"die Regeln der Redner-Kunst, der Poesie, "der Kunst zu erfinden, demonstrativisch unter- "suchen sollte, so würde man auch nöthig haben, "unterweilen diese Gründe zu brauchen."
Jch kenne keinen deutschen Scribenten, der sich über diese Materie deutlicher und gründlicher erkläret habe; und kan darum nicht begreifen, warum die Kunstlehrer, die das Sinnreiche in den Schriften untersucht haben, nicht auf diese Grundsäze gebauet, sondern lieber ihrem eigenen verwirrten Kopfe gefolget haben. Der Verfas- ser der Hällischen Tadlerinnen hat sich in die Ge- fahr gewaget, diese Materie abzuhandeln. Er hat seine Entdekungen derjenigen von seinen aufge- führten Personen, die er Phyllis getaufet, in die Feder geleget. Jch habe dieselben mit allem Fleis- se erwogen, und beständig Anlaß gefunden wahr- zunehmen, wie leicht man sich verirren könne, wenn man gute Anleitungen in den Wind schlägt.
Phyllis eröffnet ihr Vorhaben schier zu Anfan- ge des sieben und dreissigsten St. mit folgenden Worten: Jch habe vor dreyen Wochen ver- sprochen, meine Gedanken von einem sinnrei- chen Ausdruke im Reden und Schreiben mit- zutheilen.; welche mir Anlaß zu einer Anmer- kung geben, die aus den angeführten wolfischen Grundsäzen natürlich fließt, und die ganze Unter- suchung erleichtert, nemlich, daß kein langes Nachdenken erfodert werde, auszumachen, was im Reden und Schreiben den Nahmen des Sinn- reichen verdiene. Man nennet alles Sinnreich, was uns gewisse Aehnlichkeiten zwischen unterschie-
denen
und dem Scharfſinnigen.
„die Regeln der Redner-Kunſt, der Poeſie, „der Kunſt zu erfinden, demonſtrativiſch unter- „ſuchen ſollte, ſo wuͤrde man auch noͤthig haben, „unterweilen dieſe Gruͤnde zu brauchen.„
Jch kenne keinen deutſchen Scribenten, der ſich uͤber dieſe Materie deutlicher und gruͤndlicher erklaͤret habe; und kan darum nicht begreifen, warum die Kunſtlehrer, die das Sinnreiche in den Schriften unterſucht haben, nicht auf dieſe Grundſaͤze gebauet, ſondern lieber ihrem eigenen verwirrten Kopfe gefolget haben. Der Verfaſ- ſer der Haͤlliſchen Tadlerinnen hat ſich in die Ge- fahr gewaget, dieſe Materie abzuhandeln. Er hat ſeine Entdekungen derjenigen von ſeinen aufge- fuͤhrten Perſonen, die er Phyllis getaufet, in die Feder geleget. Jch habe dieſelben mit allem Fleiſ- ſe erwogen, und beſtaͤndig Anlaß gefunden wahr- zunehmen, wie leicht man ſich verirren koͤnne, wenn man gute Anleitungen in den Wind ſchlaͤgt.
Phyllis eroͤffnet ihr Vorhaben ſchier zu Anfan- ge des ſieben und dreiſſigſten St. mit folgenden Worten: Jch habe vor dreyen Wochen ver- ſprochen, meine Gedanken von einem ſinnrei- chen Ausdruke im Reden und Schreiben mit- zutheilen.; welche mir Anlaß zu einer Anmer- kung geben, die aus den angefuͤhrten wolfiſchen Grundſaͤzen natuͤrlich fließt, und die ganze Unter- ſuchung erleichtert, nemlich, daß kein langes Nachdenken erfodert werde, auszumachen, was im Reden und Schreiben den Nahmen des Sinn- reichen verdiene. Man nennet alles Sinnreich, was uns gewiſſe Aehnlichkeiten zwiſchen unterſchie-
denen
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und dem Scharfſinnigen.
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„der Kunſt zu erfinden, demonſtrativiſch unter-
„ſuchen ſollte, ſo wuͤrde man auch noͤthig haben,
„unterweilen dieſe Gruͤnde zu brauchen.„
Jch kenne keinen deutſchen Scribenten, der
ſich uͤber dieſe Materie deutlicher und gruͤndlicher
erklaͤret habe; und kan darum nicht begreifen,
warum die Kunſtlehrer, die das Sinnreiche in
den Schriften unterſucht haben, nicht auf dieſe
Grundſaͤze gebauet, ſondern lieber ihrem eigenen
verwirrten Kopfe gefolget haben. Der Verfaſ-
ſer der Haͤlliſchen Tadlerinnen hat ſich in die Ge-
fahr gewaget, dieſe Materie abzuhandeln. Er
hat ſeine Entdekungen derjenigen von ſeinen aufge-
fuͤhrten Perſonen, die er Phyllis getaufet, in die
Feder geleget. Jch habe dieſelben mit allem Fleiſ-
ſe erwogen, und beſtaͤndig Anlaß gefunden wahr-
zunehmen, wie leicht man ſich verirren koͤnne, wenn
man gute Anleitungen in den Wind ſchlaͤgt.
Phyllis eroͤffnet ihr Vorhaben ſchier zu Anfan-
ge des ſieben und dreiſſigſten St. mit folgenden
Worten: Jch habe vor dreyen Wochen ver-
ſprochen, meine Gedanken von einem ſinnrei-
chen Ausdruke im Reden und Schreiben mit-
zutheilen.; welche mir Anlaß zu einer Anmer-
kung geben, die aus den angefuͤhrten wolfiſchen
Grundſaͤzen natuͤrlich fließt, und die ganze Unter-
ſuchung erleichtert, nemlich, daß kein langes
Nachdenken erfodert werde, auszumachen, was
im Reden und Schreiben den Nahmen des Sinn-
reichen verdiene. Man nennet alles Sinnreich,
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[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und andrer geistvollen Schriften. Bd. 1. Zürich, 1741, S. 91. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung01_1741/107>, abgerufen am 16.02.2025.
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