fürsten oder Präsidenten) als Richters, die Urtheiler bezeichnet würden.
Man sieht, auf diesem Gebiete sucht man noch tastend nach fried- lichen Rechtsmitteln.
Kriegsrecht.
Recht gegen die Feinde. Die Staten sind Feinde, nicht die Privaten.
Seine herrlichsten Siege hat der humane Geist des modernen Völker- rechts gerade da erfochten, wo dem Rechte gewöhnlich die geringste Macht
Einleitung.
lichen Congreſſe gelingen, wenigſtens für gewiſſe Streitfragen die Pflicht des ſchiedsrichterlichen Verfahrens auszuſprechen und dieſes zugleich in ſeinen Grundzügen zu ordnen.
Es giebt Streitigkeiten, für welche die letzte Rechtshülfe der Krieg vernünftiger Weiſe unmöglich iſt. Dahin gehören durchweg alle Ent- ſchädigungs- und alle Etikette- und Rangfragen. Der Werth des Streites ſteht in ſolchen Fällen in einem allzu großen Mißverhältniſſe zu den noth- wendigen Kriegskoſten und zu den unvermeidlichen Kriegsübeln, als daß ein Stat, der bei geſunden Sinnen iſt, ſich entſchließen möchte, zu dieſem Mittel zu greifen. Für derartige Fälle ſollte immer ein friedliches Schieds- gericht angerufen werden können; ſonſt bleiben ſie unerledigt und verbittern die Stimmung auf die Dauer. Freilich iſt es nicht leicht, geeignete Richter zu finden. Wählt man eine neutrale große Macht, ſo iſt man doch nicht ſicher, daß dieſelbe auch ihre eigenen politiſchen Intereſſen und Neigungen bei dem Schiedsſpruch in die Wage lege. Man iſt auch nicht ſicher, daß der gewählte Fürſt, auch wenn er kein eigenes Intereſſe hat, geeignete Berather beiziehe; die zugezogenen aber bleiben oft verborgen und daher unverantwortlich. Den ordentlichen Gerichtshöfen, an die man ſich wenden könnte, fehlt meiſtens die völkerrechtliche Bildung und die freie ſtatsmänniſche Praxis. Profeſſor Lieber hat neulich in dem engliſch-nordamerikaniſchen Streit über die Frage, ob England für Schaden einzuſtehen habe, welcher von ſüdſtatlichen in England ausgerüſteten Kreuzern verübt worden, den Vorſchlag gemacht, das Urtheil einer der angeſehenſten Juriſtenfacultäten anzuvertrauen, deren Mitglieder doch ihre wiſſenſchaftliche Ehre einzuſetzen haben. Vielleicht könnte zum voraus auf Vorſchläge von Juſtizminiſtern und Juriſtenfacultäten eine Geſchwornenliſte von völkerrechtlich gebildeten Männern gebildet werden, aus der im einzelnen Fall — etwa unter der formellen Leitung eines neutralen Statshaupts (Fürſten oder Präſidenten) als Richters, die Urtheiler bezeichnet würden.
Man ſieht, auf dieſem Gebiete ſucht man noch taſtend nach fried- lichen Rechtsmitteln.
Kriegsrecht.
Recht gegen die Feinde. Die Staten ſind Feinde, nicht die Privaten.
Seine herrlichſten Siege hat der humane Geiſt des modernen Völker- rechts gerade da erfochten, wo dem Rechte gewöhnlich die geringſte Macht
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Einleitung.
lichen Congreſſe gelingen, wenigſtens für gewiſſe Streitfragen die Pflicht
des ſchiedsrichterlichen Verfahrens auszuſprechen und dieſes zugleich in ſeinen
Grundzügen zu ordnen.
Es giebt Streitigkeiten, für welche die letzte Rechtshülfe der Krieg
vernünftiger Weiſe unmöglich iſt. Dahin gehören durchweg alle Ent-
ſchädigungs- und alle Etikette- und Rangfragen. Der Werth des Streites
ſteht in ſolchen Fällen in einem allzu großen Mißverhältniſſe zu den noth-
wendigen Kriegskoſten und zu den unvermeidlichen Kriegsübeln, als daß
ein Stat, der bei geſunden Sinnen iſt, ſich entſchließen möchte, zu dieſem
Mittel zu greifen. Für derartige Fälle ſollte immer ein friedliches Schieds-
gericht angerufen werden können; ſonſt bleiben ſie unerledigt und verbittern
die Stimmung auf die Dauer. Freilich iſt es nicht leicht, geeignete Richter
zu finden. Wählt man eine neutrale große Macht, ſo iſt man doch nicht
ſicher, daß dieſelbe auch ihre eigenen politiſchen Intereſſen und Neigungen
bei dem Schiedsſpruch in die Wage lege. Man iſt auch nicht ſicher, daß
der gewählte Fürſt, auch wenn er kein eigenes Intereſſe hat, geeignete
Berather beiziehe; die zugezogenen aber bleiben oft verborgen und daher
unverantwortlich. Den ordentlichen Gerichtshöfen, an die man ſich wenden
könnte, fehlt meiſtens die völkerrechtliche Bildung und die freie ſtatsmänniſche
Praxis. Profeſſor Lieber hat neulich in dem engliſch-nordamerikaniſchen
Streit über die Frage, ob England für Schaden einzuſtehen habe, welcher
von ſüdſtatlichen in England ausgerüſteten Kreuzern verübt worden, den
Vorſchlag gemacht, das Urtheil einer der angeſehenſten Juriſtenfacultäten
anzuvertrauen, deren Mitglieder doch ihre wiſſenſchaftliche Ehre einzuſetzen
haben. Vielleicht könnte zum voraus auf Vorſchläge von Juſtizminiſtern
und Juriſtenfacultäten eine Geſchwornenliſte von völkerrechtlich gebildeten
Männern gebildet werden, aus der im einzelnen Fall — etwa unter der
formellen Leitung eines neutralen Statshaupts (Fürſten oder Präſidenten)
als Richters, die Urtheiler bezeichnet würden.
Man ſieht, auf dieſem Gebiete ſucht man noch taſtend nach fried-
lichen Rechtsmitteln.
Kriegsrecht.
Recht gegen die Feinde.
Die Staten ſind Feinde, nicht die Privaten.
Seine herrlichſten Siege hat der humane Geiſt des modernen Völker-
rechts gerade da erfochten, wo dem Rechte gewöhnlich die geringſte Macht
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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/52>, abgerufen am 24.11.2024.
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