nicht rechten, wenn er das Leben seines Feindes angreift. Die hartnäckigste Vertheidigung kann dazu dienen, dem übermächtigen Feinde Achtung abzu- nöthigen und bessere Friedensbedingungen zu erzielen. Zur Strafe darf der Sieger nur die tödten, welche ein strafbares Verbrechen begangen haben, z. B. die Seeräuber, die Spione oder Marodeurs. Aber diese Art der Tödtung setzt ein strafgerichtliches Verfahren voraus, wenn auch viel- leicht das summarische des Standrechts. Das ist nicht mehr Kampfes- recht, sondern Strafrecht.
Auch das Recht, die Angehörigen des feindlichen States, vorzüglich die bei der Kriegsführung Betheiligten zu Kriegsgefangenen zu machen, ist durch den Zweck des Kriegs begränzt und darf nur als ein Mittel zum endlichen Frieden benutzt werden. Die Kriegsgefangenschaft der neueren Zeit ist nicht mehr, wie die antike, eine zeitige Sclaverei. Die Grundsätze, welche Preußen und die Vereinigten Staten in einem Vertrag von 1785 anerkannt haben, sind nach und nach allgemeines Recht ge- worden. Die Kriegsgefangenen dürfen nicht als Verbrecher, nicht als Züchtlinge behandelt werden. Sie werden nicht zur Strafe, sondern der Sicherheit wegen und um den Feind eher zum Frieden zu nöthigen, in ihrer Freiheit beschränkt und verwahrt. Sie dürfen daher nicht miß- handelt und gequält, noch zu Arbeiten angehalten werden, welche ihrer Lebensstellung nicht angemessen sind, auch dann nicht, wenn man von ihnen fordern kann, daß sie ihren Lebensunterhalt mit ihrer Arbeit ver- dienen. Sogar ihre Bewegung und ihre Beschäftigung sind nicht mehr zu beschränken, als es das Interesse der Sicherheit fordert. Die heutige Sitte verlangt sogar, daß die kriegsgefangenen Officiere auf ihr Ehrenwort in relativer Freiheit gelassen werden. Nur wenn sie dieselbe mißbrauchen zu statsfeindlichen Zwecken oder Fluchtversuche machen, sind sie strenger zu be- wachen. So lange nicht die Sicherheit und die gute Ordnung darunter leiden, sind auch den Kriegsgefangenen unbedenklich diejenigen Genüsse zu verstatten, für welche sie auf eigene Kosten sorgen oder die ihnen von ihren Landsleuten und Freunden ermöglicht werden.
Mit edler Sorge nimmt sich das heutige Völkerrecht auch der ver- wundeten Feinde an. Die Beschlüsse des internationalen Congresses zu Genf im August 1864, welcher auf Einladung der Schweiz von einer großen Anzahl von Staten beschickt wurde, erkennen den Rechtsgrundsatz an, daß die ärztliche Sorge, welche den eigenen Verwundeten zu Theil wird, auch auf die verwundeten Feinde in wesentlich gleicher Weise aus-
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Einleitung.
nicht rechten, wenn er das Leben ſeines Feindes angreift. Die hartnäckigſte Vertheidigung kann dazu dienen, dem übermächtigen Feinde Achtung abzu- nöthigen und beſſere Friedensbedingungen zu erzielen. Zur Strafe darf der Sieger nur die tödten, welche ein ſtrafbares Verbrechen begangen haben, z. B. die Seeräuber, die Spione oder Marodeurs. Aber dieſe Art der Tödtung ſetzt ein ſtrafgerichtliches Verfahren voraus, wenn auch viel- leicht das ſummariſche des Standrechts. Das iſt nicht mehr Kampfes- recht, ſondern Strafrecht.
Auch das Recht, die Angehörigen des feindlichen States, vorzüglich die bei der Kriegsführung Betheiligten zu Kriegsgefangenen zu machen, iſt durch den Zweck des Kriegs begränzt und darf nur als ein Mittel zum endlichen Frieden benutzt werden. Die Kriegsgefangenſchaft der neueren Zeit iſt nicht mehr, wie die antike, eine zeitige Sclaverei. Die Grundſätze, welche Preußen und die Vereinigten Staten in einem Vertrag von 1785 anerkannt haben, ſind nach und nach allgemeines Recht ge- worden. Die Kriegsgefangenen dürfen nicht als Verbrecher, nicht als Züchtlinge behandelt werden. Sie werden nicht zur Strafe, ſondern der Sicherheit wegen und um den Feind eher zum Frieden zu nöthigen, in ihrer Freiheit beſchränkt und verwahrt. Sie dürfen daher nicht miß- handelt und gequält, noch zu Arbeiten angehalten werden, welche ihrer Lebensſtellung nicht angemeſſen ſind, auch dann nicht, wenn man von ihnen fordern kann, daß ſie ihren Lebensunterhalt mit ihrer Arbeit ver- dienen. Sogar ihre Bewegung und ihre Beſchäftigung ſind nicht mehr zu beſchränken, als es das Intereſſe der Sicherheit fordert. Die heutige Sitte verlangt ſogar, daß die kriegsgefangenen Officiere auf ihr Ehrenwort in relativer Freiheit gelaſſen werden. Nur wenn ſie dieſelbe mißbrauchen zu ſtatsfeindlichen Zwecken oder Fluchtverſuche machen, ſind ſie ſtrenger zu be- wachen. So lange nicht die Sicherheit und die gute Ordnung darunter leiden, ſind auch den Kriegsgefangenen unbedenklich diejenigen Genüſſe zu verſtatten, für welche ſie auf eigene Koſten ſorgen oder die ihnen von ihren Landsleuten und Freunden ermöglicht werden.
