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[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und andrer geistvollen Schriften. Bd. 1. Zürich, 1741.

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Von dem Sinnreichen
decken will, welche er darinnen findet, daß man
ohne Gedanken und Vorbedacht auf das Papier
schmieret, was ein ungebundener oder finsterer Sinn
in die Feder flößt. Es kan hiermit aus seinen Ver-
sen die einzige Regel herausgeleitet werden: Man
solle natürlich schreiben, d. i. die Begriffe müssen
sich vor die Sachen, von welchen man reden oder
schreiben will, und die Worte vor die Begriffe
schicken. Jn dieser Regel sind die zwo andern,
die Phyllis so sorgfältig sondert, schon begriffen.
Diese allgemeine Grundregel beziehet sich auf alle
Gattungen der Schreibarten und giebt uns ein
allgemeines Kennzeichen an die Hand, die gute
Schreibart überhaupt von der falschen zu unter-
scheiden. Es ist fürwahr lächerlich, daß Phyllis
aus dieser Stelle des Poeten mit Gewalt eine Be-
schreibung des Scharfsinnigen herausgrüblen wol-
len. Aber sie fährt auf ihrem Wege fort, und
giebt sich in dem Verfolge viele Mühe zu erweisen,
daß die Schreibart, die nach diesen Regeln ab-
gefasset ist, noch nicht scharfsinnig zu nennen sey.
Z. E. wenn der Herr von Besser in dem Le-
benslaufe seiner Gemahlin so anfängt:

"wenn
"wir unsere Todten hertzlich beweinet und ih-
"re Gebeine ehrlich zur Erden bestattet; schei-
"nen wir wol ihr ganzes Verlangen und uns-
"re Pflicht erfüllet zu haben: aber der aller-
"nüzlichste Liebesdienst, den wir ihnen und
"uns leisten können, ist, daß wir ihr Gedäch-
"niß zum Exempel der Lebenden bewahren,
"und wie wir aus ihrem Tode unsre Sterb-
"lichkeit erkennen; also auch aus ihrem rühm-

"lich

Von dem Sinnreichen
decken will, welche er darinnen findet, daß man
ohne Gedanken und Vorbedacht auf das Papier
ſchmieret, was ein ungebundener oder finſterer Sinn
in die Feder floͤßt. Es kan hiermit aus ſeinen Ver-
ſen die einzige Regel herausgeleitet werden: Man
ſolle natuͤrlich ſchreiben, d. i. die Begriffe muͤſſen
ſich vor die Sachen, von welchen man reden oder
ſchreiben will, und die Worte vor die Begriffe
ſchicken. Jn dieſer Regel ſind die zwo andern,
die Phyllis ſo ſorgfaͤltig ſondert, ſchon begriffen.
Dieſe allgemeine Grundregel beziehet ſich auf alle
Gattungen der Schreibarten und giebt uns ein
allgemeines Kennzeichen an die Hand, die gute
Schreibart uͤberhaupt von der falſchen zu unter-
ſcheiden. Es iſt fuͤrwahr laͤcherlich, daß Phyllis
aus dieſer Stelle des Poeten mit Gewalt eine Be-
ſchreibung des Scharfſinnigen herausgruͤblen wol-
len. Aber ſie faͤhrt auf ihrem Wege fort, und
giebt ſich in dem Verfolge viele Muͤhe zu erweiſen,
daß die Schreibart, die nach dieſen Regeln ab-
gefaſſet iſt, noch nicht ſcharfſinnig zu nennen ſey.
Z. E. wenn der Herr von Beſſer in dem Le-
benslaufe ſeiner Gemahlin ſo anfaͤngt:

„wenn
„wir unſere Todten hertzlich beweinet und ih-
„re Gebeine ehrlich zur Erden beſtattet; ſchei-
„nen wir wol ihr ganzes Verlangen und unſ-
„re Pflicht erfuͤllet zu haben: aber der aller-
„nuͤzlichſte Liebesdienſt, den wir ihnen und
„uns leiſten koͤnnen, iſt, daß wir ihr Gedaͤch-
„niß zum Exempel der Lebenden bewahren,
„und wie wir aus ihrem Tode unſre Sterb-
„lichkeit erkennen; alſo auch aus ihrem ruͤhm-

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[96/0112] Von dem Sinnreichen decken will, welche er darinnen findet, daß man ohne Gedanken und Vorbedacht auf das Papier ſchmieret, was ein ungebundener oder finſterer Sinn in die Feder floͤßt. Es kan hiermit aus ſeinen Ver- ſen die einzige Regel herausgeleitet werden: Man ſolle natuͤrlich ſchreiben, d. i. die Begriffe muͤſſen ſich vor die Sachen, von welchen man reden oder ſchreiben will, und die Worte vor die Begriffe ſchicken. Jn dieſer Regel ſind die zwo andern, die Phyllis ſo ſorgfaͤltig ſondert, ſchon begriffen. Dieſe allgemeine Grundregel beziehet ſich auf alle Gattungen der Schreibarten und giebt uns ein allgemeines Kennzeichen an die Hand, die gute Schreibart uͤberhaupt von der falſchen zu unter- ſcheiden. Es iſt fuͤrwahr laͤcherlich, daß Phyllis aus dieſer Stelle des Poeten mit Gewalt eine Be- ſchreibung des Scharfſinnigen herausgruͤblen wol- len. Aber ſie faͤhrt auf ihrem Wege fort, und giebt ſich in dem Verfolge viele Muͤhe zu erweiſen, daß die Schreibart, die nach dieſen Regeln ab- gefaſſet iſt, noch nicht ſcharfſinnig zu nennen ſey. Z. E. wenn der Herr von Beſſer in dem Le- benslaufe ſeiner Gemahlin ſo anfaͤngt: „wenn „wir unſere Todten hertzlich beweinet und ih- „re Gebeine ehrlich zur Erden beſtattet; ſchei- „nen wir wol ihr ganzes Verlangen und unſ- „re Pflicht erfuͤllet zu haben: aber der aller- „nuͤzlichſte Liebesdienſt, den wir ihnen und „uns leiſten koͤnnen, iſt, daß wir ihr Gedaͤch- „niß zum Exempel der Lebenden bewahren, „und wie wir aus ihrem Tode unſre Sterb- „lichkeit erkennen; alſo auch aus ihrem ruͤhm- „lich

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Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und andrer geistvollen Schriften. Bd. 1. Zürich, 1741, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung01_1741/112>, abgerufen am 24.11.2024.