"lich geführten Wandel uns zu dieser unver- "meidlichen Nachfahrt bereiten lernen:"
So sind diese Zeilen zwar nach den vollkommensten Regeln einer guten Schreibart abgefasset: sie sind natürlich; denn ich sehe nichts gekünstel- tes oder gezwungenes darinnen: sie sind ver- nünftig; denn alles, was er sagt, ist wahr, man mag es betrachten, von welcher Seite man im- mer will: sie sind endlich auch nicht voller gar zu hochgetriebenen Vergrösserungen. Doch die Wahrheit zu sagen, so sind alle diese schö- nen Ausdrückungen noch nicht sinnreich. Aber wer ist jemahls in dem Jrrwahne gesteckt, daß alles was gut geschrieben ist, darum auch sinnreich oder scharfsinnig sey? Jedermann siehet leicht, daß die Besserische Stelle weder sinnreich noch scharf- sinnig heissen kan. Der wahre Grund dessen ist, weil darinnen keine Vergleichungen ähnlicher Dinge vorkommen, indem sie aus blossen Ver- nnnfts-Sätzen zusammengesetzet ist. Jm übrigen kömmt mir die Sprache, in welcher Phyllis diese Stelle beurtheilt, gantz unverständlich vor. Oder was wollen diese Worte sagen? Diese Zeilen sind natürlich, denn etc. sie sind vernünftig, denn etc. sie sind endlich auch nicht voller gar zu hoch- getriebenen Vergrösserungen. Kan denn etwas natürlich und dennoch unvernünftig, oder vernünftig und zugleich unnatürlich seyn? Und sind nicht alle zu hochgetriebene Vergrösserungen wider die Na- tur?
Dieser Stelle setzet sie noch einiche an die Sei- te, die nach ihrem Urtheile den Character des Sinn-
reichen
G
und dem Scharfſinnigen.
„lich gefuͤhrten Wandel uns zu dieſer unver- „meidlichen Nachfahrt bereiten lernen:„
So ſind dieſe Zeilen zwar nach den vollkommenſten Regeln einer guten Schreibart abgefaſſet: ſie ſind natuͤrlich; denn ich ſehe nichts gekuͤnſtel- tes oder gezwungenes darinnen: ſie ſind ver- nuͤnftig; denn alles, was er ſagt, iſt wahr, man mag es betrachten, von welcher Seite man im- mer will: ſie ſind endlich auch nicht voller gar zu hochgetriebenen Vergroͤſſerungen. Doch die Wahrheit zu ſagen, ſo ſind alle dieſe ſchoͤ- nen Ausdruͤckungen noch nicht ſinnreich. Aber wer iſt jemahls in dem Jrrwahne geſteckt, daß alles was gut geſchrieben iſt, darum auch ſinnreich oder ſcharfſinnig ſey? Jedermann ſiehet leicht, daß die Beſſeriſche Stelle weder ſinnreich noch ſcharf- ſinnig heiſſen kan. Der wahre Grund deſſen iſt, weil darinnen keine Vergleichungen aͤhnlicher Dinge vorkommen, indem ſie aus bloſſen Ver- nnnfts-Saͤtzen zuſammengeſetzet iſt. Jm uͤbrigen koͤmmt mir die Sprache, in welcher Phyllis dieſe Stelle beurtheilt, gantz unverſtaͤndlich vor. Oder was wollen dieſe Worte ſagen? Dieſe Zeilen ſind natuͤrlich, denn ꝛc. ſie ſind vernuͤnftig, denn ꝛc. ſie ſind endlich auch nicht voller gar zu hoch- getriebenen Vergroͤſſerungen. Kan denn etwas natuͤrlich und dennoch unvernuͤnftig, oder vernuͤnftig und zugleich unnatuͤrlich ſeyn? Und ſind nicht alle zu hochgetriebene Vergroͤſſerungen wider die Na- tur?
Dieſer Stelle ſetzet ſie noch einiche an die Sei- te, die nach ihrem Urtheile den Character des Sinn-
reichen
G
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und dem Scharfſinnigen.
„lich gefuͤhrten Wandel uns zu dieſer unver-
„meidlichen Nachfahrt bereiten lernen:„ So
ſind dieſe Zeilen zwar nach den vollkommenſten
Regeln einer guten Schreibart abgefaſſet: ſie
ſind natuͤrlich; denn ich ſehe nichts gekuͤnſtel-
tes oder gezwungenes darinnen: ſie ſind ver-
nuͤnftig; denn alles, was er ſagt, iſt wahr, man
mag es betrachten, von welcher Seite man im-
mer will: ſie ſind endlich auch nicht voller gar
zu hochgetriebenen Vergroͤſſerungen. Doch
die Wahrheit zu ſagen, ſo ſind alle dieſe ſchoͤ-
nen Ausdruͤckungen noch nicht ſinnreich. Aber
wer iſt jemahls in dem Jrrwahne geſteckt, daß
alles was gut geſchrieben iſt, darum auch ſinnreich
oder ſcharfſinnig ſey? Jedermann ſiehet leicht, daß
die Beſſeriſche Stelle weder ſinnreich noch ſcharf-
ſinnig heiſſen kan. Der wahre Grund deſſen iſt,
weil darinnen keine Vergleichungen aͤhnlicher
Dinge vorkommen, indem ſie aus bloſſen Ver-
nnnfts-Saͤtzen zuſammengeſetzet iſt. Jm uͤbrigen
koͤmmt mir die Sprache, in welcher Phyllis dieſe
Stelle beurtheilt, gantz unverſtaͤndlich vor. Oder
was wollen dieſe Worte ſagen? Dieſe Zeilen ſind
natuͤrlich, denn ꝛc. ſie ſind vernuͤnftig, denn ꝛc.
ſie ſind endlich auch nicht voller gar zu hoch-
getriebenen Vergroͤſſerungen. Kan denn etwas
natuͤrlich und dennoch unvernuͤnftig, oder vernuͤnftig
und zugleich unnatuͤrlich ſeyn? Und ſind nicht alle
zu hochgetriebene Vergroͤſſerungen wider die Na-
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[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und andrer geistvollen Schriften. Bd. 1. Zürich, 1741, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung01_1741/113>, abgerufen am 16.02.2025.
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