Mit edler Sorge nimmt ſich das heutige Völkerrecht auch der ver- wundeten Feinde an. Die Beſchlüſſe des internationalen Congreſſes zu Genf im Auguſt 1864, welcher auf Einladung der Schweiz von einer großen Anzahl von Staten beſchickt wurde, erkennen den Rechtsgrundſatz an, daß die ärztliche Sorge, welche den eigenen Verwundeten zu Theil wird, auch auf die verwundeten Feinde in weſentlich gleicher Weiſe aus-
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Einleitung.
nicht rechten, wenn er das Leben ſeines Feindes angreift. Die hartnäckigſte
Vertheidigung kann dazu dienen, dem übermächtigen Feinde Achtung abzu-
nöthigen und beſſere Friedensbedingungen zu erzielen. Zur Strafe darf
der Sieger nur die tödten, welche ein ſtrafbares Verbrechen begangen
haben, z. B. die Seeräuber, die Spione oder Marodeurs. Aber dieſe Art
der Tödtung ſetzt ein ſtrafgerichtliches Verfahren voraus, wenn auch viel-
leicht das ſummariſche des Standrechts. Das iſt nicht mehr Kampfes-
recht, ſondern Strafrecht.
Auch das Recht, die Angehörigen des feindlichen States, vorzüglich
die bei der Kriegsführung Betheiligten zu Kriegsgefangenen zu machen,
iſt durch den Zweck des Kriegs begränzt und darf nur als ein Mittel
zum endlichen Frieden benutzt werden. Die Kriegsgefangenſchaft der
neueren Zeit iſt nicht mehr, wie die antike, eine zeitige Sclaverei. Die
Grundſätze, welche Preußen und die Vereinigten Staten in einem Vertrag
von 1785 anerkannt haben, ſind nach und nach allgemeines Recht ge-
worden. Die Kriegsgefangenen dürfen nicht als Verbrecher, nicht als
Züchtlinge behandelt werden. Sie werden nicht zur Strafe, ſondern der
Sicherheit wegen und um den Feind eher zum Frieden zu nöthigen, in
ihrer Freiheit beſchränkt und verwahrt. Sie dürfen daher nicht miß-
handelt und gequält, noch zu Arbeiten angehalten werden, welche ihrer
Lebensſtellung nicht angemeſſen ſind, auch dann nicht, wenn man von
ihnen fordern kann, daß ſie ihren Lebensunterhalt mit ihrer Arbeit ver-
dienen. Sogar ihre Bewegung und ihre Beſchäftigung ſind nicht mehr zu
beſchränken, als es das Intereſſe der Sicherheit fordert. Die heutige Sitte
verlangt ſogar, daß die kriegsgefangenen Officiere auf ihr Ehrenwort in
relativer Freiheit gelaſſen werden. Nur wenn ſie dieſelbe mißbrauchen zu
ſtatsfeindlichen Zwecken oder Fluchtverſuche machen, ſind ſie ſtrenger zu be-
wachen. So lange nicht die Sicherheit und die gute Ordnung darunter
leiden, ſind auch den Kriegsgefangenen unbedenklich diejenigen Genüſſe zu
verſtatten, für welche ſie auf eigene Koſten ſorgen oder die ihnen von
ihren Landsleuten und Freunden ermöglicht werden.
Mit edler Sorge nimmt ſich das heutige Völkerrecht auch der ver-
wundeten Feinde an. Die Beſchlüſſe des internationalen Congreſſes zu
Genf im Auguſt 1864, welcher auf Einladung der Schweiz von einer
großen Anzahl von Staten beſchickt wurde, erkennen den Rechtsgrundſatz
an, daß die ärztliche Sorge, welche den eigenen Verwundeten zu Theil
wird, auch auf die verwundeten Feinde in weſentlich gleicher Weiſe aus-
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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/57>, abgerufen am 21.11.2024.
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