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[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und andrer geistvollen Schriften. Bd. 1. Zürich, 1741.

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und dem Scharfsinnigen.

Die beyden lezten Zeilen enthalten hier das Sinn-
reiche: und es entstehet bloß aus der doppel-
ten Bedeutung des Worts Hertz. Wenn Me-
linde sagt: Jch habe kein Hertz an dich zu ver-
schenken, so heist es so viel, ich bin dir nicht
gewogen. Wann er aber bittet, daß sie auch
kein Hertz haben möge ihn zu hassen, so meint
er das eigentliche Hertz: denn wenn man sagt.
daß man jemanden gram sey/ so wird in
keiner Redensart an das Hertz gedacht.
Daß
zweydeutige Reden und Wortspiele in dem weit-
läuftigten Sinne, den ich oben erklärt habe, kön-
nen sinnreich genennet werden, ist nicht zu läug-
nen; wiewohl sie von äusserst verdorbnen Ge-
schmack sind: Aber daß sie zu dem Scharfsinni-
gen solten gerechnet werden, wie Phyllis in dieser
Regel haben will, ist abgeschmakt. Das Exempel
ist ein kahles gezwungenes und frostiges Wort-
spiel. Man sagt nicht schön: Er hat für mich
ein Hertz,
an statt: Er ist mir gewogen. Noch,
so hab auch keines, d. i. sey nicht so kühn, mich
zu hassen.

Die lezte Anmerckung: Es giebt auch eine
Gattung sinnreicher Gedancken, die in einer
geschickten Vergrösserung einer Sache beste-
hen.
Wenn diese Vergrösserung aus einer Ver-
gleichung herkömmt. Der Herr von Caniz lobt
von seiner hohen Verblichenen, daß sich die
Lehrer selbst über ihre Wissenschaft verwun-
dert, und daß auch die Unsträflichsten durch
ihren Wandel erbauet worden. Jmgleichen
von seiner eigenen Gemahlin:

Man-
und dem Scharfſinnigen.

Die beyden lezten Zeilen enthalten hier das Sinn-
reiche: und es entſtehet bloß aus der doppel-
ten Bedeutung des Worts Hertz. Wenn Me-
linde ſagt: Jch habe kein Hertz an dich zu ver-
ſchenken, ſo heiſt es ſo viel, ich bin dir nicht
gewogen. Wann er aber bittet, daß ſie auch
kein Hertz haben moͤge ihn zu haſſen, ſo meint
er das eigentliche Hertz: denn wenn man ſagt.
daß man jemanden gram ſey/ ſo wird in
keiner Redensart an das Hertz gedacht.
Daß
zweydeutige Reden und Wortſpiele in dem weit-
laͤuftigten Sinne, den ich oben erklaͤrt habe, koͤn-
nen ſinnreich genennet werden, iſt nicht zu laͤug-
nen; wiewohl ſie von aͤuſſerſt verdorbnen Ge-
ſchmack ſind: Aber daß ſie zu dem Scharfſinni-
gen ſolten gerechnet werden, wie Phyllis in dieſer
Regel haben will, iſt abgeſchmakt. Das Exempel
iſt ein kahles gezwungenes und froſtiges Wort-
ſpiel. Man ſagt nicht ſchoͤn: Er hat fuͤr mich
ein Hertz,
an ſtatt: Er iſt mir gewogen. Noch,
ſo hab auch keines, d. i. ſey nicht ſo kuͤhn, mich
zu haſſen.

Die lezte Anmerckung: Es giebt auch eine
Gattung ſinnreicher Gedancken, die in einer
geſchickten Vergroͤſſerung einer Sache beſte-
hen.
Wenn dieſe Vergroͤſſerung aus einer Ver-
gleichung herkoͤmmt. Der Herr von Caniz lobt
von ſeiner hohen Verblichenen, daß ſich die
Lehrer ſelbſt uͤber ihre Wiſſenſchaft verwun-
dert, und daß auch die Unſtraͤflichſten durch
ihren Wandel erbauet worden. Jmgleichen
von ſeiner eigenen Gemahlin:

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[109/0125] und dem Scharfſinnigen. Die beyden lezten Zeilen enthalten hier das Sinn- reiche: und es entſtehet bloß aus der doppel- ten Bedeutung des Worts Hertz. Wenn Me- linde ſagt: Jch habe kein Hertz an dich zu ver- ſchenken, ſo heiſt es ſo viel, ich bin dir nicht gewogen. Wann er aber bittet, daß ſie auch kein Hertz haben moͤge ihn zu haſſen, ſo meint er das eigentliche Hertz: denn wenn man ſagt. daß man jemanden gram ſey/ ſo wird in keiner Redensart an das Hertz gedacht. Daß zweydeutige Reden und Wortſpiele in dem weit- laͤuftigten Sinne, den ich oben erklaͤrt habe, koͤn- nen ſinnreich genennet werden, iſt nicht zu laͤug- nen; wiewohl ſie von aͤuſſerſt verdorbnen Ge- ſchmack ſind: Aber daß ſie zu dem Scharfſinni- gen ſolten gerechnet werden, wie Phyllis in dieſer Regel haben will, iſt abgeſchmakt. Das Exempel iſt ein kahles gezwungenes und froſtiges Wort- ſpiel. Man ſagt nicht ſchoͤn: Er hat fuͤr mich ein Hertz, an ſtatt: Er iſt mir gewogen. Noch, ſo hab auch keines, d. i. ſey nicht ſo kuͤhn, mich zu haſſen. Die lezte Anmerckung: Es giebt auch eine Gattung ſinnreicher Gedancken, die in einer geſchickten Vergroͤſſerung einer Sache beſte- hen. Wenn dieſe Vergroͤſſerung aus einer Ver- gleichung herkoͤmmt. Der Herr von Caniz lobt von ſeiner hohen Verblichenen, daß ſich die Lehrer ſelbſt uͤber ihre Wiſſenſchaft verwun- dert, und daß auch die Unſtraͤflichſten durch ihren Wandel erbauet worden. Jmgleichen von ſeiner eigenen Gemahlin: Man-

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Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und andrer geistvollen Schriften. Bd. 1. Zürich, 1741, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung01_1741/125>, abgerufen am 21.11.2024.