gedehnt werden solle. So ward das christliche Princip der Feindesliebe in die bindende Form des Menschen- und Völkerrechts übersetzt.
Feindliches Vermögen im Landkriege.
Nicht minder groß sind die Fortschritte, welche das neuere Völkerrecht in der Anerkennung und dem Schutze des feindlichen Vermögens gemacht hat. Freilich besteht hier noch zwischen Land- und Seekrieg ein be- deutender Unterschied. In jenem ist die alte Barbarei früher und voll- ständiger überwunden worden, als in diesem.
Die antiken Völker, welche den Feind als rechtlos ansahen, betrach- teten auch das Vermögen aller derer, die sie Feinde nannten, als einen Gegenstand freier Besitz- und Wegnahme. Das Grundeigenthum der Feinde verfiel dem siegreichen Stat, ihre Habe ward von den Truppen erbeutet und dem Feldherrn überliefert, welcher über die Vertheilung frei verfügte. Keine Rechtsvorschrift hinderte das Heer, die Häuser der Feinde abzubrennen und ihre Pflanzungen zu verwüsten. Die Sitte war freilich oft mensch- licher als das Recht und die Politik schonte oft, wo das Recht Zerstörung und Raub gestattete. Aber in vielen Fällen zeigte sich auch die wilde Rohheit eines barbarischen Kriegsrechts in ihrer scheußlichen Gestalt, ohne Maß und ohne Scham.
Nicht viel anders war es im Mittelalter. Die damaligen Fehden waren weniger blutig als die antiken Schlachten, aber um so verderblicher für das Eigenthum und den Wohlstand der betroffenen Gegenden. Das Grundeigenthum blieb zwar meistens unverändert, aber die Dörfer wurden niedergebrannt, die Burgen gebrochen, die Bäume umgehauen, das Vieh weggeführt, die Habe der friedlichen Leute als gute Beute geraubt.
Auch hier bewährt jener Grundsatz des heutigen Rechts, daß der Krieg gegen den Stat und nicht gegen die Privaten geführt werde, seine heilsame Wirkung.
Wir unterscheiden nun zwischen öffentlichem Vermögen und Privatgut. Das öffentliche Vermögen, welches dem feindlichen State gehört, darf im Kriege angegriffen und von dem Sieger weggenommen werden. Voraus bemächtigt sich die Kriegsgewalt aller der Sachen des Feindes, welche Bezug auf die Kriegsführung selber haben, der Waffen, der öffentlichen Magazine und Vorräthe, der Kriegscasse, denn voraus ist die Kriegsgewalt berechtigt, dem Feinde die Mittel zu entwinden, mit denen derselbe Krieg führt und Widerstand leistet. Ferner ergreift sie, indem sie
Einleitung.
gedehnt werden ſolle. So ward das chriſtliche Princip der Feindesliebe in die bindende Form des Menſchen- und Völkerrechts überſetzt.
Feindliches Vermögen im Landkriege.
Nicht minder groß ſind die Fortſchritte, welche das neuere Völkerrecht in der Anerkennung und dem Schutze des feindlichen Vermögens gemacht hat. Freilich beſteht hier noch zwiſchen Land- und Seekrieg ein be- deutender Unterſchied. In jenem iſt die alte Barbarei früher und voll- ſtändiger überwunden worden, als in dieſem.
Die antiken Völker, welche den Feind als rechtlos anſahen, betrach- teten auch das Vermögen aller derer, die ſie Feinde nannten, als einen Gegenſtand freier Beſitz- und Wegnahme. Das Grundeigenthum der Feinde verfiel dem ſiegreichen Stat, ihre Habe ward von den Truppen erbeutet und dem Feldherrn überliefert, welcher über die Vertheilung frei verfügte. Keine Rechtsvorſchrift hinderte das Heer, die Häuſer der Feinde abzubrennen und ihre Pflanzungen zu verwüſten. Die Sitte war freilich oft menſch- licher als das Recht und die Politik ſchonte oft, wo das Recht Zerſtörung und Raub geſtattete. Aber in vielen Fällen zeigte ſich auch die wilde Rohheit eines barbariſchen Kriegsrechts in ihrer ſcheußlichen Geſtalt, ohne Maß und ohne Scham.
Nicht viel anders war es im Mittelalter. Die damaligen Fehden waren weniger blutig als die antiken Schlachten, aber um ſo verderblicher für das Eigenthum und den Wohlſtand der betroffenen Gegenden. Das Grundeigenthum blieb zwar meiſtens unverändert, aber die Dörfer wurden niedergebrannt, die Burgen gebrochen, die Bäume umgehauen, das Vieh weggeführt, die Habe der friedlichen Leute als gute Beute geraubt.
Auch hier bewährt jener Grundſatz des heutigen Rechts, daß der Krieg gegen den Stat und nicht gegen die Privaten geführt werde, ſeine heilſame Wirkung.
Wir unterſcheiden nun zwiſchen öffentlichem Vermögen und Privatgut. Das öffentliche Vermögen, welches dem feindlichen State gehört, darf im Kriege angegriffen und von dem Sieger weggenommen werden. Voraus bemächtigt ſich die Kriegsgewalt aller der Sachen des Feindes, welche Bezug auf die Kriegsführung ſelber haben, der Waffen, der öffentlichen Magazine und Vorräthe, der Kriegscaſſe, denn voraus iſt die Kriegsgewalt berechtigt, dem Feinde die Mittel zu entwinden, mit denen derſelbe Krieg führt und Widerſtand leiſtet. Ferner ergreift ſie, indem ſie
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Einleitung.
gedehnt werden ſolle. So ward das chriſtliche Princip der Feindesliebe in
die bindende Form des Menſchen- und Völkerrechts überſetzt.
Feindliches Vermögen im Landkriege.
Nicht minder groß ſind die Fortſchritte, welche das neuere Völkerrecht
in der Anerkennung und dem Schutze des feindlichen Vermögens gemacht
hat. Freilich beſteht hier noch zwiſchen Land- und Seekrieg ein be-
deutender Unterſchied. In jenem iſt die alte Barbarei früher und voll-
ſtändiger überwunden worden, als in dieſem.
Die antiken Völker, welche den Feind als rechtlos anſahen, betrach-
teten auch das Vermögen aller derer, die ſie Feinde nannten, als einen
Gegenſtand freier Beſitz- und Wegnahme. Das Grundeigenthum der Feinde
verfiel dem ſiegreichen Stat, ihre Habe ward von den Truppen erbeutet
und dem Feldherrn überliefert, welcher über die Vertheilung frei verfügte.
Keine Rechtsvorſchrift hinderte das Heer, die Häuſer der Feinde abzubrennen
und ihre Pflanzungen zu verwüſten. Die Sitte war freilich oft menſch-
licher als das Recht und die Politik ſchonte oft, wo das Recht Zerſtörung
und Raub geſtattete. Aber in vielen Fällen zeigte ſich auch die wilde
Rohheit eines barbariſchen Kriegsrechts in ihrer ſcheußlichen Geſtalt, ohne
Maß und ohne Scham.
Nicht viel anders war es im Mittelalter. Die damaligen Fehden
waren weniger blutig als die antiken Schlachten, aber um ſo verderblicher
für das Eigenthum und den Wohlſtand der betroffenen Gegenden. Das
Grundeigenthum blieb zwar meiſtens unverändert, aber die Dörfer wurden
niedergebrannt, die Burgen gebrochen, die Bäume umgehauen, das Vieh
weggeführt, die Habe der friedlichen Leute als gute Beute geraubt.
Auch hier bewährt jener Grundſatz des heutigen Rechts, daß der
Krieg gegen den Stat und nicht gegen die Privaten geführt werde, ſeine
heilſame Wirkung.
Wir unterſcheiden nun zwiſchen öffentlichem Vermögen und
Privatgut. Das öffentliche Vermögen, welches dem feindlichen State
gehört, darf im Kriege angegriffen und von dem Sieger weggenommen
werden. Voraus bemächtigt ſich die Kriegsgewalt aller der Sachen des
Feindes, welche Bezug auf die Kriegsführung ſelber haben, der Waffen,
der öffentlichen Magazine und Vorräthe, der Kriegscaſſe, denn voraus iſt
die Kriegsgewalt berechtigt, dem Feinde die Mittel zu entwinden, mit denen
derſelbe Krieg führt und Widerſtand leiſtet. Ferner ergreift ſie, indem ſie
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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/58>, abgerufen am 21.11.2024.
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